Die theologische Aufrüstung 1933 bis 1945

Die theologischen Brückendenker von 1933 bis 1945

lexika_geschichte.jpg

GRAZ. (hpd) Die theologische, philosophische und literarische Aufrüstung für die beiden Weltkriege ist keinesfalls zu unterschätzen. Diese Kriege sind in Europa nicht plötzlich vom Himmel gefallen, vielmehr haben die kulturellen Eliten in allen beteiligten Ländern dafür intensive Vorarbeit geleistet.

Hier soll vor allem auf die deutsche Kultur in der NS-Zeit geblickt werden. Wahrscheinlich ist kein Krieg ohne starken ideologischen Hintergrund zu führen, zu diesem trugen die Religionen kräftig bei. Die christliche Religion hatte von der antiken Kultur (Cicero) die Lehre vom "gerechten Krieg" übernommen und kultiviert. Für die große Mehrheit der Bischöfe, der Kleriker und der Theologen waren beide Weltkriege mit ungefähr 80 Millionen Toten gerechte Kriege, von Gott gewollt. [1]

Der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz Kardinal Adolf Bertram gab Anfang Mai 1945 schriftlich die Anweisung, dass in seiner Diözese ein Requiem für Adolf Hitler zu feiern sei. Er selber hielt sich jedoch ab dem 21. Januar nicht mehr in Breslau auf. Die Anweisung findet sich heute in den Akten als durchgestrichen, folglich ist dieses Requiem wohl nicht gefeiert worden [2], was einige Historiker fälschlich behaupteten. Mündlich wird von Äbten in Südtirol und Österreich erzählt, die ein Requiem für Hitler gefeiert haben sollen.

Die Kirchenleitung hatte sich mit dem Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 eng mit der NS-Diktatur verbündet, sie blieb es bis zum bitteren Ende des Krieges. An allen Kriegsfronten waren die Militärseelsorger und Feldprediger im Einsatz. Denn der christliche Weltgott stand ja schützend und helfend auf allen Seiten der Fronten. [3]

Die theologischen Brückendenker von 1933 bis 1945

Aber wie kam es zu dieser theologischen Hochrüstung seitens der christlichen Kirchen? Die geistigen und ideellen Vorarbeiten dafür wurden bereits im und vor dem ersten Weltkrieg geleistet, und 1918 gab es keinen theologischen und moralischen Friedensschluss. Denn die alten Feindbilder blieben weitgehend bestehen und die alten Kriegslehren verschwanden nur für kurze Zeit in den Schreibtischen der Philosophen und der geistigen Eliten. Für die meisten Theologen und Kleriker war der Krieg eine göttliche Strafe für ein sündhaftes Leben und eine moralische Prüfung gewesen, ein apokalyptisches Weltgeschehen, aber von der göttlichen Vorsehung gelenkt. Der Krieg hatte in ihren Augen zur moralischen Reinigung der Völker beigetragen. [4]

Seit 1919 baute die neue Partei NSDAP die gleichen Feindbilder auf, die ihre Gründer im Krieg bei den Feldpredigern und den Offizieren gehört hatten. Bekämpft werden sollten der Liberalismus im Denken und im Glauben, der Individualismus in der Lebensgestaltung, der gottlose Kommunismus in Russland, die Lehren der Freimaurer und der Freidenker sowie die "politischen Umtriebe der Juden". Im Juli 1933 sprach der katholische Dogmatiker und Priester Michael Schmaus, ein späterer Lehrer Joseph Ratzingers, im Festsaal der Universität Münster über die notwendigen "Begegnungen" des katholischen Glaubens mit der NS-Ideologie. Er betonte, die neue Politik A. Hitlers erhebe sich mit Recht gegen die versinkende Epoche des Liberalismus, gegen das wirklichkeitsfremde Denken Immanuel Kants, gegen die Willkür der aufgeklärten Vernunft, gegen die Ideen der Französischen Revolution mit ihren allgemeinen Menschenrechten. [5]

Denn die Folgen des Liberalismus im Denken und im Glauben seien ein weit verbreiteter Nihilismus und die Entwurzelung der Menschen. An den Universitäten dürfe es keine freie Wissenschaft und Forschung geben, denn das führe in Beliebigkeit und Banalität. Die beanspruchte Lehr- und Lernfreiheit sei eine tragische Folge der rationalen Aufklärung gewesen. Doch von jetzt an kämpfe die neue NS-Bewegung gegen den "Ungeist" des 19. Jahrhunderts, sie setze dem mechanistischen Weltbild der Naturwissenschaften eine organische "Weltanschauung" entgegen. Daher baue der neue Staat auf dem festen Organismus des Volkes, auf einer klaren moralischen Weltordnung und auf dem Gemeinschaftswillen aller Menschen. F. Hölderlin und F. Nietzsche sowie Julius Langbehn seien Lichtträger dieser neuen Ordnung. [6]

Das Opfer des Einzelnen und des Volkes gehöre zum Ideenschatz der NS-Bewegung; das Volk habe immer den Vorrang vor dem Einzelleben, und auf keinen Fall sei der Mensch das Maß aller Dinge. Von nun an werde die Volkwerdung der Deutschen durch die Ideen von Blut und Boden, von Schicksal und Aufgabe bestimmt. Denn das Erbgut eines Volkes entfalte sich im Blut und in der Sprache, darin zeigten sich das Herz und die Seele einer Nation. Der Nationale Sozialismus betone die Bindung des Einzelnen an die Gemeinschaft, er lehne die politische Gleichberechtigung aller Menschen mit Entschiedenheit ab, und er streite gegen die Willkür des Liberalismus. Jeder Bürger müsse jetzt in das Volk eingebunden werden, doch der Wille des Volkes zeige sich im starken Führer. Dieser habe im Staat fortan ähnliche Funktionen wie der Papst in Rom für die Kirche. [7]

