BERLIN. (hpd) Gestern wurde vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" eine Studie vorgestellt, die das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid in deren Auftrag erhoben hat. Dabei zeigt sich deutlich, dass Türkeistämmige der 2. und 3. Generation in Deutschland integriert sind und die grundgesetzlichen Werte achten. Die Studie zeigt aber auch das Maß der empfundenen Ausgrenzung und die daraus folgende Zuwendung zum Islam.
Überraschend ist, so Prof. Dr. Detlef Pollack, der die Studie gestern in Berlin vorstellte, dass immerhin 90 Prozent der Türkeistämmigen in Deutschland sich im Land wohlfühlen. Mehr als die Hälfte jedoch sieht sich selbst als sozial nicht anerkannt.
Dieser Widerspruch überraschte auch die Wissenschaftler des Exzellenzclusters. "Das Bild von der persönlichen Lebenssituation der in Deutschland lebenden Türkeistämmigen ist positiver, als man es angesichts der vorherrschenden Diskussionslage zur Integration erwarten würde" stellte Prof. Dr. Detlef Pollack fest. Allerdings sei auf der anderen Seite nicht zu übersehen, dass sich die Befragten ausgegrenzt fühlen.
Dabei seien Gefühle der Benachteiligung unter den Türkeistämmigen nicht weiter verbreitet als in der Gesamtheit Deutschlands. Etwa die Hälfte der Befragten ist der Meinung, dass sie im Vergleich dazu, wie andere in Deutschland leben, ihren gerechten Anteil erhalten. In der Gesamtbevölkerung in Westdeutschland sind es nicht mehr, die das von sich sagen, im Osten sogar weniger. Allerdings fühlen sich die Hälfte der Zuwanderer aus der Türkei und ihrer Nachkommen sich als "Bürger zweiter Klasse", egal wie sehr sie sich anstrengen dazuzugehören.
Ein Großteil der Türkeistämmigen erkennt, dass Integration daran geknüpft ist, gute Deutschkenntnisse zu haben, die Gesetze des Landes zu kennen und einzuhalten sowie Kontakte zur deutschen Mehrheitsgesellschaft zu pflegen.
Die Studie brachte allerdings auch zutage, dass es einen doch sehr starken Anteil an Türkeistämmigen gibt, deren Verhalten nicht darauf schließen läßt, dass sie in der Gesellschaft integriert sind. In der Studie (Seite 13) heißt es dazu:
Der Anteil derjenigen, die Haltungen bekunden, die schwerlich als kompatibel mit den Grundprinzipien moderner "westlicher" Gesellschaften wie der deutschen bezeichnet werden können, ist unter den Türkeistämmigen teilweise beträchtlich Der Aussage "Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe" stimmen 47 % der Befragten zu. Dass Muslime die Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten Mohammeds anstreben sollten, meinen 32 % der Befragten. 50 % der Türkeistämmigen stimmen der Aussage "Es gibt nur eine wahre Religion" stark bzw. eher zu, und 36 % sind davon überzeugt, dass nur der Islam in der Lage ist, die Probleme unserer Zeit zu lösen. Der Anteil derjenigen mit einem umfassenden und verfestigten islamisch- fundamentalistischen Weltbild (Zustimmung zu allen vier Aussagen) liegt bei 13 % der Befragten.
Prof. Dr. Pollack sprach von einem "Potential", auf das Fundamentalisten zurückgreifen können. Positiv sei allenfalls, dass die 2. und 3. Generation ein weniger geschlossen fundamentalistisches Weltbild haben als die Türkeistämmigen der ersten.
Erschreckend aus Sicht von Atheisten und Humanisten dürfte auch sein, dass drei Viertel der Zuwanderer und ihrer Nachkommen für ein Verbot von Büchern und Filmen, die die Gefühle tief religiöser Menschen verletzen, plädieren. Zwei Drittel der Befragten denken, der Islam passe durchaus in die westliche Welt, während 73 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland das Gegenteil meinen.
