Papst-Besuch: Kritisches Bündnis wächst

ratzinger_no_lewishamdreamer_flickr_com.jpg

Foto: lewishamdreamer/flickr.com

BERLIN. (hpd) Das Bündnis „Der Papst kommt!“, das sich gegen die menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik des Oberhauptes der katholischen Kirche wendet, gewinnt langsam an Zuspruch. Zuletzt beschloss in dieser Woche der Berliner Parteivorstand von „Die Linke“, das Bündnis zu unterstützen und die Mitglieder zur Teilnahme aufzurufen.

In Erfurt formiert sich ebenfalls ein Bündnis, das die Kritik nicht nur an Fragen des Umgangs mit sexuellen Identitäten festmacht. Insgesamt stehen mit dem Beschluss der Linken in Berlin bisher 37 Organisationen hinter dem vom hiesigen Lesben- und Schwulenverband initiierten Projekt, das eine Großdemonstration anlässlich des Besuchs von Joseph Ratzinger in der deutschen Hauptstadt organisieren will. Die vor kurzem zur Unterzeichnung veröffentlichte Resolution, die im April beschlossen wurde, zählt derzeit über 1.800 Unterschriften von Einzelpersonen.

Der Berliner CSD e.V. hat für den 22. September eine Demonstration bei den Ordnungsbehörden angemeldet. Derzeit ist geplant, dass sie am Brandenburg Tor beginnen, über den Potsdamer Platz ziehen und am U-Bahnhof Nollendorfplatz enden soll. Sie führt dabei unter anderem am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen und am Giordano Bruno Denkmal vorbei. Dort sollen Kränze niedergelegt werden. Außerdem wird geplant, vielfältige und öffentlichkeitswirksame Aktionen während der Demonstration durchzuführen.

Das Bündnis, das sich auch gegen die von Kirchenpolitikern arrangierte Rede Ratzingers vor dem deutschen Bundestag wendet, stellt in der Resolution unter anderem fest: „Wir protestieren gegen die demokratiefeindliche Politik von Papst Benedikt XVI., der die freiheitliche Gesellschaft eine ‚Diktatur des Relativismus‘ nennt. So hat er z.B. die Pius-Brüder wieder in die Kirche aufgenommen, obwohl sich in deren Reihen Holocaust-Leugner finden, sie die freiheitliche Demokratie ablehnen und die Strafbarkeit gleichgeschlechtlicher Beziehungen fordern.“

Aktuelle Ausprägungen katholischen Glaubens

Zwar konnte die deutsche Hauptstadt schon längere Zeit davor bewahrt bleiben, durch fromme Mehrheiten verwirklichten Katholizismus erneut erleben zu müssen. Welche Formen dieser gelebte Glaube aber noch heute annehmen kann, wurde kürzlich in der kroatischen Küstenstadt Split deutlich. Eine CSD-Veranstaltung mit rund 300 Teilnehmern traf auf den gewalttätigen Protest von rund 10.000 Menschen, die unter anderem „Tötet die Homosexuellen“ oder „Bringt sie alle um“ skandierten.

Kroatiens Präsident Ivo Josipovic und verschiedene kroatische Medien verurteilten den Angriff. Josipovic erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur HINA, dies sei nicht Kroatiens wahres Gesicht und wies herbeiphantasierten „nicht-europäischen“ Bevölkerungsgruppen die Schuld zu. Tatsache ist derweil, dass das Land ab 1. Juli 2013 Vollmitglied in der Europäischen Union werden soll – klar, dass solch irritierende Ereignisse besonders heikel sind.

Denn ein Fakt ist auch, dass die kroatische Gesellschaft noch wesentlich fester im Griff von Ansichten der Kirche ist als andere europäische Staaten. Im letzten Zensus von 2001 gaben 87,8 Prozent der Menschen an, einem katholischen Glauben zu folgen. Beim letzten Auftritt in Kroatien kurz vor dem CSD in Split kritisierte Ratzinger vor hunderttausenden Gläubigen die Säkularisierung und eine Auflösung des Familienlebens nach kirchlichen Vorstellungen. Die christliche Familie bewarb er als Bollwerk gegen die zunehmende Verweltlichung in Europa. Der Kirchenführer befürwortet den EU-Beitritt des katholischen Landes jedenfalls als logischen, gerechten und notwendigen Schritt. Päpstliche Kritik an den erschreckenden Ausschreitungen in Split wurde hingegen nicht bekannt.

Politischer Katholizismus und Politiker-Katholizismus

Aber auch in Deutschland ist man vor den Konsequenzen päpstlicher Überzeugungen längst nicht gefeit, weshalb der Humanistische Verband Berlin mit dem ehemaligen Religionslehrer und Buchautor David Berger eine Lesung in der Urania plant und eine Podiumsdiskussion zum Thema „Politischer Katholizismus heute“ organisieren wird. Berger hatte seine Anstellung verloren, weil er sich nicht dem Wunsch der Kirche gebeugt hatte, seine homosexuelle Identität zu kaschieren und Kritik an den Lehren der Kirche äußerte.

