Christliche "Endzeit-Propheten" sehen im Gazakrieg apokalyptische Signale

Neuzeitliche Propheten suchen Endzeithinweise in der Bibel und beschwören die Apokalypse und die Wiederkunft von Jesus Christus herbei.

Der kriegerische Terrorakt der Hamas und die Gegenoffensive der israelischen Armee finden in einer aufgeladenen religionshistorischen Weltgegend statt. Im Gaza-Streifen prallen die islamischen und abendländischen Kulturen und Religionen hart aufeinander und bringen auch die christlich geprägten Länder in Aufruhr.

Denn der Nahe Osten ist seit über 3.000 Jahren der Kristallisationspunkt der jüdischen und seit 2.000 Jahren der christlichen Religion. Hier hat alles begonnen, hier soll auch alles enden, wenn man an die Bibel glaubt.

Vertraut man den Prophezeiungen der christlichen Fundamentalisten, läutet der Krieg im Gaza-Streifen das Ende der Zeit ein. Die Frommen sehen alle biblischen Anzeichen und Hinweise für die kurz bevorstehende Apokalypse gegeben.

"Wir erleben buchstäblich, wie sich die biblische Prophezeiung vor unseren Augen abspielt – die erste Generation in der Geschichte, in der sich die biblische Prophezeiung live entfaltet." Diese Botschaft verkündete kürzlich der bekannte amerikanische Prediger Isaiah Saldivar, der auf den Sozialen Medien omnipräsent ist und eine große Gefolgschaft hat.

Seine Bekanntheit verdankt er unter anderem seiner Konversion: Der frühere Atheist verwandelte sich in einen glühenden Verehrer von Jesus Christus. Seither widmet er sein Leben der Verkündigung. Seine frommen Worte kommen wie Peitschenhiebe aus seinem Mund.

Weiter verkündet er in seinem Video: "Die Bibel hat schon vor Tausenden von Jahren vorausgesagt, dass sich die Ereignisse der Endzeit um Jerusalem drehen werden." Als Urheber des apokalyptischen Krieges identifiziert Saldivar nach biblischem Muster den Satan. Die Hamas sei eine terroristische Organisation, die für ihren dämonischen Gott kämpfe. Gleichzeitig beklagt sich der Prediger, dass niemand darüber spreche.

Das Ziel des Antichristen sei es, in den Himmel aufzusteigen, über den Sternen Gottes zu sitzen und wie der Allerhöchste zu sein, der nach Anbetung verlangt, erklärt Saldivar weiter. Jesus werde als Armeegeneral zurückkehren, um Krieg gegen böse Nationen zu führen und seine Feinde zu vernichten.

Zu den Endzeit-Verkündern gehört auch der Zürcher Roger Liebi, seines Zeichens Doktor der Theologie. Der feurige Apologet ist weltweit als Bibellehrer und Referent tätig.

"Was sich hier anbahnt, ist genau das Szenario, das die Bibel voraussagt für die weitere Zukunft", erklärt Liebi in einem Video zum Gaza-Krieg. "Wir haben noch nicht die Erfüllung, die kommen wird, aber es ist wie die Generalprobe vor der großen Drangsal. Das wird der letzte und schrecklichste Weltkrieg sein. Und dann wird Jesus Christus als König kommen."

Die Entrückung kann jeden Tag geschehen

Liebi behauptet weiter, "die Entrückung der Gemeinde könnte jeden Tag geschehen. (…) Diese Ereignisse sind klare Endzeit-Zeichen, die echten Christen, die eine lebendige Beziehung zu Jesus haben, Hoffnung geben." Der bekannte Buchautor sieht in der Entwicklung im Nahen Osten auch etwas "Wunderbares": "Wir wissen: Jesus Christus kommt bald."

