(hpd) Dieses Buch kommt genau zur rechten Zeit. Angesichts der seit dem Sommer angeschobenen Debatten um die sogenannten Staatsleistungen, so in Schleswig-Holstein durch die FDP oder in Sachsen durch die LINKE und die GRÜNEN, liefert Carsten Frerk mit seinem „Violettbuch“ ein überaus fundiertes Argumentationsmaterial für eine sachliche Auseinandersetzung in der Frage der Kirchenfinanzierung.
Daß Frerk nicht bloß einsamer Rufer in der Wüste ist, daß sein neues Buch notwendig ist, zeigen auch weitere politische Vorgänge des Jahres 2010: in der SPD hat befindet sich ein bundesweiter Arbeitskreis „Laizisten“ in der Gründung und aus der Linksfraktion im Bundestag ist zu hören, daß man an einem Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen arbeitet.
Doch nun zum „Violettbuch“ selbst. Carsten Frerk hat es der Komplexität des Themas „Kirchenfinanzierung in Deutschland“ wegen in drei Kapitel gegliedert. Kapitel I geht der Angelegenheit der „Kirchensteuern“ auf den Grund und räumt gleich eingangs mit der Legende auf, diese seien eine Konsequenz aus dem Reichsdeputationshauptschluß von anno 1803.
Die Kirchensteuer an sich - wie sie heutzutage und hierzulande üblich ist, wurde erst mit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 eingeführt. Diese Steuer, man könnte auch sagen dieser Mitgliedsbeitrag, sollte im Zuge der Aufhebung der bisherigen Staatskirchen die christlichen Kirchen unabhängig vom Staate machen. Der Staat war aber nur verpflichtet, den Kirchen die allgemeinen Steuerlisten zur Verfügung zu stellen, damit diese selbständig (und auf eigene Kosten) ihre de-facto-Mitgliedsbeiträge von ihren Gläubigen eintreiben konnten.
Doch erst das Hitler'sche NS-Regime hat den Kirchensteuereinzug durch die Arbeitgeber als staatliche Aufgabe eingeführt, beginnend mit dem 1. Januar 1935. Geschehen in engem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit dem Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 zwischen dem „Heiligen Stuhl“ und der Hitler-Regierung. Und diese Gesetzgebung ist in der Bundesrepublik bis heute fortgeltendes Recht! Auch erst mit diesem NS-Gesetz wurde die verfassungs- (und grundgesetzwidrige) Angabe der Religionszugehörigkeit auf den Lohnsteuerkarten eingeführt.
Die Angaben zu den Einnahmen beider Kirchen (in Milliardenhöhe) durch diese Zwangsabgabe und die dadurch auch noch entstehenden Einnahmeverluste der öffentlichen Haushalte mag sich jeder Leser selbst vor Augen führen. Frerk räumt in diesem Zusammenhang ebenfalls mit der frommen Legende, die selbst von vielen Nichtgläubigen und politischen linken Menschen geglaubt wird, auf, mit diesen Kirchensteuern würden die sozialen Einrichtungen der Kirchen finanziert. Die Recherchen des Autors haben ergeben, daß die Kosten von Caritas und Diakonie nur zu etwa 2 % (in Worten: zwei Prozent) von den Kirchen getragen werden. Der „Rest“ kommt aus öffentlichen Haushalten, wird von Sozialkassen und aus Gebühren der Bürger finanziert.
Den Hauptteil des „Violettbuches“ bildet das zweite Kapitel „Staatsleistungen“. Hierin räumt der Autor detailliert mit der allgemein verbreiteten Behauptung auf, daß die staatlichen Leistungen an die christlichen Großkirchen Ausgleich für die Säkularisation und die damit einhergegangenen „Enteignungen der Kirchen“ seien. Frerk hat sich mit eigenen Augen im stets für diese These herangezogenen Reichsdeputationshauptschluss von 1803 kundig gemacht: „Da steht nichts von Entschädigung.“ Ganz abgesehen davon, daß die damals betroffenen Gebiete der katholischen Kirche nicht gehört hätten. „Es handelte sich um Lehen im Eigentum des Kaiserreichs.“ Lediglich der Erhalt der Dome und eine (lebenslange) Apanage nur für die damals konkret entthronten geistlichen Landesherren seien vereinbart worden. Und der eigentliche Kirchenbesitz an Ländereien sei nicht angetastet worden. Ergänzend zu Frerk: Die katholischen Fürstbischöfe oder Fürstäbte amtierten immer nur auf Lebenszeit, sie konnten und durften ja des Zölibats wegen keine Dynastien begründen. Also können seinerzeitige befristete Apanagen-Ansprüche auch nicht bis in die Gegenwart übertragen werden.
