BERLIN. (dghs) Anlässlich des zurzeit in Hamburg stattfindenden Deutschen Ärztetages appelliert DGHS-Präsidentin Elke Baezner an die Ärzte, gerade vor dem Hintergrund des seit kurzem geltenden Verbots der organisierten Sterbehilfe ergebnisoffen und angstfrei ihren Patienten im Sterbeprozess zur Seite zu stehen.
"Wir haben Sorge, dass sich Ärzte von der Gesetzeslage verunsichern lassen und Patienten, die ein aussichtsloses Leiden durch einen selbstbestimmten Tod abkürzen wollen, sich keinen Rat wissen. Entsprechende Nachfragen von Ratsuchenden bei uns zeigen, dass die Menschen in Deutschland den Eindruck haben, in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt zu sein und oft niemanden haben, an den sie sich vertrauensvoll wenden können." Nach dem Verbot der organisierten Suizidhilfe in Deutschland durch die Politik zögen die Menschen daraus die Konsequenz, dass sie sich weiterhin allenfalls nur an eine Schweizer Sterbehilfeorganisation wenden können. Baezner: "Der Wunsch der Menschen, auf einen Notausgang zurückgreifen zu können, ist ungebrochen."

Jedoch: "Wir hören von den Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz, dass sie immer mehr Anfragen aus Deutschland erhalten, welche sie vollumfänglich gar nicht bewältigen können." Daraus folgert Baezner: "Das als § 217 gültige Strafgesetz muss umgehend wieder gestrichen werden. Wir sind deshalb sehr froh, dass bereits eine erste Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe anhängig ist und dass weitere folgen werden."
Bundesärztekammer-Präsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery hatte in seiner Eröffnungsrede beim 119. Deutschen Ärztetag am Dienstag die Schaffung eines neuen Strafrechtsbestandes als "richtungsweisenden Beschluss" bezeichnet. Das Gesetz sei eine "klare Absage an organisierte Sterbehilfe ohne strafrechtlichen Eingriff in das Patient-Arzt-Verhältnis."
Zudem hatte Montgomery die "Überzeugungskraft unserer Argumente" betont, welche "sich auch in der überraschend hohen Zustimmung zu dem von uns unterstützten Antrag" niedergeschlagen habe. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) hatte in den vergangenen Monaten gemeinsam mit anderen humanistischen Organisationen und unterstützt von zahlreichen Prominenten und einer großen Zahl von Strafrechtsprofessoren vehement gegen eine Verschärfung des geltenden Strafrechts protestiert.
Elke Baezner: "Es ist offensichtlich, dass der Deutsche Bundestag im vorigen Herbst vielleicht im Sinne der Ärzte und der Kirchen entscheiden hat, aber sicherlich nicht im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung. Deshalb muss das Gesetz wieder weg! Die Debatte um Sterbehilfe geht weiter."
Pressemitteilung der DGHS
10 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Finde die Antwort - ist Montgomery nun als erklärter Sterbehilfegegner pro § 217 (3.-letzter Absatz) oder pro DGHS (Folgeabsatz)?
Olaf Sander am Permanenter Link
--- "Es ist offensichtlich, dass der Deutsche Bundestag im vorigen Herbst vielleicht im Sinne der Ärzte und der Kirchen entscheiden hat, aber sicherlich nicht im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung.
Da hat Frau Baetzner Recht! Und ich heize diese Debatte an, wo und wann ich nur kann. Erstaunt bin ich darüber, wie offen die Türen sind, die ich dabei einrenne. Sogar bei jungen Leuten, also solchen, die eigentlich noch nicht über das Sterben nachdenken. Aber auch die haben Augen im Kopf und gerade bei diesem Thema sind es nicht wenige, die weit über ihren Tellerrand hinausschauen können.
Was mich wirklich ankotzt und wo unbändige Wut in mir hochsteigt wenn ich nur darüber nachdenke, ist die Regelung darüber, dass nur noch Angehörige oder nachweisbar sehr nahestehende Personen straffrei passive Sterbehilfe leisten dürfen.
Ich finde, das ist auf gleich mehreren Ebenen eine so dermaßen fiese und hinterfotzige Regelung, dass ich wirklich Mühe habe, nicht meine Beherrschung zu verlieren.
Wie viele Kinder werden in der Lage sein, Vater oder Mutter beim Sterben zu helfen? Wie viele Eltern, Geschwister, Eheleute und beste Freunde würden diese Hilfe leisten wollen?
Und wie viele von denen die helfen würden, haben die medizinische Kompetenz, plus den Zugang zu den entsprechenden Mitteln, so zu helfen, dass die Sterbehilfe auch wirklich so reibungslos und human passiert, wie es eben nur geht - ohne Pentobarbital?
Mit diesem Gesetz wurde überhaupt nichts geregegelt. Nur etwas für die Zukunft installiert. Nämlich Schmerz, Leid und Traumata. Und davon nicht zu knapp. Mich wundert es nicht, dass die Kirchen da (mal wieder) ihre sündigen Finger mit im falsch gespielten Spiel hatten. Gehörten sie doch schon immer zu den besten Adressen, wenn es um das Leiden ging.
