(hpd) Der Sozialwissenschaftler Colin Crouch, der durch seine Analysen zur „Postdemokratie“ bekannt geworden ist, untersucht in seinem neuen Buch die Gründe für die fortwährende Macht einschlägiger ökonomischer Auffassungen. Der Autor vermeidet dabei ein plattes „Neoliberalismus“-Bashing und verweist demgegenüber auf den in der Kooperation von Großunternehmen und Staat zum Ausdruck kommenden Verstoß gegen die eigentlichen Prinzipien der Marktwirtschaft.
„Obwohl die Banken für die Krise 2008/2009 verantwortlich waren, gingen sie aus ihr gestärkt hervor“ (S. 19), konstatiert der Sozialwissenschaftler Colin Crouch. Und nicht nur das: Obwohl der Neoliberalismus für eben jene Krise mit den Weg bereitet hat, steht er politisch noch einflussreicher da als vor dem Zusammenbruch der Finanzmärkte. Daher bemerkt Crouch: „Wir müssen uns also fragen, wie es zu dem überraschenden Ergebnis kommen konnte, dass der Neoliberalismus nicht untergegangen ist“ (S. 12). Damit formuliert er auch die zentrale Problemstellung für sein neues Buch, das den bezeichnenden Titel „Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus“ trägt. Dabei handelt es sich nicht um eine neue Variante der „Hau den Kapitalismus“-Traktate, die zeitweise den Buchmarkt überschwemmten. Crouch, der durch sein Buch „Postdemokratie“ über die stille Aushöhlung der westlichen Demokratien weit über Fachkreise hinaus bekannt wurde, verweigert sich denn auch dem platten „Markt-Staat-Dualismus“ der Debatte.
Gerade dadurch gewinnt die Kritik des Autors am Neoliberalismus eine besondere argumentative Stärke, denn er sieht in derartigen ökonomischen und sozialen Positionen eben nicht die Apologeten des Marktes gegen den Staat. Crouch meint, dass die häufig beschworene Auseinandersetzung „Markt gegen Staat“ falsch sei, müsse man doch vielmehr von einem „Dreikampf“ zwischen Großunternehmen, Markt und Staat sprechen. Die Erstgenannten hätten ihren Einfluss auf den Staat, woran sich nach der Bankenkrise nichts geändert habe. Ganz im Gegenteil: „ ... da der Finanzsektor gerettet wurde, während man andere Branchen und den öffentlichen Dienst zu Einsparungen zwang, wird er in der Wirtschaft dieser Länder nun eine gewichtigere Rolle spielen denn je.“ (S. 20) Die ökonomische und politische Entwicklung hin zu diesem Phänomen bildet den inhaltlichen Schwerpunkt der acht Kapitel des Buches, das auf die Überarbeitung von bereits zuvor an anderen Orten veröffentlichte Aufsätze zurückgeht.
Crouch betreibt dabei kein plattes „Neoliberalismus-Bashing“, geht er doch inhaltlich angemessen und fair auf die Grundpositionen der gemeinten Auffassungen zu Sozial- und Wirtschaftspolitik ein. Dabei hebt der Autor angemessene Einsichten und Kritik am zuvor (allerdings einseitig und unvollständig) praktizierten Keynesianismus hervor. Für ihn überwiegen indessen die Gleichgewichtsstörungen und das Marktversagen, was auch und gerade mit Verstößen gegen die eigentlichen Grundprinzipien der Marktwirtschaft zusammenhänge. Hier verweist Crouch auf die Aushöhlung der Trennung von Politik und Wirtschaft. Dabei werde immer so getan, als ginge es um eine Anpassung des Staates an den Markt. „Tatsächlich wird er jedoch eher einem marktbeherrschenden Großunternehmen gleich gemacht. Dies hat weiter zur Verflechtung von Politik und Großkonzernen beigetragen – also zum Gegenteil dessen, was die liberale Volkswirtschaftslehre beabsichtigt“ (S. 109). So stünden Großkonzerne und Staat mitunter gegen den Markt.
Hierbei hätten Einfluss und Macht der Unternehmen noch zugenommen, sei es doch selbst nach der Finanzkrise nicht zu entsprechenden Einschnitten zugunsten der Politik gekommen. Denn: „Heute wissen die Banken, dass der Staat sie raushauen wird und bereit ist, ihre Rettung mit Kürzungen im öffentlichen Dienst zu finanzieren. Sie gehen jetzt höhere Risiken ein als vorher“ (S. 148).
Bezüglich der Einschätzung der Folgen für die Demokratie und die Gesellschaft hält sich Crouch erstaunlich zurück. Er schreibe auch nicht, so wird ausdrücklich bemerkt, um für große Änderungen, sondern für kleine Fortschritte einzutreten. Sie erhofft Crouch sich von zivilgesellschaftlichem Engagement, das aktuell von Gewerkschaften, Umweltgruppen und Verbraucherverbänden ausgehe. Er schließt seinen Band aber hinsichtlich der Macht des Neoliberalismus mit einer pessimistischen Einschätzung: „Die wirtschaftlichen und politischen Kräfte, die hinter dieser Agenda stehen, sind zu mächtig, als dass ihre Vorherrschaft ernsthaft ins Wanken gebracht werden könnte“ (S. 246).
Armin Pfahl-Traughber
Colin Crouch, Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Aus dem Englischen von Frank Jakubzik, Berlin 2011 (Suhrkamp-Verlag), 248 S., 19,90 €