Nostalgie - über ein besonderes Heimweh

(hpd) Über ein ganz besonderes Heimweh hat in diesen Novembertagen - zwanzig Jahre nach dem "Mauerfall" - eine Thüringer Philosophie-Studentin nachgedacht. Dabei entstand ihr vorwärtsgewandter Aufsatz mit einem Plädoyer für und wider Nostalgie.

In schwierigen Zeiten ist Nostalgie ein gern gesehener Gast. Er lenkt ab von erschreckenden Untiefen, die nicht umschifft werden können. Und er hinterlässt einen kleinen Mut, für den man immer herzlich dankbar ist…

Doch hier und heute geht es nicht nur um Nostalgie im allgemeinen: Wenn generell gilt, dass es zynisch ist, aus Sehnsucht ein Geschäft zu machen, so gilt dies für DDR-Nostalgie ganz besonders. Mit dem Unwort „Ostalgie“ versehen, wird ein wichtiges Stück Erinnerung zum Konsumgut herabgesetzt. Und weil dabei die verzweifelte Verteidigung der eigenen Identität im Spiel ist, scheint die positive Besetzung dieses ausgeweideten Abklatsches eines Gefühls trotzdem sicher. – Ist es nicht aber ein grundsätzliches Fehlen, ein unaufgelöstes Versprechen, das hier auf perfide Weise vermarktet und dadurch unkenntlich gemacht wird?

„Ostalgie“ ist eine ganz spezielle Nostalgie. Der negative Aspekt des Wortes geht dabei ganz in seiner konsumistischen Variante auf: als maßlose Rückbesinnung, als fast schon krankhaftes Heimweh, ja, als manipulative Verklärung vergangener gesellschaftlicher Verhältnisse (was einer unkritischen Bejahung des einstigen Lebens in der DDR dann auch gern vorgeworfen wird). Geht man dieser Nostalgie jedoch tiefer auf den Grund, verbirgt sich in ihr etwas gänzlich Anderes: Es ist die sehnsuchtsvolle Hinwendung zu einem Gefühl aus der Vergangenheit, das selbst stets in die Zukunft gerichtet war. Heimweh nach einem Zuhause, aus dem man ausziehen wollte, um ein besseres zu finden. Sehnsucht also nach einer noch hoffnungsvollen Suche…

Angekommen in der Gegenwart, lässt sich feststellen, dass das Versprechen dieser Suche uneingelöst blieb. Die Vorstellungen von einer humaneren Gesellschaft und der Wunsch nach Selbstentfaltung wurden im besten Fall nicht völlig enttäuscht. Die einstigen Ideen sind in der heutigen Realität nicht aufgegangen, viele Träume konnten nicht gelebt werden oder sind sogar zerbrochen. Was bleibt, ist die Erinnerung an die damalige Hoffnung. – Das, und nur das, ist DDR-Nostalgie in ihrem Kern: Sehnsucht nach Verheißungen, die noch eine Zukunft hatten, Sehnsucht nach der Möglichkeit des kommenden Anderen. Weit gefehlt also, dieses Empfinden als Verklärung oder krankhafte Rückwendung deuten zu wollen.

Was den DDR-Nostalgiker bewusst oder unbewusst schmerzt, ist der Traum einer besseren Welt, der so seltsam an jene so unvollkommene Zeit geknüpft bleibt. Die vergangene mögliche Zukunft hat sich nicht ereignet, und dieser Verlust zieht umso mehr zu ihr hin. Wenn sie einst schon Utopie war, dann ist sie es heute im doppelten Sinne – mit Ideen, die sich überholt haben, für die es keinen Ort zu geben scheint.

Erinnerungen lassen sich manipulieren, eine tiefe Sehnsucht jedoch nicht. Deswegen hält sich diese Nostalgie so hartnäckig. – Und darin liegt auch ihre Gefahr: Das Versprechen der einstigen Träume war immens. Sie zielten auf nichts anderes als einen Qualitätssprung in der Geschichte der Menschheit und der Menschlichkeit ab, unabhängig davon, in welche Richtung sie wiesen, wie vage oder konkret sie waren. Durch die Nichteinlösung dieses Versprechens fehlt nun das Vertrauen und die Zuversicht, wieder wirksam zu werden, neue Träume zu träumen und neue Kämpfe zu kämpfen.

Es ist daher an der Zeit, sich nicht länger voll süßer Trauer an diese Vergangenheit und ihr Scheitern zu hängen. Die Trauer muss in Kraft umgewandelt werden: „Nach Süden wollte ich fliegen, um vor dem Winter abzuhaun“ – Abhauen funktioniert nicht (mehr), man muss die Kälte hier und jetzt bekämpfen.

Claudia E. Morgenstern