Wenn das nächste Mal im Fernsehen wieder einer dieser Politiker vom säkularen Staat faselt, dann lache ich laut und wechsle den Kanal. Denn so lange Menschen leiden müssen, weil Religionen die Politik diktieren, sind wir noch Welten weg von der weltanschaulichen Neutralität des Staates und weitaus näher am Gottesstaat, als uns uns lieb (und Recht!) sein kann.
Frank Spade am Permanenter Link
Das Gesetz hat nichts gegen die "passive Sterbehilfe" bewirkt. Die ist weiterhin von jedermann zulässig.
Olaf Sander am Permanenter Link
Ganz genau darum geht es mir. Dass die passive Sterbhilfe weiterhin von jedermann zulässig ist. Aber ist jedermann auch zuverlässig? Wie kompetent ist jedermann?
Dieses Gesetzt hat diejenigen unter Strafe gestellt, die mehrfach Sterbehilfe geben könnten, weil sie die medizinische und psychologische Kompetenz, die mentale Stärke, den Willen und, eventuell, auch die Erfahrung dazu haben.
Also eben nicht jedermann.
Liane Mueller-Knuth am Permanenter Link
Das ist überaus positiv zu bewerten, das die DGHS sich hier nochmal stark macht und im Sinne der Menschen kommentiert, die darin den letzten Weg sehen einem langen Leiden und/oder einer schweren Krankheit selbstbestim
Ich würde das für mich auch so wollen, dafür habe ich eine Patientenverfügung gemacht. Leider muss man z. Zt. Angst haben, das der letzte Wille nicht akzeptiert wird. Danke an Frau Baezner !!!
Thomas Friedrich am Permanenter Link
"Zudem hatte Montgomery die "Überzeugungskraft unserer Argumente" betont, welche "sich auch in der überraschend hohen Zustimmung zu dem von uns unterstützten Antrag" niedergeschlagen habe.
Diese Argumente haben allerdings weder die Bevölkerung noch die meisten mit dem Thema vertrauten Moralphilosophen überzeugt. Überzeugt haben sie nur die Abgeordneten, die für ihre Kirchennähe und Gedankenlosigkeit in bioethischen Fragen bekannt sind.
Dass der Kampf für die Selbstbestimmung am Lebensende fortgsetzt wird, finde ich löblich. Allerdings glaube ich, dass man in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren keine Veränderung erwarten kann.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Gerade nach dem Widerspruch fragte ich. Mit der Überzeugungskraft "unserer" Argumente sind doch dir der DGHS gemeint.
Frank Spade am Permanenter Link
Dass es im vorletzten Absatz "unserer Argumente" heißt ist missverständlich, außer man erkennt, dass es ein Zitat von Montgomery sein soll. Wer hier spricht kann aber leicht verwechselt werden.
Jo Friesen am Permanenter Link
Es stimmt:
Wenige Betroffene halten die Belastung aus, ihre fotografierten Köpfe in den Medien hinzuhalten, sowieso: es verpufft. Als "Kasuistik" fegte ein Experte einmal solche "Einzelfälle" in einer Fernsehsendung vom Tisch. Alles ist gut.
Die Kirchen können auf eine lange Tradition verweisen und versprechen das ewige Leben.
Palliativmediziner äußern sich inzwischen manchmal anonym zu Realitäten, im Radio zu später Stunde, in Leserkommentaren: es ist nicht immer alles machbar und gut. Von wenigen, die vorher in den Medien offen gesprochen haben, hört man nichts mehr.
Auch ich möchte meinen Kopf nach einer langen Krankengeschichte nicht hinhalten.
Sehr Kranke frisst das Nichts.
Jo Friesen am Permanenter Link
Möglicherweise erhalten jetzt auch Organisationen in den Niederlanden mehr Zulauf, die allerdings nur beratend tätig sind wie z.B. De Einder, Levenseindecounseling, NVVE oder CLW.
Auch Frankreich ist dort mit der ADMD stark vertreten, sie verlinkt permanent ihre Aktivitäten und expandiert in die Regionen. ADMD und NVVE haben Abzweige für Jüngere (ADMD jeunes, NVVE jongeren).
Wir können uns in Deutschland die Finger wund schreiben - es wird nichts ändern. Ich habe den Eindruck, wir wissen wenig. Hingegen tut man so, als müsse man das Rad neu erfinden. Sind die Sprachen eine Barriere?
Ich verstehe nicht: Warum hat die DGHS den vorliegenden Artikel bis heute nicht auf ihrer eigenen Twitter-Seite verlinkt? https://twitter.com/DghsPresse
Oder den 4-tägigen Weltkongress zur Sterbehilfe in Amsterdam vor 3 Wochen? http://euthanasia2016.com/program/presentations-euthanasia-2016/