Old meets New Economy

Liaison mit Zukunft

Was will und was kann Politik tun, um das Handwerk zu unterstützen und in eine nachhaltige Wirtschaftspolitik einzubinden? Diesen und weiteren Fragen soll in einem hpd-Interview mit dem Berliner Grünen-Vorsitzenden Daniel Wesener auf den Grund gegangen werden.

hpd: Die Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus von Bündnis 90/Die Grünen hat einen Sprecher für Kultur- und Kreativwirtschaft, sie hat jedoch keinen für Mittelstandspolitik. Kann man mit dem Handwerk im Wahlkampf nicht punkten? Braucht Grüne Wirtschaftspolitik den medialen Glanz der New Economy, der Kultur- und Kreativwirtschaft, der Startups? Welchen Stellenwert messen Sie dem Handwerk im Rahmen einer ökologisch orientierten Wirtschaftspolitik bei?

Daniel Wesener: Wenn Sie in unserem Wahlprogramm nach den Stichworten Startups, Kreativwirtschaft oder New Economy suchen, werden Sie diese Begriffe nicht öfter finden als die Worte Handwerk oder Mittelstand. Schon das zeigt, dass wir die Old Economy gleichberechtigt neben der New Economy sehen. Wir Grünen haben hier insbesondere die kleinen und mittelständischen Unternehmen immer fest im Blick. Sie sind und bleiben der wichtigste Jobmotor in Berlin.

Was wollen die Grünen tun, damit dieser Jobmotor nicht ins Stottern kommt?

In unserem Wahlprogramm machen wir da viele Vorschläge. Wir wollen zum Beispiel, dass kleine und mittlere Betriebe von unnötiger Bürokratie, etwa durch Entrümpelung von Berichts- und Statistikpflichten, entlastet werden. Im Vergaberecht möchten wir die Möglichkeit stärken, Hersteller aus der Region besser zu berücksichtigen. Uns ist wichtig, dass die Kosten der Energiewende fair verteilt werden und nicht länger zu Wettbewerbsverzerrungen auf Kosten der kleinen Betriebe führen. Und wir wollen endlich den Fachkräftemangel angehen, gemeinsam mit den Betrieben und Kammern. Last but not least: Die Energiewende, die energetische Gebäudesanierung aber auch Reparatur-Initiativen haben das Zeug zu einem "grünen Wirtschaftswunder". Davon profitiert nicht nur die Umwelt, sondern auch das Handwerk.

Bei der Bedeutung, die Sie dem Handwerk zuschreiben, muss grüne Wirtschaftspolitik die Zukunftssicherheit von Handwerksbetrieben immer im Auge haben. Ohne die Chancen der Digitalisierung zu ergreifen bleibt das Handwerk jedoch nicht konkurrenzfähig und verschwindet vom Markt. Werden wir konkret, Herr Wesener: Was kann eine Landesregierung tun, um dafür die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen? Was sind die ersten Schritte?

Schnelles Internet ist mit Sicherheit die wichtigste Voraussetzung für die Digitalisierung, auch im Handwerk. Wir wollen daher den flächendeckenden Ausbau des Breitbandnetzes mit glasfaserbasierten Internetanschlüssen bis spätestens 2021. Aber auch Berlins Öffentliche Verwaltung muss endlich digitaler werden, etwa durch die Einführung der E-Akte oder den Einsatz von offener und freier Software. Das führt zu mehr Service und Transparenz, verkürzt aber auch die Bearbeitungszeiten und beschleunigt Genehmigungsverfahren. Berlins wirtschaftliche Chancen hängen nicht zuletzt davon ab, ob die Verwaltung in der Stadt zukünftig wieder richtig funktioniert.

Vor wenigen Monaten wurde das "E-Government-Gesetz Berlin" vom Senat verabschiedet. Ist das kein Fortschritt?

Zumindest ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Aber dem Land Berlin fehlt nach wie vor eine echte Digitalisierungsstrategie - nicht nur für die öffentliche Verwaltung. Im Senat muss endlich eine zentrale Stelle eingerichtet werden, die alle Aktivitäten in diesem Bereich federführend koordiniert. Wir schlagen dafür die Einsetzung eines CIO (Chief-Information-Officer) und die Gründung einer Digitalwende-Agentur vor.

Welche Aufgaben und Funktionen soll diese "Digitalwende-Agentur" denn haben?

Die Digitalwende-Agentur soll als Akteurin in öffentlicher Trägerschaft die Digitalisierung der Landesunternehmen und der Öffentlichen Verwaltung unterstützen, aber auch den kleinen und mittleren Unternehmen zur Seite stehen. Sie initiiert Pilotvorhaben, etwa in Kooperation mit den Berliner Hochschulen, und berät Gründer sowie Berlins Mittelstand bei der Ausschöpfung von Fördermitteln, der Optimierung der Bürokommunikation oder digitalen Geschäftsmodellen.

Sehen Sie im Datenschutz einen Hemmschuh für notwendige Digitalisierungsmaßnahmen?

