LONDON. (hpd) Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) hat dem Vatikan in ihrem am Freitag vorgestellten Jahresbericht attestiert, seinen Verpflichtungen aus der UN-Konvention über die Rechte des Kindes nicht nachgekommen zu sein. Es ist das erste Mal, dass die katholische Kirche in diesem Bericht am Pranger steht. Die Kirche reagierte nun mit einem Rundschreiben an die Bischofskonferenzen.
Die Liste der jetzt dokumentierten Punkte dürfte bekannt sein. Amnesty International sieht Rechtsbrüche der Kirche, weil sie Straftäter im Klerus nicht von ihren Posten entfernt und die Kooperation mit staatlichen Justizbehörden abgelehnt hat. Auf der Liste der Vorwürfe steht auch das Versagen bei der Wiedergutmachung gegenüber Missbrauchsopfern.
Die Menschenrechtsorganisation kritisiert, dass die kircheninternen Regelungen massive Defizite aufweisen, wenn es um die Beachtung der Vorschriften der UN-Kinderrechtskonvention geht. Verpflichtungen für Kirchenvertreter, Vorfälle an staatlichen Stellen zu melden, seien nicht gegeben. Geheimhaltung sei während des gesamten Verfahrens Pflicht.
Im rund 400 Seiten starken Papier bilanziert Amnesty International Untersuchungsergebnisse zur Situation der Menschenrechte in 157 Staaten. Es wird darin auch festgestellt, dass mit Jahresablauf der seit 13 Jahren fällige periodische Bericht des Vatikans zur UN-Kinderrechtskonvention immer noch nicht eingetroffen war.
Die Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten zu regelmäßigen Berichten über die Maßnahmen, die sie zur Verwirklichung der in dem Übereinkommen anerkannten Rechte getroffen haben und welche Fortschritte dabei erzielt wurden. Der Heilige Stuhl, das pseudostaatliche Konstrukt zum Erhalt illegitimer Privilegien der Kirche, trat dem Abkommen vor 21 Jahren bei. Auch der Eingangsbericht zur UN-Antifolterkonvention ist seit 2003 überfällig, nachdem sich die Kirche dem Abkommen ein Jahr zuvor angeschlossen hatte.
Der Vatikan ignoriert UN-Kinderrechtskonvention
Dass Amnesty International von der Kirche nicht mit Wohlwollen betrachtet wird, ist seit längerem bekannt. Vor vier Jahren rief der Vatikan die Kirchenanhänger zum Boykott von Amnesty International auf. Grund war, dass AI sich dafür ausgesprochen hatte, Frauen eine Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch zu geben, sofern ihr Leben oder ihre grundlegendsten Rechte durch die Schwangerschaft bedroht sind. Kate Gilmore, damals stellvertretende Amnesty-Generalsekretärin, betonte, dass dies Fälle wie Vergewaltigung oder Inzest umfasst. Kurienkardinal Renato Raffaele Martino warf der Organisation vor, damit ihre Aufgabe „verraten“ zu haben.
Die britische National Secular Society (NSS), die sich seit Jahren im UN-Menschenrechtsrat für einen größeren Druck auf den Heiligen Stuhl bei der Einforderungen seiner Verpflichtungen eingesetzt hatte, erneuerte im Anschluss an den jüngsten AI-Bericht weitere Forderungen.
Broschüre UN-Kinderrechtskonvention
In einer Erklärung der NSS werden der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, die Europäische Union und der Europarat sowie die Regierungen angerufen, den internationalen Druck zu erhöhen, damit die geheimen Unterlagen über die Missbrauchsfälle den staatlichen Strafverfolgungsbehörden endlich zugänglich gemacht werden.
Von der US-Katholikenorganisation „Catholic League“ wurde die Bilanz von Amnesty International indes zurückgewiesen. Es sei „absurd“, den Vatikan für das Verhalten von Priestern auf der ganzen Welt verantwortlich zu machen, heißt es in einem Bericht der „Catholic News Agency“. Die Verantwortung dafür läge bei den örtlichen Bischöfen, so das Argument. Diese sind allerdings an die Vorgaben der vatikanischen Institutionen gebunden. Der heutige Papst selbst hatte als Leiter der Glaubenskongregation die Geheimhaltung angeordnet.
Die kirchliche Kongregation für Glaubenslehre versandte nun ein Rundschreiben, das auch die Deutsche Bischofskonferenz vermeldete. Das Papier soll „den Bischofskonferenzen helfen, Leitlinien für die Behandlung von Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker zu erstellen“.
Das neue Rundschreiben des Vatikans unterstreicht weiterhin das Gebot zur respektvollen Behandlung von Personen, die eine Anzeige erstatten. Zudem müsse die staatliche Gesetzgebung im Konferenzgebiet beachtet werden, was eine eventuelle Unterrichtspflicht anbelangt – eigentlich Selbstverständlichkeiten.
Vorgaben mit Hintertürchen
Betont wird im Rundschreiben auch, dass sich gegebenenfalls von Bischofskonferenzen erlassene Spezialnormen unter die universalkirchliche Gesetzgebung fügen müssen. Deutlich legt es in jedem Fall nahe, dass man im Vatikan die nationalen Gliederungen der Kirche weiterhin als Organisationen neben dem Staat und nicht im Staat sieht.
Die früheren Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz sind bereits im August letzten Jahres neu überarbeitet veröffentlicht worden. Darin wurde die Anzeigepflicht für deutsche Mitarbeiter des christlichen Klerus präzisiert. Nun soll die Pflicht zur Anzeige gegenüber staatlichen Stellen nur dann entfallen, „wenn dies dem ausdrücklichen Wunsch des mutmaßlichen Opfers (bzw. dessen Eltern oder Erziehungsberechtigten) entspricht und der Verzicht auf eine Mitteilung rechtlich zulässig ist.“
Doch wie bizarr die kirchliche Lage tatsächlich ist, offenbart ein Vergleich mit weiteren international operierenden Unternehmen. Oder wie wäre es, würde Amnesty International selbst solche Regelungen für Fälle verfassen, in denen Mitarbeiter entsprechender Delikte beschuldigt werden?
Arik Platzek