Kommentar: Zum Umgang mit Zuschreibungen im journalistischen Alltag nach Köln

Die verflixte Ziffer 12.1

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KONSTANZ. (hpd) Nationalität ja oder nein? Vor dieser Frage stehen Journalisten in diesen Tagen immer häufiger, wenn es darum geht, in Berichterstattungen die Herkunft von möglichen Straftätern und Beschuldigten zu nennen.

Nach der Silvesternacht wurde deutlich, dass auch die Polizei offenkundig Probleme damit hat, in der Unterrichtung von Öffentlichkeit und Medien in angemessenem Maße abzuwägen, wann es notwendig und sinnvoll ist, die Zugehörigkeit einer verdächtigen Person oder einer Gruppe zu bestimmten Ethnien, Religionen, Kulturkreisen oder Ländern auszusprechen. Aus Angst davor, die Stimmung des offenen Willkommenheißens gegenüber Flüchtlingen mit etwaigen Zuweisungen gefährden zu können, blieben Details zu Verdächtigen überwiegen unerwähnt. Nach dem Vorwurf, aus Rücksicht vor Diskriminierung und um die Integration nicht zu gefährden, sei offenbar bereits in der Vergangenheit bei Straftaten nicht selten verschwiegen worden, dass Täter nicht aus Deutschland kamen, änderte sich das Blatt rasant.

Nach Köln, Stuttgart und Hamburg pendelte das journalistische Verhalten dann ins andere Extrem: So teilte die Landessendedirektorin des SWR für Baden-Württemberg auf eine Beschwerde zu einem Vorfall in der Silvesternacht in Weil am Rhein mit: “Normalerweise spielt sie [die Nationalität eines Täters, Anmerkung des Autors] bei uns keine Rolle keine Rolle […]”. Einige Zeilen zuvor war ihre Rede noch gewesen: “Im Umfeld der aktuellen Situation [wurde] beschlossen, dass die Nennung der Nationalität eine Relevanz für die Berichterstattung hat.”

Was gestern noch irrelevant war, wird heute anders gesehen. Von Schwarz zu Weiß, so könnte man meinen. Dabei scheinen sich die Grundsätze, an denen sich Journalisten bei ihrer Arbeit zu orientieren haben, auch nach dem Jahreswechsel 2015/2016 nicht geändert zu haben: Weiterhin gilt – unverändert – die Ziffer 12.1 des Pressekodexes, die – vorwiegend für die schreibende Zunft, aber darüber hinaus für alle journalistisch Tätigen – entsprechende Richtschnur im sittlich geprägten Handeln ihres nicht immer einfachen Berufs ist. Ist diese Vorgabe nur deshalb neu zu interpretieren, weil die “aktuelle Situation” dies erfordert? Sind Leitlinien der Medienarbeit dem äußeren Umfeld beliebig zu beugen? Kann man Werte und Normen einfach über eine Nacht hinweg anpassen? Nein, ich bin der Überzeugung, solch ein Verhalten ist gerade mit unserem Verständnis von Demokratie nicht vereinbar. Das, was Politik uns dieser Tage vorlebt, kann kein Vorbild für Akteure in der Öffentlichkeitsarbeit sein. Gesetze mag man in wenigen Tagen, manch Verordnung gar innerhalb von einigen Stunden ändern. Die Eckpfeiler einer Gesellschaft aber nicht – weder unsere demokratische Verfassung mit ihren Freiheiten und Grenzen, noch die existenziellen Grundlagen des journalistischen Handwerks.

Und deshalb hat folgende Aussage weiterhin vollkommene Gültigkeit: “In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht”. Nun, man vermag möglicherweise in fast jedem Falle einen solchen Sachbezug begründen zu können – und sei es mit noch so absurden Argumenten. Insofern nutzt eine Anweisung nichts ohne eine tugendreiche Selbstverpflichtung jedes Journalisten, die in einer seriösen Medienlandschaft als Qualitätsmerkmal und Mindestanforderung an Ausweisung und genügende Eignung für den Job obligatorisch ist. Und doch ist trotz aller Schulung und langer Erfahrung ein Abwägen immer eine große Herausforderung. Deshalb gibt der Pressekodex auch eine wesentliche Zusatzinformation: “Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung [der religiösen, ethnischen oder anderen Zugehörigkeit zu einer Minderheit; Anmerkung des Autors] Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.” Ziffer 12 selbst geht noch weiter und fordert, dass eine Diskriminierung darüber hinaus auch aus Gründen der sozialen, geschlechtlichen, nationalen Herkunft oder einer Behinderung zu unterbinden ist.

Was darf ein Journalist dann überhaupt noch über Personen berichten, mag man sich fragen. “Diskriminierung”, der nötige “Sachbezug” und das Schüren etwaiger “Vorurteile” sind Hinweise, in welche Richtung das Gebot des deutschen Pressekodexes geht.

Ist es also legitim, bei sexuellen Übergriffen, die fortan in zeitlichem Zusammenhang mit den Ereignissen der Silvesternacht 2015/2016, mit Verweis auf diese Geschehnisse die nationale Herkunft von Verdächtigen zu erwähnen? Aus Ziffer 12.1 Pressekodex leitet sich nach meiner Sichtweise eine deutliche Antwort ab: Nein. Denn es muss für den “berichteten” Vorgang ein begründbarer Sachbezug bestehen. Das, was in Köln passiert ist, lässt keinerlei unmittelbaren Zusammenhang mit anderen Taten – schon gar nicht zu anderen Zeitpunkten – zu. Dieser Kontext ergibt sich nur dann, wenn man populistische Vorurteile bemüht – und genau das ist einem Journalisten (nicht nur nach dem Pressekodex) untersagt.