Aus den Daten ließe sich ableiten, dass der Mangel an sozialer Anerkennung in Zusammenhang mit einer teilweise vehementen Verteidigung des Islam steht. "Im scharfen Gegensatz zur Haltung der Mehrheitsbevölkerung schreiben die Türkeistämmigen dem Islam vor allem positive Eigenschaften wie Solidarität, Toleranz und Friedfertigkeit zu."
Die Wissenschaftler vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" geben den Rat: "Politik und Zivilgesellschaft sollten dringend mehr Kontakte zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen fördern. Ob in Sportvereinen, Schulen, Bildungshäusern, Kirchen- oder Moscheegemeinden: Sie sollten sich treffen, gemeinsam aktiv werden, vorurteilsfrei diskutieren oder feiern. Signale mangelnden Respekts und verweigerter Anerkennung sind zu vermeiden."
"Beide Seiten sind gefordert", sagte Prof. Dr. Detlef Pollack. "Die deutsche Mehrheit sollte mehr Verständnis für die spannungsreiche Lage der Türkeistämmigen – zwischen Herkunftsprägung und Anpassung – aufbringen." Sie solle differenziert wahrnehmen, dass die überwiegende Mehrheit der Zugewanderten keine fundamentalistische Einstellung aufweise. Die Türkeistämmigen wiederum sollten auf Vorbehalte nicht nur empört reagieren, sondern sich auch kritisch mit den gleichwohl anzutreffenden fundamentalistischen Tendenzen in den eigenen Reihen auseinandersetzen.
Die Studie ist auf der Webseite des Exzellenzcluster verfügbar.
6 Kommentare
Kommentare
Jann Wübbenhorst am Permanenter Link
Zitat: "Die Studie zeigt aber auch das Maß der empfundenen Ausgrenzung und die daraus folgende Zuwendung zum Islam."
"Zwei Drittel der Befragten denken, der Islam passe durchaus in die westliche Welt" - "Drei Viertel der Zuwanderer und ihrer Nachkommen [plädieren] für ein Verbot von Büchern und Filmen, die die Gefühle tief religiöser Menschen verletzen": Diese beiden Aussagen stehen in einem gewissen Gegensatz zueinander. Möglicherweise ist mit "der Islam passt in die westliche Welt" bei einem Teil der Befragten eher "die westliche Welt kann sich dem Islam anpassen" gemeint.
"Beide Seiten sind gefordert", sagte Prof. Dr. Detlef Pollack. - Das scheint mir in jedem Fall richtig. Das Einnehmen der Opferrolle, wie es die konservativen Islamverbände so gerne zelebrieren, wirkt da eher kontraproduktiv.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Differenzieren. Immer wieder. Das vermisse ich ebenfalls seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, auf beiden Seiten.
little Louis am Permanenter Link
Zitat Nr. 1:
"..Der Anteil derjenigen, die Haltungen bekunden, die schwerlich als kompatibel mit den Grundprinzipien moderner "westlicher" Gesellschaften wie der deutschen bezeichnet werden können, ist unter den Türkeistämmigen teilweise beträchtlich Der Aussage "Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe" stimmen 47 % der Befragten zu.
Zitat Nr. 2:
"..."Die deutsche Mehrheit sollte........ differenziert wahrnehmen, dass die überwiegende Mehrheit der Zugewanderten keine fundamentalistische Einstellung aufweise."(
Ende der Zitate)
Ich sehe einen gewissen Widerspruch zwischen Aussage eins und zwei.
(vorausgesetzt die beiden Zitate geben den Inhalt der Studie korrekt wieder.)
Man könnte natürlich (rhetorisch) einwenden, dass 53 % (potentielle ?) Verfassungsgegner KEINE "beträchtliche" Minderheit seien und dass diese Einstellung (noch) nicht fundamentalistisch sei.
