FRANKFURT/M. (hpd) “Immer dichter wohnen?” versprach die Einladung als Frage – und die Veranstaltung hat sie gewissermaßen beantwortet: dicht gedrängt saßen 75 bis 80 Gäste im Frankfurter Club Voltaire, mehr als ein weiteres Dutzend Interessenten mußten wegen Überfüllung abgewiesen werden. Eine hybride Veranstaltung, die da so magisch anzog: Vernissage, Fachvortrag und Diskussion zugleich. Es war die Eröffnung einer Fotoausstellung von Peter Menne, zugleich ein kritischer städtebaulicher Rundblick des Architekten Prof. DiWi Dreysse. Eingeladen dazu hatte die KunstGesellschaft, ihr Vorsitzender Prof. Reiner Diederich modierte den gelungenen Abend.
An den Wänden des Club Voltaire hängen Mennes großformatige Fotografien: quadratisch-praktische Betonklötze, zumeist grau-in-grau, sind da in Szene gesetzt. Das eine Containerdorf hebt sich farblich mit grellem Orange ab. Peter Menne hat sie auf seinen Reisen entdeckt: in Metz oder Marseille, im holländischen Vlissingen oder in Amsterdam, im Ardennen-Städtchen Revin oder im schweizerischen Basel. Doch die Architektur ist international – Moderator Diederich fragte ins Publikum, ob und woran man den Standort erkennen könne? Das gelang nur bei Marseille – wo im Hintergrund das Meer und vorne die karge Karstlandschaft zu erkennen sind: damit sicher nicht aus Deutschland. Außerdem gebe es in Deutschland nur einen vergleichbar lang gestreckten Bau – Prora auf Rügen. Doch bei den beiden Fotografien aus Basel meinte DiWi Dreysse, dass das genausogut Frankfurts Ben-Gurion-Ring sein könne: von ihrer äußeren Form unterscheiden die funktionalen Bauten sich nicht mehr.
Wie Peter Menne zu solchen Bildmotiven gekommen sei, wollte Moderator Diederich wissen. Menne erzählte, dass auch er auf Reisen gerne den Blick auf Schlösser und Sehenswürdigkeiten richte. Doch bei einer Motorradtour entlang der Calanques fiel sein Blick eher zufällig auf den weiß in der Sonne blitzenden rechtwinkligen Block inmitten wild zerklüfteter Landschaft. “Das hat sich so gebissen, war ein so heftiger Kontrast: da mußte ich einfach wenden und die Kamera zücken”, so Peter Menne. Bei der Stadteinfahrt nach Marseille versperrte ein weiterer massiver Riegel die Aussicht. “Da habe ich begonnen, solche Bauten gezielt wahrzunehmen. Unsere Wahrnehmung spielt uns ja oft einen Streich – wenn jemand z.B. ein hübsches Bergpanorama fotografiert und erst zuhause auf den Abzügen bemerkt, dass sich eine Hochspannungsleitung quer durchs Bild zieht. Unangenehme Seiten unserer Umwelt blenden wir oft einfach aus – obwohl sie unübersehbar sind. Nicht nur ‘Altlasten’, sondern auch neu gebaut wie die holländischen Container-Siedlungen. Diese Praxis wider besseres Wissen will ich dokumentieren”, so der Fotograf.
Bei den quadratischen Großbauten leitete DiWi Dreysse zur Architekturtheorie über und zitierte Le Corbusiers Idee der “Wohnmaschine”: einem großen Komplex für tausend Bewohner. In den 1920er Jahren verglich der französische Stararchitekt das Projekt mit einem Ozeandampfer: auf der einwöchigen Überfahrt von Europa nach Amerika lebten auch 1.000 oder mehr Passagiere auf dichtestem Raum nebeneinander – jedoch gebe es nicht bloß Kabinen, sondern auch Flächen zur Begegnung, ein Schwimmbad auf dem Oberdeck, Restaurants und Unterhaltungsstätten. Genau so etwas plante Le Corbusier mit seiner “Wohnmaschine”: vom Kindergarten über Sportstätten wie ein Schwimmbad auf dem Dach bis zu Einkaufs- und Vergnügungsmöglichkeiten sollte alles in den Großbauten vorhanden sein.
