Kinderglaube, Erbsensuppe, ewige Verdammnis

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Michelangelo: Sündenfall und Vertreibung (Ausschnitt) / Sixtinische Kapelle

ÜBERLINGEN. (hpd) „Mama, der Pfarrer hat gesagt, dass Erbsen Sünde sind.“ „Ach Quatsch, mein Kind, da hast Du etwas falsch verstanden.“ „Nein, er hat von der Erbs-Sünde erzählt und gesagt, das sei ganz schlimm und dass wir sie alle hätten; und ich esse doch Erbsensuppe sooo gerne!“

Ein lustiges Kinder-Missverständnis einer schrecklichen Sache, deren menschenverachtende Absurdität viel zu wenig beachtet wird. Mama hätte auch „Ach Quatsch“ sagen können, wenn sie gleich verstanden hätte, dass der Pfarrer die Kinder mit der Erbsündenthese belästigt hatte, einer christlich-theologischen Theorie, die die Würde des Menschen und meiner Meinung nach deshalb auch unser Grundgesetz verletzt. Wehren wir uns doch schon, wenn der Staat Maßnahmen plant, die uns alle unter Generalverdacht stellen. Wie kann es dann anderen Organisationen gestattet sein, uns eine Generalschuld zuzuschreiben!

Ich schreibe das mit Wut im Bauch, nachdem ich gerade in Würzburg ein Heftchen der Organisation „Verbreitung der Heiligen Schrift“ in die Hand gedrückt bekam. So wird den unglücklichen Lesern dieser „Information“ einschüchternd, ja durch Höllendrohung erpresserisch klar gemacht, dass sie alle schlecht seien – schlecht von Anfang an. Es wird nicht gesagt, aber ich weiß es noch aus meinen Religionsunterricht, dass es Adam und Evas Ursünde gewesen sei, die alle ihre Nachkommen mit der Erbsünde infiziert hätte (ich wusste damals noch nicht, dass ich wahrscheinlich gar nicht von Adam und Eva abstamme, sondern streng biblisch von jenen Leuten, zu denen Kain sich nach seinem Brudermord flüchtete – Leute, die sich wahrscheinlich ganz normal aus früheren Primaten entwickelt hatten).

Und es sei da keiner, so lässt uns die Organisation wissen, der besser sei als andere, weil er etwa nur geringfügig gegen „das Gesetz“ verstoßen habe – nein, wer ein Gesetz der Bibel breche sei genauso schlecht wie der, der alle Gesetze missachte; das habe Paulus an die Römer geschrieben, und der musste es ja wissen, und auch Jakobus habe dergleichen aufgeschrieben.

Na, das ist mir eine feine Moral: ab dem ersten Gesetzesbruch also keine Straferhöhung, z.B. für Massenmord? Sind Hitlers oder Stalins Verbrechen vor Gott tatsächlich jeder kleinen Lüge, jedem Ladendiebstahl oder heißem Flirt gleichwertig? Das kann doch nicht Teil jener „christlich-jüdischen Grundlage“ unserer Gesellschaft sein, von der unsere Kanzlerin neuerdings redet.

Aber da ist sich der VdHS sehr sicher, wörtlich: „Der Kern ist schlecht – bei allen unterschiedslos“, alle fallen der ewigen Verdammnis anheim!

Doch der VdHS weiß mehr; das Heftchen klärt auf, als wäre der Autor dabei gewesen: „Wir hören ihn (Gott!) rufen: Was soll ich tun? Ich will meinen geliebten Sohn senden.“ Und wir erfahren, dass der Sohn dem desorientierten Vater seinen Aufenthaltsort offenbart: „Hier bin ich, sende mich“. Schön zu erfahren, dass die Dreieinigkeit auch im Himmel miteinander spricht, auch wenn der Heilige Geist sich hier offenbar nicht eingemischt hat, vielleicht weil er Angst hatte, er werde schon an Weihnachten oder Ostern gesendet – zu Pfingsten musste er ja dann doch auf die Erde.

Und dann kommt es mit voller Wucht: Nur wer die ganze christologische Geschichte von Gottes Menschengeburt und Foltertod glaubt, bleibt von der ewigen Verdammnis verschont. Oh ihr armen Heiden!

