Rassismus in Österreich

WIEN. (hpd) Vorurteile sind wichtiger als das Geschäft.

Rassismus in Österreich gibt es überall. Selbst, wenn’s um Geld geht. Das geht aus dem aktuellen Rassismus-Report der Plattform Zara hervor. Allerdings steigt die Bereitschaft, sich dagegen zu wehren.

Man braucht starke Nerven, um diesen Report zu Ende zu lesen (der Korrespondent musste mehrfach abbrechen, Anm.). 706 Fälle rassistischen Verhaltens zählt die Plattform ZARA (Zivilcourage- und Anti-Rassismus-Arbeit), nur eine Auswahl wird näher ausgeführt. Die hat es in sich. Die Palette reicht von Mord über rassistisch motivierte Festnahmen und Diskriminierungen, selbst bei Banken, bis zur beinahe alltäglichen Beschimpfung.

Die  Vorfälle haben System. Das wird öffentlich kaum wahrgenommen. Selbst ein rassistisch motivierter Mord in Oberösterreich wurde im Vorjahr medial zunächst als persönlich motivierter Amoklauf präsentiert. Ein ehemaliger Berufssoldat hatte seinen Nachbarn mit Migrationshintergrund erschossen. Nur dessen Sohn konnte verhindern, dass die ganze Familie getötet wurde. Auch er wurde schwer verletzt. In einem anderen Fall, der etwas mediale Aufmerksamkeit bekam, verprügelte eine Frau ihre Nachbarin und verletzte sie schwer. Motiv war offenbar die Herkunft des Opfers.

„People like you can not have an account here!“

Wer die falsche Hautfarbe hat, darf in Österreich unter Umständen nicht einmal ein Bankkonto eröffnen. ZARA dokumentiert den Fall einer südamerikanischen Malerin, der mehrere Banken ein Konto verweigerten. „Als die Bankangestellte ihren Ausweis betrachtet, verweigert sie die Eröffnung eines Kontos mit den Worten: 'People like you can not have an account here!'. Entsetzt geht Frau R. in eine gegenüberliegende Filiale einer anderen Bank, kann jedoch auch dort kein Konto eröffnen. Sie wird von einem Angestellten von Kopf bis Fuß gemustert und gefragt: 'What is your real job?' In einer dritten Bank wird ihr ebenfalls eine Kontoeröffnung verweigert und erklärt, dass hier Deutsch gesprochen werde.“

Vorurteile auszuleben ist für viele offenbar wichtiger als das Geschäft. Auch vielen Lokalen, die Gästen wegen ihrer dunklen Hautfarbe den Zutritt verwehren. Klar illegal nach österreichischem Recht: „Diese Entwicklung zeigt, dass die Unternehmen, in denen diese Vorfälle passiert sind, ihre MitarbeiterInnen nicht ausreichend auf eine diverse Kundschaft vorbereitet haben, und sie zeigt auch, dass wenig bekannt ist, dass Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Herkunft beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen laut Gleichbehandlungsgesetz verboten sind“, sagt Claudia Schäfer von ZARA.

Hauptsächlich Menschen aus Afrika oder Muslime betroffen

In den Fällen, die ZARA genauer dokumentiert, sind Menschen aus Afrika oder mit muslimischem Religionsbekenntnis die Hauptleidtragenden des Alltagsrassismus. Eine Polizistin bezeichnet einen Wiener mit afrikanischen Wurzeln auf einer U-Bahn-Station offen als Drogendealer. Verdachtsmomente gibt es keine. Als der Mann protestiert, muss er wegen „Lärmerregung“ und „aggressiven Verhaltens gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht“ 60 Euro Strafe zahlen. In einem anderen Fall werden mehrere Gäste eines Lokals offenbar wegen ihrer Herkunft aus Tunesien verprügelt und verletzt. Die Polizei weigert sich, eine Anzeige entgegenzunehmen. Erst die Zusammenarbeit mit der Plattform bringt Bewegung in die Sache: „Herr K. schickt eine gemeinsam mit ZARA formulierte Sachverhaltsdarstellung des Vorfalls an die Staatsanwaltschaft, woraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung gegen den Angreifer eingeleitet wird. Nachdem die Sache von ZARA als polizeiinterne Beschwerde weitergeleitet wurde, erfährt Herr K., dass gegen die betreffenden BeamtInnen wegen Missbrauchs der Amtsgewalt ermittelt wird. Er wird in der Folge als Zeuge dazu befragt, der Ausgang beider Verfahren ist zu Redaktionsschluss noch offen.“

Weibliche Teenager drohen in einem Bus einer Muslimin, ihr Kopftuch und sie selbst zu verbrennen. Ein Mann bespuckt eine Muslimin an einer Bushaltestelle. Zwei Frauen, die die Szene beobachten, können ihn vertreiben. Ein Arzt sagt zu einer Jugendbetreuerin, vor lauter Türken könne man in Wien nicht mehr atmen. Jugendliche legen Feuer vor einem Lokal des regierungsnahen türkischen Vereins ATIB in Tirol. Verletzt wird niemand.