Die Form ist geblieben – der Inhalt fehlt heute, resümierte Dreysse. Die Gemeinschaftseinrichtungen fehlen. Genau das mache die heutigen Hochhäuser so unattraktiv. Zur Dichte überleitend, unterschied Dreysse drei Formen: 1. die (physische) Bebauungsdichte, gemessen über die Geschoßflächenzahl, 2. die Einwohnerdichte (Personen pro Hektar) und 3. die Erlebnisdichte. Überraschend sein Hinweis, wie die Einwohnerdichte zurückgeht: So hatte Frankfurts Nordend Anfang der 1960er Jahre noch 87.000 Einwohner. Heute sind es 55.000. Die Wohnfläche wurde nicht weniger – aber in den 1960ern begnügte man sich noch mit 10 qm pro Person. Heute sind es im Schnitt 45 qm: die Ansprüche an individuelle Fläche sind gewachsen. Aus dem Publikum ergänzte jemand das um die Situation von Studenten: zu seinen Studienzeiten habe er im Studentenwohnheim 8 qm gehabt – zugleich aber Gemeinschaftsflächen (incl. Duschen auf der Etage). So wurden en passant Kontakte gefördert. In neuesten Studentenwohnheimen gebe es 23 qm, in denen aber alles untergebracht sei: Sozialkontakte fördernde Gemeinchaftsflächen entfallen, Studenten heute lebten vereinzelt. So angenehm der Zuwachs an verfügbarer Fläche ist – niemand würde darauf verzichten wollen – , gilt es doch, auch die Schattenseiten zur Kenntnis zu nehmen und damit umzugehen.
Bezüglich des sozialen Wohnungsbaus wies Dreysse auf das grundsätzlich andere Vorgehen z.B. in Wien hin, wo die Angelegenheit nicht nur “Gemeindewohnungsbau” heißt, sondern die Wohnungen tatsächlich von der Gemeinde gebaut werden und dauerhaft in kommunaler Hand verbleiben. In Deutschland hingegen wird privaten Investoren die Finanzierung erleichtert. Dreysse zitierte einen Kollegen, der den Unterschied auf den Punkt gebracht hatte: Wohnungsbauförderung auf der einen, letztlich Bankenförderung auf der anderen Seite.
Positiver Nebeneffekt des deutschen Förderprinzips ist jedoch, dass hier auch kleinteiliges Bauen möglich ist. z.B. Genossenschaften, die gemeinschaftliches Wohnen realisieren. Manche Kommunen fördern das – Frankfurt verlangt investitionsbereiten Genossenschaften viel ab. So entstanden zwar auf dem Naxos-Gelände Projekte für gemeinschaftliches Wohnen – doch mußten diese nachweisen, dass sie einen Beitrag zur sozialen Infrastruktur des Viertels erbingen, z.B. durch eine Kindertagesstätte o.ä. auf ihrem Gelände. Insgesamt sinnvoll, könnte man meinen. Doch nebenan errichtete die (städtische) AGB Holding deutlich größere Wohnbauten ohne derartige Auflagen!
Zu den Problemen großer Wohnanlagen gehört die Gleichförmigkeit ihres Aussehens. Die kolllidiert mit unserem Anspruch auf Individualität. “Flächengreifender Bau von individuellen Einfamilienhäusern wäre in Städten jedoch nicht möglich”, so Stadtplaner Dreysse. Doch ist quadratisch-praktisch wirklich zwingend? Peter Menne verwies auf die Hundertwasser-Häuser in Wien oder Darmstadt: große Wohneinheiten, die sich sehr individuell von ihrer Umgebung abheben. “Nun ist Hundertwasser nicht jedermanns Geschmack. Und es wäre auch nicht mehr individuell, wenn jedes Haus so aussehen würde”, so Menne. “Doch das Beispiel zeigt: prinzipiell ist auch andere als nur funktionale Architektur möglich.”
In der Diskussion wurde die bevorstehende Bebauung des Frankfurter Pfingstbergs ebenso angerissen wie die des Riedbergs: Hier wären fünfgeschossige Häuser möglich gewesen, so Dreysse. Doch in den 1990ern sei das politisch nicht gewollt gewesen. Bei mancher Frage würde man gerne weiter in die Tiefe gehen – doch fast zwei Stunden voll dichter Information waren für den Abend genug. Das Thema “Wohnen” bleibt aktuell. Hoffentlich geht die Diskussion weiter, bevor neuerlich Trabantenstädte errichtet werden: billig im Bau – doch soziale Folgekosten sind nicht nur in den französichen cités und banlieues unübersehbar.