Kolumne: Sitte & Anstand

Mein Weg in die Spiritualität, Teil 4: Zu viel Yoga ist auch nicht gesund

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Oh, es gibt ja so viele Realitäten, oder, noch besser, so viele Level von Realität! Das ist mal sicher. So sicher wie der Deep State, so sicher wie die Rente, so sicher wie der nächste Weltuntergang – deren wir ja schon einige erlebt haben, und doch sind wir immer noch da. Wie viel mehr Beweise braucht es denn noch, dass da so unendlich viel mehr ist, das unser beschränktes Bewusstsein nicht alles umfangen und verarbeiten kann?

Eine Stimme aus dem Internet ist zu mir gekommen, sie hat meine Bemühungen um ein erleuchtetes Weiterleben verfolgt, und sie hat meine tief verborgenen Zweifel bestätigt, die ich an der Wirksamkeit des Entstör-Topfs für 4.950 Euro noch hatte. Die Stimme aus dem Internet meint, der Entstör-Topf sei gar nicht spirituell! Vielleicht gibt es da noch tiefere Weisheiten, für die ich jetzt erst bereit bin?

Die Stimme aus dem Internet weist mich auf "die berühmte britische Dichterin Kathleen Raine" hin und zitiert: "Jede spirituell fundierte Zivilisation hat nicht die Mehrung von Bedürfnissen als ihr oberstes Ziel gesehen, sondern die Minderung des Verlangens nach materiellem Besitz." Und während ein oberflächlicher Teil von mir noch überlegt, welche spirituell fundierten Zivilisationen hier gemeint sein könnten – der Vatikanstaat? Der IS? Saudi-Arabien? Der Jedi-Tempel? Die Menschenopferkultur der Azteken? –, trappeln meine Finger auf der Tastatur schon durchs unendliche Infonetz: "Kathleen Raine" also, ja, hat es wirklich gegeben, hat eine Zeitschrift gegründet, aus der eine Akademie hervorgegangen ist, als deren Schirmherr der große europäische Denker Prinz Charles Windsor von Wales fungiert, und wie ein gütiges Schicksal es will, kann ich mir auf YouTube ein paar Vorträge aus dieser Akademie anschauen: Kurz lasse ich den Schoschonen-Häuptling auf mich wirken, der über den Sonnentanz seiner Leute berichten soll, und der weihevoll von einem bekennenden Muslim anmoderiert wird: Längst haben die untergehenden Götter ja eine Koalition gebildet gegen die Aufklärung, die Welt der schnöden Erkenntnis. Als der Schoschonen-Häuptling endlich zu Wort kommt und erst mal ein paar unscharfe Aufnahmen seiner Heimatgegend vorführt, sucht meine Seele sich einen anderen Film: Herr Ravi Ravindra berichtet über "Science and the Sacred", über Wissenschaft und das Heilige also: Es lohnt sich wirklich, das anzuschauen.

Wenn man zum Beispiel Einschlafprobleme hat. Diese angenehme Wolkigkeit! Diese Freude an kindlichen Vorstellungen von der Welt! Diese Begeisterung für alles, was sich durch intensives Herumsitzen, Augenzumachen und Atmen erschließen lässt! Oder man liest Schriften von Leuten, die schon viel früher, zu ihrer Zeit, viel herumgesessen und ihre Augen zugemacht haben. Nichts gegen Meditation oder von mir aus Yoga, wer's braucht. So was macht Freude, es zentriert einen, bringt Körper und Geist zusammen. Allerdings scheint mir die Dosierung hier eine entscheidende Frage zu sein: Kommt irgendwann der Kipp-Punkt, ab dem man die Erfahrungen der physischen Wirklichkeit zugunsten all der erträumten, in Seelenreisen ersegelten Scheinwelten aufgibt? Herr Ravindra sagt: Wenn er etwas liest, und das Gelesene ergibt keinen Sinn, fühlt sich aber "heilig" an, so sagt er nicht: Der Text hat unrecht. Sondern er sagt: Ich bin noch nicht weit genug in meiner Entwicklung, um dies zu verstehen.

Ja, hm. So ist das halt immer. Was wir Unerleuchteten als schnöde Realität begreifen, die man erfassen und in der man anpacken muss, als nachvollziehbaren, begreifbaren Alltag voller Härten, Freuden und Nickligkeiten – man kann sich auch einfach darüber erheben. Der Weg des Spirituellen ist es gern, jedes Alltagsproblem versinken zu lassen, wie die Erde beim Fernflug unter Wolken versinkt. Allein die Landung in der Realität bleibt dann schwierig. Vielleicht sollte man lernen, einfach für immer oben zu bleiben?

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