Antisemitismus verschwindet nicht

Auch alte Gespenster tauchen wieder auf. Beim Qualifikationsspiel Österreich - Deutschland für die Fußball-EM ziehen deutsche Hooligans durch die Wiener Innenstadt. Ein Zeuge berichtet ZARA davon, dass auch um die örtliche jüdische Synagoge Parolen wie „Sieg Heil“ gebrüllt werden. Ein Sicherheitsmitarbeiter der jüdischen Gemeinde wird mit den Worten „Du hast eine Judennase, du Juden-Sheriff“ beschimpft. Ein weiterer Fall: Mitte März sitzt Frau H. an einem Tisch eines Kaffeehauses im 23. Wiener Gemeindebezirk. Am Nebentisch sitzen zwei Frauen und unterhalten sich. Frau H. hört folgende Gesprächsfetzen: „Die hat einen richtigen Judenmund. So jüdische Lippen“ – „Diese Judenvisage schau ich mir sicher nicht an.“ Antisemitismus ist nicht nur bei „weißen“ Österreichern verbreitet, wie ein anderer Vorfall zeigt. „Ein 19-jähriger Lehrling fährt an einem Sonntagabend mit einem Bus, als ihn zwei Jugendliche türkischer Herkunft anpöbeln, weil sie seinen Davidstern bemerken, den er an einer Kette um den Hals trägt. Er wird von den Angreifern für einen Juden gehalten und zunächst verbal attackiert ('Hitler hätte die Juden fertigmachen sollen! Israelis sind Kindermörder! Die Türkei wird Israel wegfegen!'). Schließlich wird der Lehrling von den beiden Jugendlichen auch zweimal ins Gesicht geschlagen. Keiner der anderen Fahrgäste des vollbesetzten Wagens schreitet ein.“

Unerwartete Opfer

Manchmal werden Menschen rassistisch beschimpft, bei denen man es nicht vermuten würde. „Im Jänner wartet Frau R. mit ihrem Freund – beide sind deutscher Herkunft – frühmorgens in einer Wiener U-Bahn-Station auf einen Zug. Sie unterhalten sich miteinander, als ein Mann sie als 'Piefkes' beschimpft. Der Mann nimmt R.s Freund die Brille weg und versucht mehrmals, ihn ins Gesicht zu schlagen. Als Frau R. versucht, den Angreifer wegzudrängen, wird sie von diesem weggestoßen. Sie erhält jedoch schließlich die Brille ihres Freundes zurück. Als die U-Bahn eintrifft und die beiden einsteigen, verfolgt sie der Mann immer noch und brüllt mehrmals: 'Scheißpiefke, ich zeig euch, wo's langgeht. Ihr habt kein Recht hier zu sein!' Die beiden ersuchen zwei andere Fahrgäste um Unterstützung und werden von diesen in der nächsten Station aus dem Zug begleitet. Aufgrund der Intervention der beiden entfernt sich der Angreifer schließlich.“ Auch ein Fall, in dem türkisch- oder arabischstämmige Jugendliche in einer Straßenbahn einen Österreicher rassistisch anpöbeln, ist dokumentiert. Solche Fälle sind aber Ausnahmen.

Die Anonymität des Internet verschafft vielen die Möglichkeit, ihre rassistischen Ansichten relativ gefahrlos vor einer großen Öffentlichkeit zu verbreiten. Die Plattform dokumentiert etliche Fälle. Mittlerweile auch solche, bei denen sich die Rassisten nicht mehr hinter Nicks verstecken und ihre Ansichten, etwa via Facebook, offen zur Schau stellen und unter eigenem Namen Menschen herabwürdigen.

