Prof. Jost Schieren, Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft

Der Waldorf-Werber

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Das zweite Goetheanum in Dornach (1928 bis heute), Südansicht
Das zweite Goetheanum in Dornach (1928 bis heute), Südansicht

BERLIN. (hpd) Jost Schieren ist Professor für Waldorfpädagogik an der anthroposophischen "Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft", Leiter des "Fachbereichs Bildungswissenschaft", und verantwortlich für die (Waldorf-) Lehrerbildung.

Dem "Waldorfblog" gab Jost Schieren ein ausführliches Interview, in dem er immer wieder das buzzword "Freiheit" verwendet – in einer einzigen Antwort erstaunliche 7 mal:

  • "Die Anthroposophie ist im Kern auf das Ideal des freien Menschen ausgerichtet."
  • "Freiheitsentwicklung als Teil des Weltgeschehens"
  • "Freiheitsentfaltung unseres Menschseins"
  • "Position der Freiheit"
  • "Begriff der Freiheit"
  • "Entwicklungsraum der Freiheit"
  • "freien Persönlichkeitsentwicklung"

Für Schieren macht einfach alles frei, was Anthroposophie ist. Wie die Waldorfpädagogik, die auf der Anthroposophie Rudolf Steiners (1861 – 1925) basiert.

Über einen Vortrag Rudolf Steiners sagt Kurt Tucholsky: "Je größer der Begriff, desto kleiner bekanntlich sein Inhalt – und er hantierte mit Riesenbegriffen."

"Freiheit": mit diesem Riesenbegriff macht Jost Schieren Werbung für die Waldorfpädagogik.

Reinkarnation macht frei

Beim Werber Jost Schieren ist "Reinkarnation" normal, wird zu einer weiteren "Sichtweise auf den Menschen", die – Verkaufsargument! – von "Fremdbestimmung" befreit:

Der Gedanke der Reinkarnation erlaube es, so Jost Schieren, "den Menschen nicht als irgendwie allein fremdbestimmtes Wesen (Gene, Sozialisation, Gehirnprägungen usw.) zu denken." Das Kind sei nicht das alleinige Resultat von Vererbung und Umgebung, sondern trage in sich "eine eigene auf sich selbst begründete Persönlichkeit", die nicht zufällig entstanden sei, da "der Mensch sein eigenes Wesen selbstverantwortlich durch eine Reihe von Verkörperungen selbst bildet."

Doch was bedeutet "Reinkarnation" überhaupt? Und bei Rudolf Steiner?

Weit verbreitet ist die Idee im asiatischen Kulturkreis, im Hinduismus und den verschiedenen Erscheinungsformen des Buddhismus. Gemeinsam ist ihnen, daß das Ziel ist, dem "endlosen Kreislauf der Wiedergeburten" zu entkommen, sich von der Fessel des "Karma" zu befreien.

Helena Petrovna Blavatsky und in ihrer Nachfolge Rudolf Steiner kehren die Idee in ihr Gegenteil um: Der Mensch soll im Kreislauf der Wiedergeburten bleiben, so kann er sich – und damit die Menschheit – perfektionieren. Das bedeutet: Pflichterfüllung. Von "Freiheit" keine Spur.

Rudolf Steiner verspricht eine Form der (geistigen) Unsterblichkeit und befriedigt zugleich das Bedürfnis seiner – zur Zeit der Begründung der Anthroposophie – aristokratischen und großbürgerlichen Klientel nach "Elite": "WIR bringen die Menschheit (-sentwicklung) voran!"

Und natürlich kann die Menschheit auch nicht an einem Tag an Ihrem Bestimmungsort, dem Planeten "Vulkan", ankommen – dann wäre Steiners Geschäftsmodell sofort erledigt.

Anthroposophie: Seine Eltern sucht man sich selber aus …

Rudolf Steiners Vorstellung der Reinkarnation kann man natürlich auch aus der Schüler-Perspektive betrachten:

Leute, ich hab mir Eltern ausgesucht, die mir was bieten können. Meint ihr, ich würde hier sonst mit meiner Mum in einem Porsche Cayenne in der zweiten Reihe vor der Rudolf Steiner Schule in Berlin Dahlem chillen? Wenn’s mal mit den Noten nicht so dolle ist, steht mein privater Nachhilfelehrer schon auf der Matte, über die paar Euros redet bei uns keiner. Portokasse. Eigentlich bin ich ganz zufrieden, könnte höchstens ’nen bißchen langweilig werden, mein Leben …

Aber, Alter, Abenteuer doch nur was für Idioten: stell dir vor, du suchst dir Eltern in Syrien aus, und findest dich plötzlich auf 'nem Schlauchboot im Mittelmeer wieder … wie beknackt muß man da eigentlich sein … und jetzt kommt‘s noch dicker: du hast es grad so überlebt, und schon bist du in ’ner Flüchtlingsklasse in der Waldorfschule, die versuchen mit dir ihr Image aufzupolieren, wegen "ausländerfrei" und so …“

Wenn Schule Schicksal wird …

In einem kritischen Artikel antwortet der Pädagoge André Sebastiani auf Jost Schierens Interview mit dem Waldorfblog, und schreibt: "Es macht für einen Pädagogen doch wohl keinen Unterschied, ob der Mensch nun als Produkt vorangegangener Inkarnationen, oder als Produkt seiner Gene und seiner Umwelt vor ihm steht."

Wenn der Pädagoge kein Anthroposoph wie Jost Schieren wäre, gäbe es im Ergebnis vielleicht keinen Unterschied.

Für einen Anthroposophen wie Jost Schieren könnte der Unterschied nicht größer sein – Anthroposophie bedeutet hier: Das Kind hat den Lehrer gewählt, das Aufeinandertreffen von Schüler und Lehrer ist "Karma" – die Schulklasse wird zur Schicksalsgemeinschaft, deswegen ja auch der Verzicht auf das "Sitzenbleiben" in der Waldorfschule.

Doch wenn Schule Schicksal wird: Woher soll die von Schieren gebetsmühlenartig wiederholte "Freiheit" kommen?