Pflichtfach „Ethik“ auf gutem Weg

BERLIN. Die Erleichterung der Bildungspolitiker aus dem Berliner Abgeordnetenhaus war nicht zu übersehen. Immerhin gab es nach

sechs Monaten Erfahrung mit dem Pflichtfach „Ethik“ in Berlin und Brandenburg gute Noten. Dass der Unterricht von den Schüler/-innen, den meisten Eltern und Lehrkräften in den 7. Klassen offensichtlich akzeptiert wird, machten <Dr. Felicitas Tesch> (SPD), <Steffen Zillich> (Linkspartei/PDS) und <Roland Otte> (Bündnis 90/Die Grünen) erkennbar zufrieden. Nach all der Schelte, all den Anfeindungen von Seiten der Konservativen, Neoliberalen und <Kirchenvertretern> noch im letzten Wahlkampf, gab es Erfreuliches zu melden, nicht nur, weil ein Gerichtsverfahren gegen dieses Fach für die <Kläger> verloren ging. Weitere Presseechos finden sie im Anhang.

Auf der gemeinsamen Veranstaltung der „Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft“ (GEW) mit dem „Forum Gemeinsames Wertefach für Berlin“ am 21. Februar zum Thema „Ethikunterricht auf gutem Weg? – eine erste Zwischenbilanz aus der Praxis“ wurden konkrete Forderungen gestellt:

  • Halbierung der Klassengröße von über 30 Schüler/-innen
  • zusätzliche Finanzen zur Anschaffung notwendiger Unterrichtsmaterialien
  • mehr qualifizierten Lehrkräften

Ein bildungspolitischer Hinweis auf die schwierige Finanzlage der Stadt und die Unerbittlichkeit der Finanzpolitiker fand angesichts der Bedeutung von Bildung keine Akzeptanz. Großes Interesse fand die bereits eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn mit fünf Schulbuchverlagen organisierte Ausstellung. Neue Schulbücher für das Fach Ethik weckte ungeteilte Aufmerksamkeit bei den etwa 80 Teilnehmer/-innen.

Erste Erfahrungen

Das Fach hat sich in kurzer Zeit gut etabliert. Die Chancen des Ethikunterrichts zur Vermittlung einer offenen Gesprächsatmosphäre werden offenbar an vielen der 355 Berliner Oberschulen genutzt. An einzelnen Gymnasien oder Gesamtschulen bestritten anfangs einige Eltern das Recht des Staates auf eine Werteerziehung, konnten aber offensichtlich mit Hinweis auf die ersten drei Paragraphen des Schulgesetzes überzeugt werden.

Schwierigkeiten bestehen an einigen Haupt- und Realschulen, aber ebenso an Gesamtschulen mit vielen Migranten, die anspruchsvollen Materialien und Themenstellungen des Rahmenlehrplans sprachlich zu bewältigen. Dennoch wurde der u.a. von der GEW als zu kopf- und philosophielastig kritisierte Rahmenlehrplan als offen genug verteidigt, den jeweiligen Unterricht auch mit Haupt-Schüler/-innen durchzuführen. Kritik gab es eher an der Beliebigkeit der Themenwahl innerhalb einer Zweijahresstufe, die bei Schulwechsel für die Schüler/-innen Nachteile mit sich bringen kann, so Ursula Müller-Wißler vom Kreuzberger „Hermann-Hesse-Gymnasium“.

Vor dem überwiegend atheistischen Hintergrund im Ostteil der Stadt stoßen laut Rotraud Bergner von der „Merian-Oberschule“ in Treptow-Köpenick, religiöse Fragen auf Desinteresse. Religionskunde werde wie Geschichtsunterricht angesehen. Das Fehlen von Migranten an den Schulen begünstige Vorurteile über den Islam. Dagegen hätten viele Jungen Interesse an Beziehungsfragen und Konfliktlösungen.

Gabriele Lützenkirchen von der Kreuzberger „Lina-Morgenstern-Gesamtschule“ hatte wie viele andere Kollegen/-innen an Schulen mit hohem Migrantenanteil zunächst Schwierigkeiten, einen respektvollen Umgangston im Unterricht zu schaffen und die Wirkung der ständigen Schimpfworte, Ausdrücke mit selbst antisemitischer Konnotation, bewusst zu machen. Dafür biete der Ethikunterricht mit seiner angstfreien, offenen Kommunikation eine gute Möglichkeit. Gleiche Erfahrungen machte auch Norbert Böhnke von der Lichtenrader „Carl-Zeiss-Oberschule“. Er wies darauf hin, dass es bei dem hohen Anteil konfessionsloser Schüler/-innen in Berlin wichtig sei, außer religiösen Feiertagen auch weltliche wie z.B. den Frauentag im Unterricht zu behandeln.