Nur eine autoritäre Führung mit dem Anspruch auf Totalität könne dem liberalen und dem kapitalistischen Geist wirkungsvoll entgegen treten. Daher sei der neue NS-Staat eine organische und korporative Gesellschaft, ganz ähnlich wie die Kirche als der "Leib Christi". Schon Aurelius Augustinus habe gelehrt, dass nicht alle Menschen die gleiche Vollendung und Glückseligkeit erlangen könnten. Im Staat wie in der Kirche gäbe es eine ewige und unumstößliche Ordnung der Hierarchie. Außerdem seien die Kirche und die NS-Bewegung zwei große Opfergemeinschaften für das Volk und das Vaterland. Christus sei ein Geopferter und ein Opfernder, dies müsse von jetzt an auch für alle Staatsbürger gelten. Deswegen sagten die Christen freudig "Ja" zur Volksgemeinschaft, zu Blut und Boden, zu Schicksal und Auftrag. Von jetzt an würden wieder die Tugenden des Gehorsams, der Disziplin, des Mutes und der Opferbereitschaft gelten. Dies habe auch der Kardinal Adolf Bertram betont. [8]

Die göttliche Vorsehung habe dem deutschen Volk die größten Aufgaben zugedacht, der "Völkerbund" entspreche nicht der katholischen Lehre. Fortan müssten auch die Juden für den "Wahn" der Verwerfung Jesu bitter bezahlen, denn das neue Deutsche Reich werde auf dem Boden eines germanischen Christentums gebaut. Der Führer habe sein politisches Programm in seinem Kampfbuch (1925) offengelegt, jetzt gehe es um Opferwillen und Bekennermut, alle Deutschen müssten dem Weg der göttlichen Vorsehung folgen. In der katholischen Kirche habe es unter den Laienchristen zu viel an Wildwuchs gegeben, daher sei die Einschränkung der kirchlichen Organisationen durch das neue Konkordat zu begrüßen. Wegen der "Erbsünde" misstraue die Kirche grundsätzlich der menschlichen Freiheit. Die NS-Bewegung komme aus dem Urtrieb des Lebens, sie kämpfe gegen das Zuviel an Rationalität. Der religiöse Glaube müsse auf dem Volk aufbauen, daher müssten die Katholiken geschlossen am Bau des neuen Reiches mitwirken, denn es gehe in eine große Zukunft hinein. [9]

Einige Grundannahmen von Michael Schmaus gegen den Liberalismus, die rationale Aufklärung und den Relativismus finden sich noch heute in den Lehren seines ehemaligen Schülers Joseph Ratzinger. Auch der Dogmenhistoriker Joseph Lortz wollte 1933 den Katholiken einen Zugang zur NS-Ideologie verschaffen. Er schrieb, diese nationale Bewegung werde die Kirche wieder beleben, daher sollten die Gläubigen beim Vater-unser-Gebet an das neue Deutsche Reich denken, das jetzt im Entstehen sei. Denn die Lehren der NS-Bewegung passten wunderbar zu den Lehren der katholischen Kirche, beide seien in ihrem Wesen eng verwandt. Die Kirche werde neu aufblühen, sie müsse jetzt mit der lebendigen Wirklichkeit des Volkes eng zusammenwachsen. [10]

Der Tübinger Theologe und Priester Karl Adam verglich den Volkskanzler Adolf Hitler mit dem Vorläufer Jesu, mit Johannes dem Täufer. Denn dieser habe eine große und neue Zeit angekündigt. Von nun an müsse im deutschen Christentum die Blutreinheit bewahrt werden, alles Artfremde müsse aus der Kirche ausgeschlossen und ausgemerzt werden. Denn Jesus sei gar kein "Judenstämmling" gewesen, wie die deutsche Forschung herausgefunden habe, vielmehr sei er eine überirdische Gestalt. Daher könne die NS-Bewegung den christlichen Glauben neu beleben, das Volk werde durch den Glauben an Christus moralisch geläutert. Die deutschen Mütter kehrten jetzt zu den Urmächten zurück, welche "unser Volkstum" geschaffen hätten. Der Führer A. Hitler habe Zugang zu den geheimen Lebensquellen des deutschen Volkes, daher könne die NS-Bewegung die katholische Kirche wieder mit Blut und Leben erfüllen. Die vertrocknete Rationalität in der Theologie und im Glauben müsse jetzt überwunden werden. [11]

Diese Vordenker hatten große Breitenwirkung im deutschen Klerus und im Kirchenvolk. Denn ihre Ideen wurden nicht nur an den Theologischen Fakultäten, sondern auch durch viele kirchliche Zeitschriften und Prediger weitergegeben. Sie begleiteten ab 1939 wiederum die Feldprediger in den zweiten großen Krieg, der im Auftrag der göttlichen Vorsehung geführt werden musste. Die Kirchenleitung und die NS-Bewegung bildeten für sie eine Kampfgemeinschaft gegen die rationale Aufklärung, gegen das liberale Denken und gegen den Bolschewismus. Es finden sich bei genauer Prüfung viel mehr theologische Grundlehren in der NS-Ideologie, als bisher angenommen wurde. Nach 80 Jahren können wir sachlich darüber urteilen, aber dieses Urteil sind wir den vielen Millionen Opfern des Krieges schuldig. [12]