Auch Leo Bigger, Gründer und Senior-Pastor der erfolgreichen Freikirche International Christian Fellowship (ICF), predigte kürzlich zur Frage der Endzeit. Er ließ sich allerdings nicht dazu verleiten, die Apokalypse zeitnah zu prophezeien. Doch seine Aussagen wirken teilweise wirr, wenn nicht gar widersprüchlich. Er zitiert Bibelstellen, die ein baldiges Ende der Zeit suggerieren. Aber auch solche, die der Menschheit noch eine Schonfrist geben.

Bei Bigger klingt es so: "Wir erweckte, wiedergeborene Christen kennen das Ende der Bibel. Wir wissen am Ende des Tages, was passiert: Gott gewinnt. Wir gehören zum Winning-Team von unserem Gott im Himmel. Unsere Zukunft ist größer als unsere Vergangenheit. Das gibt uns Hoffnung."

Diese Hoffnung garniert der Zürcher Pastor mit göttlichen Schmeicheleinheiten an seine jungen Gläubigen: "Du bist nicht misslungen, kein Montagskind. Du bist König der Schöpfung. Jeder Tag, an dem Gott an dich denkt, jubelt der ganze Himmel über deinen Namen."

Christliche Endzeitpropheten durchforsten seit je das Alte und Neue Testament und interpretieren die vielen, teilweise widersprüchlichen Hinweise auf das Ende der Zeit. Sie sind überzeugt, dass biblische Aussagen, die vor 2.000 und 3.000 Jahren gemacht wurden, die politische Situation von heute vorausgesagt haben.

Historische Spekulationen

Doch das sind reine historische Spekulationen der gewagten Art. Diese führten unter anderem dazu, dass bei jedem Konflikt im Nahen Osten, speziell in Israel, Endzeitsehnsüchte geweckt wurden.

Die christlichen Propheten der Neuzeit werteten beispielsweise alle Auseinandersetzungen im gelobten Land als apokalyptische Zeichen und beschwörten das Ende der Zeit herauf. Das war 1948 bei der Gründung Israels der Fall, 1967 beim Sechstagekrieg und 1973 beim Jom-Kippur-Krieg.

Roger Liebi schrieb ein ganzes Buch über die Endzeitzeichen in der Bibel, übertrug sie auf die heutige politische Weltlage und interpretierte sie als apokalyptische Signale. Doch das sind gewagte theologische und historische Spekulationen.

Laut Bibel müssen drei hauptsächliche Bedingungen für die Wiederkunft von Jesus Christus erfüllt sein:

  1. Die in alle Welt verstreuten Juden müssen sich wieder im gelobten Land vereinen.
  2. Die Juden müssen Jesus als Heiland und Sohn Gottes anerkennen, was sie heute nicht tun.
  3. Das Evangelium muss weltweit verbreitet sein.

Das sind problematische und anmaßende Bedingungen. Die Christen schreiben den Juden vor, was sie zu glauben haben. Und die Verbreitung des Evangeliums bis in den hintersten Winkel der Erde führte zu einer bedenklichen, teilweise kolonialistischen Missionierung vieler Völker.

Nur der Vater kennt die Stunde

Wenn die christlichen Endzeitverkünder die Bibel ernst nähmen, würden sie sich vor apokalyptischen Spekulationen hüten. Denn es gibt im Neuen Testament eine Aussage von Jesus, die dem Spuk ein Ende setzen müsste.

Auf dem Ölberg fragten die Jünger Jesus laut Matthäus über die Zeichen der Endzeit aus. Dieser antwortete: "Gebt Acht, dass euch niemand irreführt." Und: "Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater."

Die christlichen Endzeitvorstellungen bringen seltsame Blüten hervor. Bei vielen Freikirchen und frommen Christen entfacht der Gaza-Krieg ein wahres Endzeitfieber und weckt die Sehnsucht nach der Wiederkunft von Jesus Christus. Damit verbunden ist die Hoffnung auf die Entrückung und Erlösung.

Dass dabei der Großteil der Menschheit unvorstellbare Qualen erleiden und in der ewigen Verdammnis landen würde, ist für sie kein Thema. Hauptsache, sie gehören zu den Erretteten.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.

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