Bäcker, Verleger und das Leistungsschutzrecht

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Zeitungen / Foto: Jeger (pixelio.de)

BERLIN. (hpd) Seit Mai 2009 fordern deutsche Verleger für ihre Erzeugnisse ein Leistungsschutzrecht per Gesetz. Es soll Suchmaschinen und gewerbliche Nutzer, aber möglicherweise auch zitierende Blogs und Webseiten verpflichten, für die verlinkten Textschnipsel Gebühren zu zahlen. Eine widersinnige Forderung, deren tatsächlichen Inhalt überdies noch niemand im Wortlaut gesehen hat.

Fangen wir mit etwas an, das jeder kennt: mit einer Bäckerei. Wenn die Backwaren gut sind, essen die Leute sie gern. Der Bäcker verkauft also viel, kann Gesellen einstellen und Lehrlinge ausbilden. Der eine oder andere von ihnen erfindet vielleicht ein besonders gutes neues Backwerk, das die Bäckerei noch bekannter macht. Weil der Meister schlau ist, behandelt und bezahlt er seine Angestellten gut, und alle sind zufrieden. Die vielen Großbäckereien können ihm nichts anhaben, da seine Leckereien unverwechselbar und keine Massenware sind.

Mit den Zeitungen ist es ebenso. Zum besseren Verständnis braucht man allerdings ein bisschen geschichtlichen Hintergrund.

Etwa 400 Jahre, bevor es Zeitungen in unserem Sinn gab, schrieben Gebildete bereits in regelmäßig oder unregelmäßig erscheinenden Journalen und Gazetten auf, was es zu berichten gab. Darin erläuterten und interpretierten sie die Ereignisse für den Leser und wurden so zu einer beliebten Informationsquelle, die Blätter zu einem wichtigen Instrument der Meinungsbildung. Weil aber die Erstellung von Druckwerken und ihre Verbreitung teuer waren, entstanden Mitte des 17. Jahrhunderts Verlage, die den Autoren die nötigen Gelder und Leistungen vorschossen.

Es gab noch keine übergeordnete nationale Struktur im Reichsgebiet, sondern viele Kleinstaaten mit ganz unterschiedlichen Rechtssystemen. Vor allem gab es kein allgemein geregeltes Urheberrecht, und Kopisten hatten leichtes Spiel: Hatte der Autor in einem Land ein Urheberrecht beantragt, kopierte man sein Werk eben im Nachbarland auf billigerem Papier und verkaufte es 'schwarz' von dort aus. Erst 1837 fand man eine Urheberrechts-Regelung für Preußen, 1871 wurde ein allgemeiner Urheberrechtsschutz für das Deutsche Reich eingeführt, und der erste 'international' bindende Vertrag wurde 1886 mit der Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst verabschiedet. (Keine Angst, der Bäckermeister wird nicht vergessen.)

Im Lauf der Zeit war es gängige Praxis geworden, dass der Autor seine Rechte ganz oder für eine gewisse Zeit an den Verleger abtrat und so die Leistungen 'bezahlte', die dieser ihm zur Verfügung stellte. So wurden auch die Urheberrechte ganz überwiegend vom Verleger eingefordert, um seine Investitionen zu schützen. Diese Praxis wurde für die moderne Presse übernommen und funktionierte sehr gut, solange sie zwischen Verlegern und Journalisten als gegenseitig begriffen wurde.

Ende der 1990er-Jahre begann mit der Popularität des Internets eine neue Ära. Bis heute ständig zunehmend, begannen Nicht-Journalisten, Nachrichten zu verbreiten und zu kommentieren. Sie leisten damit etwas, das ursprünglich die Hauptfunktion der Presse war: die Vermittlung aktueller Informationen, Interpretation und Meinungsbildung.

Anfangs gab es eine große Abgrenzungsdebatte: Sind Blogger Journalisten? Mit der Zeit schliff sich diese Diskussion etwas ab, denn viele Journalisten gründeten eigene Blogs, und die Zeitungen bedienten sich zum Teil großzügig aus den Blogs; selten unter Nennung der Quelle. (Eine weithin verbreitete Quellenangabe in den Medien ist immer noch "Quelle: Internet".) Unterdessen schreiben auch Blogger für die Online-Ausgaben großer Zeitungen, und spätestens seit der Berichterstattung über die Unruhen in Arabien und die Fukushima-Katastrophe beginnt die Erkenntnis zu wachsen, dass es gemeinsam eigentlich ganz gut geht.

Wenn da nicht die Verleger wären.

Leider muss man sagen, dass sie den Trend verschlafen haben. Mit der zunehmenden Bedeutung des Netzes brach den Zeitungen ein großer Teil der Werbekunden weg. Die haben nämlich die Chancen des Internets erkannt und werben - für weniger Geld - lieber dort. Werbung war immer eine der Haupteinnahmequellen für Verlage, ihr Verlust macht sich in den Absatzzahlen und Umsätzen schmerzhaft bemerkbar.