Mehr Fälle heißt nicht zwingend mehr Rassismus

Die Fälle, die ZARA dokumentiert, sind seit dem ersten Rassismusreport mehr geworden. Ob das ein Zeichen sei, dass der Alltagsrassismus in Österreich gestiegen sei, könne sie nicht sagen, sagt ZARA-Sprecherin Claudia Schäfer gegenüber dem hpd. „Die Sensibilisierung der vergangenen Jahre greift. Bei uns melden sich immer mehr Zeuginnen und Zeugen solcher Übergriffe, die nicht wollen, dass das im Raum verpufft. Damit bezeugen sie ihre Solidarität mit den Opfern.“ Mittlerweile stammen 60 Prozent der dokumentierten Vorfälle von Zeuginnen und Zeugen. In vielen Fällen sind die Opfer der Übergriffe nicht mehr erreichbar oder wollen nichts weiter unternehmen. Sie haben Angst, dass eine Beschwerde zu neuen Übergriffen führe. Gehen die Übergriffe von der Polizei aus, fürchten sie auch, dass sie mit willkürlichen Anzeigen schikaniert werden. Keine unbegründete Angst. Mehrere Betroffene sahen sich mit Verleumdungsklagen oder Gerichtsverfahren wegen falscher Zeugenaussage konfrontiert, nachdem sie Beschwerden gegen rassistische Polizisten eingelegt hatten.

Im Report steht nur ein Bruchteil der rassistischen Übergriffe in Österreich. Vielfach wenden sich Opfer nicht an die Plattform. Sie nehmen Beschimpfungen als unvermeidlich hin. Nur manchmal ist das Gefühl der Entwürdigung nicht mehr zu ertragen. Wie für eine „weiße“ Österreicherin, die mit ihrem Mann aus Afrika den gemeinsamen Sohn ins Spital brachte. „Als Herr C. (ihr Mann, Anm.) gehen muss, beschimpfen zwei der Jugendlichen Frau C. lautstark als 'Big Mama' und 'N...' schlampe“. Frau C. meldet den Vorfall an ZARA und merkt an, dass sie schon öfters solche Beschimpfungen ertragen musste, allerdings war es in dieser Situation, vor ihren Kindern, besonders schlimm. Sie hatte Angst und empfand gleichzeitig auch Wut. Sie merkt an, dass der Alltagsrassismus ihrer Familie gegenüber wirklich schwer zu ertragen ist und ersucht ZARA um Dokumentation des Vorfalls.“ Wie oft in Österreich rassistisch gepöbelt wird, weiß niemand. „Dazu müssten wir überall sein“, sagt Schäfer. Sie erhebt auch nicht den Anspruch, dass ZARA alle Vorfälle erfassen kann. „Wir sind darauf angewiesen, dass sich die Menschen bei uns melden, seien es Betroffene oder Zeugen. Nur so können wir bewirken, dass diese Vorfälle nicht verpuffen.“

Schwere Belastung für ZARA-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter

706 Fälle – das sind etwa drei pro Werktag. Für die Beraterinnen und Berater eine große Belastung, wie Schäfer gegenüber dem hpd sagt: „Es ist sehr bedrückend und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen Unterstützung durch ständige Supervision. Da geht es ihnen ähnlich wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in anderen Krisenzentren. Menschen in schwierigen Situationen zu helfen, ist auf Dauer sehr belastend.“ Was hilft, sind einzelne Erfolge. Wenn sich die Polizei entschuldigt etwa. Oder wenn man helfen kann, Gewalttäter vor Gericht zu bringen.

Erschwerend ist das politische Umfeld in Österreich. Eine Partei, die FPÖ, geht offen mit fremdenfeindlichen Parolen auf Wählerfang. Von den meisten anderen Parteien wird nicht zur Kenntnis genommen, dass es im Land ein Rassismusproblem gibt. Dass Migranten diskriminiert werden, gibt es in den Augen vieler einfach nicht. Vor allem die so genannten Islamkritiker leugnen jegliche Diskriminierung oder versuchen, sie zu rationalisieren. Schäfer fordert, dass es in Österreich eine systematische Dokumentation rassistischer Vorfälle gibt. „Vor allem müsste die Bundesregierung endlich ein eindeutiges Bekenntnis abgeben, dass rassistische Diskriminierungen ein ernstzunehmendes gesellschaftspolitisches Problem sind, und dass die Förderung von Chancengleichheit und Partizipationsmöglichkeiten für alle eine Grundvoraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben ist. Ein wesentlicher Schritt dorthin wäre, das Problem bei der Wurzel zu packen. Dazu müssten Fälle systematisch erfasst werden, um umfassende Maßnahmen entwickeln und strukturelle Änderungen vornehmen zu können. Nur wenn das ganze Ausmaß sichtbar wird, kann Rassismus erfolgreich bekämpft werden. Die Realität ist leider anders.“

Das heißt auch: Behördliche Strukturen und nicht nur ein Verein, der auf Spenden angewiesen ist, um notwendige Aufklärungsarbeit zu betreiben.
 

Christoph Baumgarten