Wenn dann aber selbst NICHT- fudamentale Muslime (47%) die Gesetze der Religion ÜBER die des demokratischen Rechtsstaats zu stellen bereit sind, sollte man differeziert wahrnehmen, dass fast die Hälfte der Befragten (!) keine Demokraten sind und deren Weg zum Fundamentalismus eventuell nur noch ein ganz kleiner Schritt ist.
Dies trifft ganz besonders dann zu wenn, aus "teilweise beträchtlichen Anteilen" (Zitat aus Text) in wirtschaftlichen Krisenzeiten oder bei wirklich harten Konfrontationenmit muslimischen Theokratien oder schlicht aus demografischen Gründen irgendwann mal (mehr oder weniger beträchtliche ) Mehrheiten werden.
Oder hält jemand so etwas für gänzlich ausgeschlossen?
David am Permanenter Link
Den Widerspruch sehen nicht nur Sie.
Davon abgesehen ist es auch gar nicht notwendig, hier eine Mehrheit zu diagnostizieren. Eine fundamentalistische Minderheit mit einer latent akzeptierenden Mehrheit ist völlig ausreichend, um ein gravierendes Problem darzustellen. Das sollten wir als Deutsche eigentlich nur zu gut wissen.
David am Permanenter Link
"Gestern wurde vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" eine Studie vorgestellt, die das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid in deren Auftrag erhoben hat.
Eine äußerst merkwürdige Zusammenfassung in der Einleitung und eine völlige Verdrehung der ermittelten Erkenntnisse. Der Autor zitiert sogar selbst: "Der Anteil derjenigen, die Haltungen bekunden, die schwerlich als kompatibel mit den Grundprinzipien moderner "westlicher" Gesellschaften wie der deutschen bezeichnet werden können, ist unter den Türkeistämmigen teilweise beträchtlich".
Die Studie ist eigentlich ziemlich niederschmetternd, aber nicht wirklich anders als all die anderen, die wir für D oder auch das europäische Ausland kennen.
Asinello am Permanenter Link
In den Präsentationen wurden "stimme eher zu" und "stimme stark zu" gerne mal zusammengefasst.
Hmmm. Der prozentuale Anteil "religiöse Fundamentalisten" fällt im Vergleich zu den anderen Balkengruppen erstaunlich klein aus. Im Mittelwert liegt er unter dem Mittel der letzten Wahlergebnisse der AfD. In der 2./3. Generation ist er deutlich darunter und halb so stark ausgeprägt wie in der ersten. Interessant. Fällt das hier wirklich nur mir auf? Auch interessant.
Übrigens entsinne ich mich, im Lauf der Jahrzehnte (lange vor den Dänischen Mohammed-Karikaturen) mehrere Studien mitbekommen zu haben, die immer wieder besagten, gerade die Wahrnehmung von Ausgrenzung und Abwertung trüge dazu bei, dass Kinder von Zuwanderern ihre Identität verstärkt und intensiver in der "Gruppe der Ausgestoßenen" und eben auch in der Religion suchen - und der Grad der "Fömmigkeit" klar mit dem gefühlten Grad "mangelnder Gleichbehandlung" zusammenhinge. Schön, dass immerhin auf diesen Zusammenhang hingewiesen wurde. Ob das abnimmt, sich verfestigt hat oder zunimmt, wäre für mich eine wirklich interessante Info geswesen. War nicht dabei. Schade.
Es wäre vielleicht nicht ganz uninteressant, bei welchen Gelegenheiten welche Formen von Ausgrenzung und Abwertung erlebt werden. Ein solches "Spiegelbild" könnte es der "Mehrheitsgesellschaft" erlauben, differenzierte Wahrnehmungen zum eigenen Rassismus zu entwickeln. Aber auch darum scheint es in der Studie nicht zu gehen. Die fragte nur nach wirtschaftlichem Erfolg (was dann den Schluss nahelegt, Ausgrenzung sei eingebildet). Mir erscheint es beinahe, als wären "die Fremden" mit gewissen Vorbehalten von Ferne beäugt worden. Ich hätte lieber einen anderen Eindruck gewonnen.