Eine Bilanz der Antisemitismusforschung

(hpd) Der Historiker Wolfgang Benz legt eine in sechs Aufsätzen enthaltene Gesamtbetrachtung zur Antisemitismusforschung vor. Insofern täuscht der Haupttitel „Antisemitismus und ‚Islamkritik‘“ über den tatsächlichen Inhalt hinweg, welcher unterschiedliche Aspekte dieses Wissenschaftsfeldes kenntnisreich, aber auch diskussionswürdig anspricht.

Bestehen Gemeinsamkeiten bei der Feindschaft gegen Juden und Muslime? Über diese Frage wird seit einiger Zeit nicht nur in den Feuilletons heftig gestritten: Die Einen verweisen auf formal identische Argumentationsmuster und Feindbildstereotype, die Anderen sehen in solchen Betrachtungen eine Verharmlosung des Antisemitismus. Einen Vorwurf im letztgenannten Sinne musste sich auch der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin Wolfgang Benz anhören. Der Historiker hatte zuvor in Zeitungsartikeln einschlägige Vergleiche vorgenommen und dadurch eine entsprechende Auseinandersetzung ausgelöst. Nun legt er einen Band mit dem Titel „Antisemitismus und ‚Islamkritik’“ vor. Wer allerdings darin eine ausführliche Abhandlung zu dem genannten Problemkomplex erwartet, wird enttäuscht werden. Es handelt sich um sechs längere Texte, die aus früheren Aufsätzen und Vorträgen entstanden, wovon eben das Thema „Antisemitismus und ‚Islamkritik’“ nur in einem Beitrag thematisiert wird.

Mit den Texten will Benz, der nach zwanzig Jahren an der Spitze des Zentrums in den Ruhestand geht, Bilanz zur einschlägigen Forschung ziehen. Er definiert zunächst: „Antisemitismus umfasst alle Formen und Stufen der Ablehnung gegenüber Juden, wie sie manifest durch Diskriminierung und Gewalt, latent durch Ressentiments, als Haltung der Abneigung in Erscheinung treten“ (S. 35). Der erste Beitrag skizziert denn auch in diesem Sinne Geschichte und Gegenwart der Judenfeindschaft, wobei sowohl allgemeine historische Entwicklungen wie neuere Fälle (Hohmann, Möllemann) Aufmerksamkeit finden. Im zweiten Text geht es um die Antisemitismusforschung als akademisches Fach und gesellschaftliche Aufgabe, habe sie doch Leitfunktion für eine erweiterte Vorurteilsforschung auch in andere Richtungen. Der nächste Aufsatz behandelt die Holocaustleugnung als Verweigerung der Realität, welche man vor allem bei Rechtsextremisten ausmachen könne, aber auch in der inflationären Verwendung der Beschwörung des Holocaust feststellbar sei.

Dem folgt als vierter Beitrag eine Abhandlung zur Genozidforschung in vergleichender Perspektive. Benz macht dabei die methodische Dimension gegen verbreitete Missverständnisse deutlich: „Vergleichende Genozidforschung ist sich der jeweiligen Eigenart des Ereignisses bewusst. Komparatistik als wissenschaftliche Methode bedeutet weder ‚Gleichsetzung’ noch Nivellierung oder Marginalisierung. Vergleichende Genozidforschung leistet auch keiner Opferkonkurrenz Vorschub und lässt sich nicht in den Dienst politischer Interessen nehmen“ (S. 133). Danach behandelt Benz die Geschichte der Abwehrbewegungen gegen den Antisemitismus. Und schließlich geht es noch um das eigentliche Thema des Buchtitels, wozu der Historiker klarstellt: „Analogien zwischen Antisemitismus und Muslimfeindschaft sind etwas anderes als der Vergleich oder gar die Gleichsetzung von Juden und Muslimen. Es geht um das Verhalten der Mehrheit gegenüber Minderheiten, um Funktion und Wirkung von Vorurteilen ...“ (S. 183).

Benz legt mit dem Band tatsächlich eine Art Bilanz seiner Arbeit als Antisemitismusforscher vor. Die Kenner seiner Schriften finden darin kaum etwas Neues, viele Textteile hat man auch schon in früheren Abhandlungen lesen können. Gleichwohl verdienen sie auch hier Interesse. Benz formuliert auch kritische Kommentare in Richtung einer Instrumentalisierung des Antisemitismus wie etwa: „Bedenklich ob ihrer Undifferenziertheit ist aber auch die bedingungslose Gefolgschaft jeglichen Handelns israelischer Politik und ihrer Organe, die Kritiker pauschal zu Antisemiten stempelt“ (S. 34). Hierzu hätte man jeweils gern mehr gelesen, zumal Benz allgemein und knapp bleibt. Wer ist jeweils gemeint, was wurde jeweils gesagt? Dieses Wissens bedarf es, um die Bemerkungen einschätzen zu können. Hier und da wäre darüber hinaus auch inhaltliche Kritik angebracht, etwa inwieweit die präsentierte Antisemitismus-Typologie das Phänomen ausreichend erfassen kann. Unabhängig davon handelt es sich aber um die lesenswerte Bilanz eines verdienten Wissenschaftlers.

Armin Pfahl-Traughber

Wolfgang Benz, Antisemitismus und „Islamkritik“. Bilanz und Perspektive, Berlin 2011 (Metropol-Verlag), 203 S., 19,00 €