Eine Zusammenarbeit mit Religionslehrkräften wurde bisher an nur wenigen Oberschulen praktiziert, meist in Ermangelung eines entsprechenden Religionsunterrichtes.

Folgerungen für Lehrkräfte

Übereinstimmend bestand die Forderung an die Schulorganisation, die Ethiklehrkräfte nicht nur mit zwei Stunden in den Klassen einzusetzen, sondern mindestens mit noch einem weiteren Fach, um die Vertrauensbasis zu den Schüler/-innen zu verbessern. Als abschreckendes Beispiel nannte Frau Dillmann-Schlösser die „Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule“. Hier unterrichten zwei Kollegen/-innen neun siebte Klassen mit Frequenzen von 30 bis 32 Kindern in Ethik, werden ansonsten aber in ganz anderen Klassenstufen eingesetzt.

Alle Ethiklehrkräfte waren der Auffassung, dass von der Bildungsverwaltung oder den Unis eine Kommunikationseinrichtung, z.B. ein Internetforum, eingerichtet werden sollte, in dem Erfahrungen und Materialien aus der Praxis ausgetauscht werden können, auch nachdem die Weiterbildungskurse absolviert sind.

Der Vertreter der Bildungsverwaltung, Manfred Zimmermann, kündigte für den Sommer fünf neue Weiterbildungskurse an. Es gebe zur Zeit auch genügend Ethiklehrkräfte, allerdings nicht immer an den Schulen, wo sie gebraucht würden.

Prof. Dr. Michael Bongardt von der Freien Universität Berlin und Prof. Dr. Thomas Schmidt von der Humboldt Universität berichteten von der Planung grundständiger Ethik-Studiengänge, die an beiden Einrichtungen im kommenden Wintersemester mit deutlich unterschiedlichen Akzenten beginnen sollen. Dr. Helga Ludwig-Steup wies darauf hin, dass die Theorielastigkeit zu Beginn der Ethiklehrerweiterbildung zugunsten einer Hinwendung zu mehr Fachdidaktik und Modularisierung im weiteren Verlauf und bei den neuen Lehrgängen überwunden wurde. Dies war im Vorfeld von vielen referierenden Lehrkräften als hilfreich hervorgehoben worden.

Moderne schülerorientierte Unterrichtsmethoden als Ergebnis von Weiterbildungsbemühungen könnten aber auch unter Schüler/-innen Verwirrung stiften, wusste Sabrina Dziedzioch-Teuscher aus der Charlottenburger „Pommern-Hauptschule“ zu berichten. Sie war von dem verunsicherten Ibrahim aus der 7. Klasse gefragt worden: „Wollen Sie uns therapieren?“

Die Frage nach dem Umgang oder Verbleib mit Lehrkräften nach der Weiterbildung, sobald die voll ausgebildeten Ethiklehrkräfte von den Unis in die Schulen kämen, erhitzte zum Ende die Gemüter. In Brandenburg hätten, so Peter Kriesel, Bundesvorsitzender des Fachverbandes Ethik, von 800 weitergebildeten LER-Lehrkräften 750 eine besoldungsrelevante Prüfung absolviert. Für Berlin scheint dagegen alles offen. An nachträgliche Staatsprüfungen in Ethik als zweites Wahlfach ist zur Zeit nicht ernsthaft gedacht (denn das könnte wohl Geld kosten). Hier gibt es für das Wertefach-Forum und die GEW noch einiges zu tun.

Dr. Gerhard Weil
Sprecher des Forums Gemeinsames Wertefach für Berlin

 

Die Presseechos und das Medienecho wurden freundlicherweise von Gerd Eggers, dem Koordinator des Forums, zusammen- und zur Verfügung gestellt.

Bildunterschriften:

Die Berliner GEW-Vorsitzende Rose-Marie Seggelke eröffnete die Veranstaltung und sprach mit den Medien

Beratung ist wichtig! Zeichnung: Roland Bühs, LISA Bremen

Lebhaftes Interesse bei der Ausstellung von Materialien durch fünf Verlage