Statt nun zu handeln wie unser kluger Bäckermeister und nach Alleinstellungsmerkmalen zu suchen, brechen die Verleger nach dem Motto "das haben wir immer so gemacht" in Wehklagen aus. Statt auf die veränderte Situation mit einem Ausbau der Redaktionen und gesteigerter Qualität zu reagieren, entlassen sie massenhaft Leute. Bis auf einige wenige sind sie nicht bereit, das unternehmerische Risiko des Ausprobierens zu tragen und qualitativ hochwertigen Online-Journalismus einzuführen und zu fördern. Zwar gibt es mittlerweile von beinahe allen namhaften Printmedien eigene Online-Ausgaben, von den meisten Verlagen werden diese aber eher wie eine 'Zeitung zweiter Klasse' behandelt.

Der Journalist und Blogger Stefan Niggemeier z.B. hat an einem beliebigen Tag den Stern-online gelesen: „367 Artikel hat stern.de gestern veröffentlicht. Knapp 300 davon sind Agenturmeldungen, die vollautomatisch in den „Nachrichtenticker” von stern.de einfließen. Es verbleiben 76 Artikel.“

Um den signifikanten Rückgang der Erlöse aus der Werbung, die miese Behandlung von Journalisten und die Entlassung ganzer Redaktionen zu begründen, haben die Verleger ein Feindbild erkoren: Google. (Dann kommt eine Weile nichts, dann 'die Gratiskultur im Internet' und 'die Blogger'.)

Google stellt seinen Benutzern kleine Textschnipsel (Snippets) zur Verfügung und verlinkt auf den entsprechenden Beitrag. Im Bild unseres Bäckers würde das heißen, dass er durch Mundpropaganda neue Kunden bekommt.

Die Verleger behaupten nun aber, dass Google sich fremder Eigenleistungen bedient, um damit sehr viel Geld zu verdienen. Erfinderisch sind sie, das muss man ihnen lassen: Sie erfinden, passend zum Feindbild, das neue Geschäftsmodell Leistungsschutzrecht. Ein Entwurf, wie es aussehen soll, liegt bis dato nicht vor, es gibt nur Pressemitteilungen.

Profitieren werden die Abmahnkanzleien

DRadio Wissen fasst die Forderungen so zusammen: „Soll heißen: Texte von Zeitungen im Internet sollen für die Endnutzer zwar kostenlos bleiben, Nachrichtensammeldienste wie Google sollen jedoch dafür zahlen.“

Davon abgesehen: Will man nicht gleich mit Ausnahmeregelungen anfangen, werden auch Blogger nur noch kostenpflichtige Links auf Presseartikel setzen können. Umgekehrt werden viele Blogger sich auch weiterhin nicht wehren, wenn Verlage Texte bei ihnen klauen, weil sie die Anwaltskosten nicht tragen können. Profitieren werden mit Sicherheit spezialisierte Abmahnkanzleien:

„Problematisch ist allerdings die Abmahnpraxis einiger Anwaltskanzleien. Deshalb haben wir in der letzten Legislaturperiode eingeführt, dass bei einem erstmaligen Verstoß in einem einfach gelagerten Fall mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung nicht mehr als 100 Euro für die Anwaltsgebühr erhoben werden darf.
Die Praxis zeigt, dass dies geholfen hat – es gibt aber leider immer noch zu viele Fälle, in denen Anwaltskanzleien geschäftsmäßig abmahnen.“
(Brigitte Zypries bei CARTA.info)

Seit der ersten Forderung nach der Einführung eines Leistungsschutzrechts gibt es immer neue Nebelkerzen, wie die der Förderung des Qualitätsjournalismus: Das Leistungsschutzrecht solle vor allem den Autoren zugutekommen, die für zeitaufwändige Recherche und Hintergrundinformationen schließlich anständig entlohnt werden müssten, und den Verlegern, die das gesamte unternehmerische Risiko trügen.

Um das eigentliche Ziel der Bestrebungen - Google - nicht allzu klar erkennen zu lassen, benutzt auch Christoph Keese, Konzerngeschäftsführer Public Affairs der Springer AG, das Wort Qualitätsjournalismus auf vielen Podien gern und oft. Auf diese Weise dürfte es dem Cheflobbyisten und seinen Kollegen durch stetige Wiederholung gelungen sein, die Politiker in Berlin zu überzeugen: „Leutheusser-Schnarrenberger will ‚Snippet‘-Abgabenpflicht“ für Suchmaschinen-Betreiber an Verlage.

Um nun auf unseren Bäckermeister zurückzukommen: Handelte er wie die Verleger, würde er seinen Kunden unter Strafandrohung verbieten, sein Geschäft und seine Backwaren anderen zu empfehlen. Er würde außerdem seinen Kunden, die für ihre Frühstückspension, ihr Hotel oder Restaurant bei ihm kaufen, eine Gebühr für dieses Privileg abnehmen. Den anderen Kunden würde er womöglich auch bald ein Zahlungsmodell vorgeschlagen, damit sie weiter bei ihm kaufen dürfen.

Die Konsequenzen dieser Maßnahmen kann jeder sich ausmalen.

Anscheinend nur die Verleger nicht.

Vera Bunse

Wer sich weiter informieren möchte, ist hier gut aufgehoben: IGEL - Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht