BERLIN/WIESBADEN. (hpd) Im „Datenreport 2011“, einem Handbuch zur wirtschaftlichen und sozialen Situation in Deutschland, wird auch die Frage der Entwicklung der Religiosität in den beiden deutschen Landesteilen seit 1990 behandelt. Insofern lässt sich für diesen Zeitraum die Frage beantworten, ob es in Deutschland eine Rückkehr der christlichen Religion gibt. Die Antwort ist ein klares Nein.
Das Statistisches Bundesamt und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung haben in Zusammenarbeit mit dem Sozio-ökonomischen Panel am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und der redaktionellen Verantwortung der Bundeszentrale für politische Bildung den Datenreport 2011 herausgegeben, einen „Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland“. Es ist der 13. Jahrgang der Publikation renommierter wissenschaftlicher und offizieller Einrichtungen der Bundesrepublik. „Fachleute aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Verwaltung erhalten mit dem Datenreport ein übersichtlich gestaltetes Handbuch, das sie mit den notwendigen Zahlen, Fakten und Argumenten versorgt, um an den öffentlichen Debatten zu den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Trends in unserem Lande teil zunehmen.“ (S. 5)
Auch wenn der aktuellen Diskussion zum Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum, Lebensqualität und Wohlfahrt ein besonderer Schwerpunkt in der Datenaufbereitung und Datenanalyse gewidmet ist, soll hier der Aspekt der Religion betrachtet werden.
Eine erste Durchsicht zeigt, dass die Daten zur Religion und Religionsausübung nicht, wie in den Statistischen Jahrbüchern im Kapitel „Bevölkerung“ enthalten ist, sondern im Abschnitt 13 (Freizeit und gesellschaftliche Partizipation), in dem „Freizeit und Mediennutzung“ (S. 341 ff.)“Religiosität und Säkularisierung“ (S. 354 ff) und „Zivilgesellschaftliches Engagement“ (S. 358 ff) analysiert werden.
Der Berichterstatter des Abschnitts zur Religiosität ist Heiner Meulemann, seit 1995 Professor für Soziologie an der Universität zu Köln, vormals (1986-1989) Professor für Soziologie an der katholischen Universität Eichstätt und (1989-1995) ebenso an der Universität Düsseldorf.
Er unterscheidet zwischen Religion als einem System von Lehren, das eine Antwort auf die religiösen Fragen eines Diesseits und Jenseits anbietet, sowie Religiosität, als Einstellungen von Menschen zur religiösen Frage.
Gewinnt der Mensch seine Antworten auf die religiösen Fragen nicht mehr aus den Glaubenslehren der Religionen, sondern aus Überzeugungen, die in dieser Welt gewonnen werden und die sich auf das Leben in dieser Welt richten, kann von einer Säkularisierung gesprochen werden.
Erfassen lässt sich diese Säkularisierung als ein Rückgang von Durchschnittswerten der Religiosität. Dabei werden fünf Formen der Religiosität unterschieden: die formale Kirchenmitgliedschaft, der öffentlich-kirchliche Gottesdienstbesuch, die religiös-private Praxis des Gebets, dann die diffuse Religiosität, gemessen an einer religiösen Selbsteinschätzung, und schließlich die Bedeutung religiöser Weltbilder.
Für einen deutsch-deutschen Vergleich wurden Daten von 1990 bis 2008 betrachtet. Ausgangsthese dabei war, dass in den staatssozialistischen Staaten Osteuropas die Religion von der Politik bekämpft worden war, während die Religion in den kapitalistisch-demokratischen Ländern Westeuropas ohne jeden Zwang ihre Anhänger verloren hat. Die Untersuchungsfrage war nun, ob der ostdeutsche Säkularisierungsvorsprung bis 2008 bestehen geblieben ist oder sich verringert hat.
Für alle fünf Formen der Religiosität lässt sich feststellen, so Meulemann, das in Ostdeutschland die zwangsweise „Entkirchlichung“ stabil geblieben ist. Im Unterschied zu dem durch seinen Zusammenbruch diskreditierten Staatssozialismus und die Desorientierung einer „sozialistischen Moral“ in einer Gesellschaft, die nach 1989 durch unterschiedliche Interessenlagen und Konflikte geprägt ist, hat sich die säkulare Weltsicht in den ostdeutschen Ländern stabil erhalten, da sie mit der neuen Sozialordnung vereinbar sei.
In Westdeutschland schreite die „freiwillige Säkularisierung“ dagegen weiter voran. Die Weltbilder der Menschen in Westdeutschland „liegen gleichsam wie Schichten übereinander, die die Historie spiegeln: Die Religion des Abendlandes wird von modernen Weltanschauungen, dem Naturalismus und dem Existentialismus, überlagert. Das Christentum ist heute in Westdeutschland nicht mehr die vorherrschende religiöse Weltdeutung.“ (S. 356)
Insofern ergibt sich die abschließende Schlussfolgerung zwingend: „Von einer Wiederkehr der Religionen kann also in keinem Landesteil die Rede sein.“ (S. 357)
Insofern zeigt sich, dass die behauptete Rückkehr der Religionen, wie sie beständig immer wieder von Vertretern der beiden Amtskirchen beschworen sind, ein Wunschdenken darstellt. Die seit Jahren in den aufbereiteten Daten im Archiv der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid.de) –sei es zur formalen Kirchenmitgliedschaft, zur Kirchgangshäufigkeit, oder generelle Zahlen zum kirchlichen Leben im katholischen Deutschland und ebenso in den Landeskirchen sowie die Rückläufigkeit der Kirchenpresse u. v. a. m. werden dadurch, sozusagen amtlich, bestätigt.
Wenn es eines weiteren Hinweises auf die zurückgehende Bedeutung der beiden christlichen Amtskirchen innerhalb der Bevölkerung bedarf, dann sei darauf verwiesen, dass während der kürzlichen Pastoralreise des Papstes durch Deutschland der Zuspruch aus der Bevölkerung gering blieb. Außer auf dem Domplatz in Erfurt, der bewusst als sehr klein ausgesucht worden war, sind an keinem Veranstaltungsort, sei es im Berliner Olympiastadion, sei es im Eichsfeld oder während der beiden Gottesdienste in Freiburg, die Besucherzahlen zusammen gekommen, die als Mindestzahl erwartet worden waren.
Es bleibt zu fragen, wann die offizielle Politik diese Entwicklung zur Kenntnis nimmt und säkularen Weltsichten einen gleichen Raum gewährt, wie bisher den religiösen Auffassungen.
C.F.