Gerhard Wimberger ist tot. Der österreichische Komponist ("Passion Giordano Bruno"), der zwei Jahrzehnte lang mit Herbert von Karajan die Salzburger Festspiele leitete, ist am vergangenen Donnerstag im Alter von 93 Jahren gestorben. Ein Nachruf von Michael Schmidt-Salomon.
"Österreicher, schwerhörig und sehr, sehr alt!" Mit diesen Worten stellte sich Gerhard Wimberger seinen Beiratskollegen bei dem ersten GBS-Treffen vor, das er besuchte. Mit dieser Personenbeschreibung hatte er die Lacher natürlich auf seiner Seite – vor allem, als er ausführte, dass er diese "treffende Charakterisierung" auf dem Spickzettel des Fahrers entdeckt hatte, der ihn am Bahnhof abgeholt und zum Stiftungssitz gebracht hatte.
Gerhard hatte einen wunderbaren trockenen Humor. Und es war ein Genuss, mit ihm über Philosophie, Literatur und – selbstverständlich – über Musik zu sprechen. Kein Wunder, denn als international renommierter Komponist und Dirigent, der ein großes Werk mit mehreren Opern und vielen Instrumentalmusiken verschiedener Gattungen geschaffen hatte, als Professor am Mozarteum und Mitglied im Direktorium der Salzburger Festspiele von 1971-1991 hatte er mit einigen der hervorragendsten Künstlerinnen und Künstler der Welt zusammengearbeitet. Mit Carl Orff war er befreundet, mit Erich Kästner hatte er am Libretto zu einer Oper gearbeitet.
Von sich aus hätte er dies alles jedoch kaum jemandem erzählt, denn Prahlerei war ihm fremd. Es ging ihm stets um die Sache. Dabei konnte Gerhard sehr hartnäckig sein, wenn er von einem Argument nicht überzeugt war. Ich erinnere mich gut an die vielen Diskussionen, die wir über die Freiheit bzw. die Unfreiheit des Willens führten. Obwohl wir sonst in vielen Punkten ähnlich dachten, wollte Gerhard meiner Auffassung partout nicht folgen, dass unsere Entscheidungen ebenso naturgesetzlich bestimmt sind wie alle anderen Phänomene in der Natur. Irgendwann erkannte ich, dass dieser Widerwille Ausdruck seines starken Begriffs von Freiheit war: Gerhard, der Selberdenker und Freigeist, wollte sich nichts und niemandem beugen – nicht einmal seinen eigenen Synapsen!
Seine freigeistigen, humanistischen Überzeugungen hat Gerhard in mehreren Büchern niedergelegt, etwa in dem im Tectum-Verlag erschienenen Buch "Glauben ohne Christentum". Sie sind unüberhörbar auch Grundlage seiner musikalischen Werke, insbesondere seiner großen, späten Kompositionen für Chor und Orchester "QUAESTIO AETERNA – DEUS – Fragen nach Gott" und "Passion Giordano Bruno".
Am Zustandekommen des letzten Werks, der "Bruno-Passion", hatte ich einen kleinen, bescheidenen Anteil: Anfang 2007 besuchte ich Gerhard in seinem Haus in Salzburg und schlug ihm vor, ein Werk über Bruno und die vielen anderen Opfer religiöser Gewalt in Angriff zu nehmen. Als wir am Abend darüber sprachen, meinte er, dies sei eine "schöne Idee", jedoch sei er selbst "für so etwas definitiv zu alt", am nächsten Morgen hieß es dann, "vielleicht lässt sich da doch was machen" - und keine drei Monate später legte er mir den ersten vollständigen Entwurf der Partitur vor!
Vor drei Jahren wurde die "Passion Giordano Bruno" im Rahmen der Salzburger Festspiele uraufgeführt und vom ORF live übertragen. Das Konzert war ein voller Erfolg. Das Salzburger Publikum feierte den Komponisten im Großen Konzertsaal des Mozarteums mit stehenden Ovationen. Gerhard ließ es sich nicht anmerken, aber den lang anhaltenden Beifall empfand er zweifellos als Bestätigung seiner künstlerischen Leitlinie und seiner Weigerung, den Trends innerhalb der sogenannten "ernsten Musik" zu folgen. Gerhard galt vielen als "unmodern", weil er weder "atonal" noch "seriell" komponierte, sondern am Prinzip der Tonalität und an der Idee der musikalischen Dramaturgie von Dissonanz und Konsonanz festhielt. Nicht selten machte er sich lustig über das in Fachkreisen angesagte "Tonmalen nach Zahlen" und die damit verbundene "Angst vor der Harmonie". Aus eben diesem Grund ließ er seine "Passion Giordano Bruno" auch mit einer musikalischen Provokation, ja geradezu mit einem "Sakrileg" für viele Komponisten und Musiktheoretiker beginnen, nämlich mit einem strahlenden, lupenreinen C-Dur-Akkord, gespielt vom kompletten Orchester. Es war ein köstlicher Insider-Witz, über den ich mit Gerhard sehr gelacht habe.
Am Tag vor der Uraufführung der Bruno-Passion hatten wir die Ehre, Gerhards 90. Geburtstag mit ihm und seiner Familie zu feiern. Wir saßen lange zusammen und bewunderten den herrlichen Blick von seinem Haus auf die Salzburg. An diesem schönen Ort ist Gerhard am vergangenen Donnerstag gestorben. Es war ein Schock, davon zu hören, allerdings war ich erleichtert, dass Gerhard offenbar exakt so gestorben ist, wie er es sich immer gewünscht hatte. Er ist einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Man fand ihn in seinem Sessel sitzend mit einem Philosophiebuch auf der Brust.
Servus Gerhard! Es war ein großartiges Geschenk, dich gekannt zu haben! Die Giordano-Bruno-Stiftung verliert mit ihm einen ihrer aktivsten Mitstreiter und die Welt einen großartigen Musiker, der nicht nur in der Musik, sondern auch außerhalb des Musikalischen Bedeutsames zu sagen hatte. Vieles davon wird bleiben – lange über seinen Tod hinaus.
Übernahme von der Webseite der Giordano-Bruno-Stiftung.