Offenbar um alle Naiven und geistig Schwachen einzuschüchtern, fährt das Pamphlet fort, von drohendem Verderben zu schmarren, dem es zu entfliehen gelte. Schluss müsse sein mit „dem Seufzen unter der Sündenschuld und der Last der Vergangenheit“. Denn es gehe „um etwas ganz Gewaltiges: um Himmel oder Hölle – in Ewigkeit!“.

All dieser Quatsch wird munter mit Bibelzitaten belegt, vorwiegend aus dem Neuen Testament. Damit kommt dem VdHS das große Verdienst zu, all die modernen theologischen Weichmacher Lügen zu strafen, die schon lange die furchtbare Drohung der Bibel unsichtbar haben werden lassen:

  • entweder Du glaubst die merkwürdigen Geschichten von einem machtlos-ratlosen Gott, der etwa eine Millionen Jahre lang nicht merkt, was Menschen sind, der ihnen dann nicht einmal aus freiem Willen ihre Übeltaten verzeihen kann, sondern eine absurd-blutige Inszenierung in Gang setzen muss, um sein Ziel zu erreichen;
  • oder Du musst Angst haben, für ewige Zeiten in die Hölle zu kommen, was immer das sein soll. Denn eines vergibt dieser gnadenlose Gott offenbar nicht, nämlich, dass man seinen Kopf benutzt und selber denkt.

Apropos Weichmacher, da fiel mir doch gerade ein Chrismon-Heft in die Hand. Und was schreibt da der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche Nikolaus Schneider: „Als Geschöpfe Gottes sind Menschen immer mehr und immer Besseres, als ihr oft ungenügendes und fehlerhaftes Verhalten offensichtlich macht. Geschöpfe Gottes zu sein, das bedeutet: von Gott bedingungslos angenommen zu sein und geliebt zu sein“. Kennt der Ratsvorsitzende die Heilige Schrift nicht? Und der Chefredakteur Arnd Brummer schreibt im selben Heft: „Ich glaube nicht an einen strafenden Gott... Ich glaube an einen Gott, der wusste, was er tat, als er Menschen schuf. Er hat nicht zufällig fehlbaren Typen das Leben eingehaucht, die einen freien Willen haben, nach Erkenntnis streben und dabei alle möglichen Torheiten begehen... Warum aber soll Gott sie dafür bestrafen, dass er sie so geschaffen hat?“

Also Liebe, Gnade, Friede, Freude, Eierkuchen, piep-piep, Gott hat Euch lieb?

Und wo bleibt da der Teufel, an den ebenfalls zu glauben, nach Aussage eines der letzten Päpste Glaubenspflicht ist? Ist der nicht mit schuld? Was kann denn der Mensch dafür, wenn Gott seine Engel nicht im Griff hat?

Das Abstoßende an all dem ist doch, dass die Pfarrer, Priester und Theologen die Sachen darstellen, wie sie es gerade brauchen: für jede Gelegenheit oder Zielgruppe eine andere Theologie; und wo Kinderglaube an Schutzengel, Wunder und Heilige eine Chance hat, wird er eifrig gestärkt, während man sich an den Universitäten in wissenschaftlich klingende Unverständlichkeiten flüchtet.

Wäre ich auch nur im Ansatz gottgläubig, so würde ich Ihm zuallererst für diese Gnade des eigenständigen Denkens danken. Und ich bin ziemlich sicher: er würde mich dafür loben, dass ich keine Geschichten über Ihn glaube, die sich Menschen ausgedacht haben, sondern dass ich sein großartiges Geschenk, die Vernunft, benutze.

Aber ich bin nicht gottgläubig und schon gar nicht Christ. Ich bin Staatsbürger in der Mitte einer europäischen Gesellschaft auf dem Weg vom Mittelalter in eine hoffentlich aufgeklärte Neuzeit und als solcher sind mir Hass- und Angstprediger gründlich zuwider. Aber es geht bei der Frage der Erbsünde um mehr: es geht um das Menschenbild, auf das wir unsere demokratische Gesellschaft gründen wollen. Da muss die einschüchternde, ja menschenverachtende Lehre von einer Erbsünde mindestens so scharf bekämpft werden wie harmlosere Eigentümlichkeiten der Theologie wie Jungfrauengeburt, Dreieinigkeit oder postmortale Wunder von Ex-Päpsten.

Gerd Eisenbeiß