Alle anderslautenden Behauptungen und die aktuelle Praxis bezeichnet Frerk als „Erfolg des kirchlichen Lobbyismus und die Phantasie der Staatskirchenrechtler“ und als eindeutig grundgesetzwidrig. Die Kirche mit ihren Privilegien sei ein „feudaler Fremdkörper in einem demokratischen Staatswesen“.
Apropos Enteignung der Kirchen. Der Autor hat in mühevoller Kleinarbeit die eigenen Angaben der christlichen Großkirchen zusammengestellt. Hieraus ergibt sich, ohne Berücksichtigung von Caritas und Diakonie, ein Großgrundbesitz dieser Kirchen von rund 825.000 Hektar, zumeist in land- und forstwirtschaftliche Flächen, aber auch in immensen Immobilienbesitz in Innenstadtlagen. Nebenbei, der Großgrundbesitz der Kirchen ist auch in der damaligen SBZ bzw. später in der DDR NICHT enteignet worden. Und... würde man all diesen Grundbesitz zusammenfügen, so entspricht dieser in etwa der Hälfte der Fläche des Freistaates Thüringen.
Was vielleicht in späteren Auflagen deutlicher herausgearbeitet werden sollte, damit es heutige Menschen besser verstehen können. Die „Säkularisierung“ von 1803 stellt nur einen Teil der damaligen Neuordnung des „Heiligen Römischen Reiches“ dar und muß in Verbindung mit der gleichzeitigen Mediatisierung von bisher reichsunmittelbaren Reichsgrafschaften, reichsritterlichen Gebieten und Reichsstädten betrachtet werden. Im Reichsdeputationshauptschluss wurde festgesetzt, dass diejenigen weltlichen Fürsten abgefunden werden sollten, denen im Rahmen der Revolutionskriege mit der französischen Republik linksrheinische Staatsterritorien verloren gegangen waren: Diese Abfindung geschah durch Säkularisierung „geistlicher“ sowie durch Mediatisierung kleinerer weltlicher Herrschaften. Am privaten Grund- und sonstigen Eigentum aller dieser Standesherren änderte sich damit aber nichts! Es ging nur und ausschließlich um Hoheitsrechte. Der Reichsdeputationshauptschluss wurde im März 1803 vom Reichstag einstimmig angenommen. Allerdings hatten bereits Ende 1802 die meisten geistlichen Fürsten selbst auf ihre weltlichen Herrschaftsrechte und damit auf Sitz und Stimme im Reichstag verzichtet.
Daß daher die sogenannten Staatsleistungen keinen Ewigkeitsanspruch darstellen (können), weist Frerk anhand der Texte von Reichsdeputationsschluß, Weimarer Reichsverfassung und Grundgesetz nach. Und die beiden letzteren stellen sogar einen eindeutigen „Ablösebefehl“ dar, damit endgültig Staat und Kirche voneinander getrennt werden.
Im dritten Kapitel geht Carsten Frerk auf das Thema „Sozialstaat und Kulturstaat“ ein. Auch hier gibt er sich mit den Fakten nicht zufrieden, sondern geht immer wieder der Frage nach, warum die christlichen Großkirchen sich ungebrochen neben oder gar über den Staat stellen, warum sie unbedingt Kindergärten und andere soziale Einrichtungen unter ihren Einfluß bringen wollen – natürlich fast alles nicht selbst bezahlt... Nun ja, worum geht es denn? Um die Missionierung der Un- und Andersgläubigen! Nicht mehr unbedingt mit Feuer und Schwert wie zur (Kreuz-)Ritterzeit, sondern mittels Indoktrinierung ab Kindergarten und Schule....
Akribisch listet der Autor in allen Kapiteln und in einem Anhang die entsprechenden vielfältigen Einnahmen der Kirchen in Höhe von mehr als 19 Milliarden Euro pro Jahr auf.
Möge dieses Buch weiteste Verbreitung finden und vor allem Gehör bei Politikern in Bund und Ländern, damit diese endlich den 1919 formulierten Verfassungsauftrag erfüllen.
Siegfried R. Krebs
Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen. 270 S. kart. Alibri Verlag. Aschaffenburg 2010. ISBN 3-86569-039-5. 16,- Euro
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.