Nicht auf der vom papstkritischen Bündnis veröffentlichten Resolution findet sich übrigens – anders als im Fall von David Berger – der Name des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit. Der SPD-Politiker äußerte sich auch kürzlich in einer Form, welche die fehlende Unterstützung erklären könnte. Gegenüber dem Online-Magazin „The European“ meinte er zum aus intellektuell redlicher Perspektive offenkundigen Widerspruch zwischen Kirchenmitgliedschaft und Homosexualität: „Das ist für mich kein Widerspruch, und ich bin mit dieser Kombination sicherlich nicht alleine auf der Welt. Auch bei Repräsentanten der katholischen Kirche soll ja schon mal eine solche Verknüpfung vorkommen, wenn auch meistens im Verborgenen. Damit habe ich also überhaupt keine Probleme.“

Warum der SPD-Politiker in der Hauptstadt der Konfessionsfreien und Atheisten bleiben musste, um Bürgermeister werden zu können, anstatt in Großstädten mit einer größeren Zahl an Glaubensgeschwistern wie etwa Köln zu kandidieren, hat er offenbar vergessen. Warum Wowereit nun keine Probleme damit hat, dass Repräsentanten seiner Kirche zentrale Aspekte ihres menschlichen Daseins zu verbergen gezwungen sind, erklärte er nicht und hofft aber auf entsprechende „Debatten, die sicher auch am Rande des Papstbesuches geführt werden.“

Wowereit meint also offenbar, er könne die Theologie der weltgrößten Kirche in diesen fundamentalen Themengebieten demnächst zum Umlenken bewegen – obwohl schon das progressive „Memorandum Freiheit“ vom Februar 2011 mit klaren Worten deutscher Bischöfen abgewatscht wurde. Ein weiterer Reformversuch von der katholischen Jugend stieß auf ebenso wenig Sympathie. Und sogar die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) hadert schwer mit vergleichbaren Reformbestrebungen.

"Heidenspaß statt Höllenangst"

Als erste Veranstaltung im Vorfeld des Auftritts von Joseph Ratzinger wird nun der LSVD Berlin-Brandenburg auf dem Berliner CSD am 25. Juni 2011 mit einem „Papamobil“ mit Päpstinnen und Päpsten präsent sein.

Derweil formiert sich auch in Erfurt, wo der Papst im Anschluss an den Auftritt in Berlin reist, unter dem Slogan „Heidenspaß statt Höllenangst“ ein weiteres Bündnis, das eine Demonstration und eine Kundgebung realisieren will. Im Aufruf des Erfurter Bündnisses heißt es, der Besuch dürfe nicht unwidersprochen über die Bühne gehen, denn das Ereignis „entpuppt sich bei näherer Betrachtung als öffentliche Feier einer zutiefst reaktionären und menschenfeindlichen Ideologie.“ Eine NPD-Messe in Erfurt würde seitens der Initiatoren keine drastischere Beurteilung erfahren. Das mag zwar manche Gläubige schockieren, ändert aber nichts an der Realität.

Trotz der breiter werdenden Zusammenschlüsse läuft der Protest anlässlich Ratzingers als Staatsbesuch camouflierte Missionierungsreise und gegen die Rede des sogenannten Staatsoberhaupts – der tatsächlich der letzte absolute Monarch Europas und Personifikation des pseudostaatlichen Konstrukts namens Heiliger Stuhl ist - im Bundestag bislang vergleichsweise ruhig an.

Eine denkbare Ursache ist, dass der sehr hohe Anteil von Kirchenmitgliedern in Politik und Medien – man denke an die Chefredakteure der „Zeit“, „Bild“ oder den ZDF-Intendanten Markus Schächter – eine ehrlichere Auseinandersetzung erschwert. DBK-Chef Robert Zollitsch warnte jedenfalls schon mal in guter kirchlicher Manier die Parlamentarier davor, bei Ratzingers Rede im Bundestag aus Protest oder Desinteresse nicht anwesend zu sein.

Vorbild Großbritannien

In jedem Fall gelang es der Kirche im Vorfeld des Besuchs in Deutschland, die regelmäßigen Entgleisungen in Ratzingers Reden zu reduzieren – denn als das katholische Kirchenoberhaupt im September letzten Jahres in Großbritannien eintraf, verwendete Ratzinger für die übliche Angstmache vor der Säkularisierung einen der beliebten Verweise auf die Nazi-Zeit. In der Botschaft zum Weltjugendtag 2011 in Madrid erklärte er den Tausenden Gläubigen, nichtreligiöse Gesellschaften würden in eine Welt aus Egoismus und Hass münden.

In Großbritannien jedenfalls, wo die Gläubigen ganz mehrheitlich der anglikanischen Kirche – aus den absurdesten Gründen übrigens ähnlich zerstritten wie die EKD – angehören und der Katholizismus nur ein Randphänomen ist, fand Richard Dawkins die Gelegenheit zu offeneren Stellungnahmen und fasste im zweiten Teil seiner Rede auch solche Kritik am Kirchenführer zusammen, die nicht auf Fragen des Umgangs mit sexuellen Identitäten beschränkt ist.

[video: http://www.youtube.com/watch?v=P2sOqFVPit8]

 

Jana Trommler