Nein! Datenschutz und IT-Sicherheit spielen im digitalen Zeitalter eine immer größere Rolle, auch was die Akzeptanz von Online-Services anbelangt. Statt dem technologischen Fortschritt hinterherzulaufen, müssen wir ihn gestalten. Das geht nicht ohne die entsprechende Gesetzgebung auf europäischer und Bundesebene. Aber wir werden auch alle Möglichkeiten, die das Land Berlin hat, nutzen, um die informationelle Selbstbestimmung zu stärken und den Missbrauch von Daten zu verhindern. Dafür wollen wir zum Beispiel eine Informationsstelle IT-Sicherheit schaffen, die den Mittelstand und das Handwerk bei der Einführung von IT-Sicherheitslösungen berät.

Herr Wesener, ich möchte zum Schluss unser Gespräch in eine andere Richtung lenken. Sie sprachen im Zusammenhang ökologisch sinnvoller Geschäftsfelder von einem möglichen "grünen Wirtschaftswunder". In Ihrem Wahlprogramm steht, dass der grüne Weg hin zum "Teilen, Reparieren und Wiederverwenden" und weg vom "Nutzen und Wegwerfen" führt. Was haben Sie da konkret vor? 

Wir wollen zunächst einmal das Bewusstsein dafür schärfen, dass Recycling und eine echte Kreislaufwirtschaft Vorteile für alle mit sich bringt: für die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Wirtschaft und die Umwelt. Wir möchten, dass zukünftig weniger Müll anfällt und mehr verwertet wird. Elektroaltgeräte etwa sollten zunächst einmal auf ihre Reparaturtauglichkeit getestet oder als Ersatzteile verwendet werden. Wir werden daher die Reparaturfreundlichkeit von Produkten gezielt fördern, aber auch die Repair-Café-Bewegung.

Stehen die Repair-Cafés nicht in Konkurrenz zu den Handwerksbetrieben?

Nein. Repair-Cafés sind keine Konkurrenz für Handwerksbetriebe. Besucher werden in schwierigen Fällen regelmäßig weiter verwiesen. Zunehmend kooperieren professionelle Handwerkerinnen und Handwerker auch mit ehrenamtlichen Reparatur-Initiativen. Für Geräte wie Waschmaschinen oder Elektroherde, die für Repair-Cafés nicht geeignet sind, könnten in Zusammenarbeit mit dem Handwerk offene Werkstätten und ein Vor-Ort-Kundendienst aufgebaut werden. Aber das auszuführen würde dieses Interview wohl sprengen.

Herr Wesener, ich bedanke mich für das Gespräch.

Das Interview führte Herbert Nebel für den hpd.

Daniel Wesener ist seit März 2011 Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Berlin. Die Partei und ihr Programm immer "weiter zu entwickeln, neue Themen aufzugreifen und daran zu arbeiten, dass aus Grünen Ideen politische Lösungen werden", bezeichnet er als eine seiner schönsten Aufgaben. Dabei setzt er auf Diskussion und sucht den Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen. 
Im Oktober 2015 wurde Daniel Wesener gemeinsam mit Bettina Jarasch, Antje Kapek und Ramona Pop vom Landesparteitag als Mitglied des grünen Spitzenteams für die Abgeordnetenhauswahl am 18. September 2016 nominiert.

  1. Unter Kultur- und Kreativwirtschaft werden “diejenigen Kreativunternehmen erfasst, welche überwiegend erwerbswirtschaftlich orientiert sind und sich mit der Schaffung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung von kulturellen/kreativen Gütern und Dienstleistungen befassen”. Ihre Segmente Design, Mode, Musik, Kunstmarkt, Film und Werbung sind gekennzeichnet von einer überdurchschnittlichen Zahl von Unternehmensgründungen mit geringer Betriebsgröße und Kapitalintensität sowie überdurchschnittlich wachsenden aber volatilen Umsatzentwicklungen. Dieser Wirtschaftszweig ist ein wichtiger Arbeitsmarktfaktor, deren Akteure offen sind für Innovationen und das Pflegen internationaler Kooperationsbeziehungen. Ihre Arbeitsergebnisse (z.B. Design) fließen in Wirtschaftszweige aller Art ein und sind bisweilen Motor für Innovationen. ↩︎
  2. Als Startup werden junge Unternehmen bezeichnet, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie eine innovative Geschäftsidee haben und schnell wachsen wollen um einen hohen Wert zu erreichen. Am Anfang eines erfolgreichen Startups stehen fast immer eine brillante Idee und geringe finanzielle Ressourcen. Deshalb muss das Startup ein funktionierendes, skalierbares Geschäftsmodell entwickeln um das Geld risikofreudiger Investoren zu erhalten. Das überdurchschnittliche Wachstumspotential der Startups ist weitaus größer als das des Handwerksbetriebs an der Ecke. Und genau das macht den Unterschied aus. ↩︎
  3. Als Handwerk werden zahlreiche gewerbliche Tätigkeiten bezeichnet, die Produkte meist auf Bestellung fertigen oder Dienstleistungen auf Nachfrage erbringen. Der Begriff bezeichnet auch den gesamten Berufsstand. Die handwerkliche Tätigkeit steht der industriellen Massenproduktion gegenüber. Handwerksbetriebe gehören i.d.R. dem unternehmerischen Mittelstand (KMU) an. ↩︎