Der „Heilige Rock“ und die Freireligiösen

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Schnittmuster „Heiliger Rock“ / Abb. www.unheiliger-rock.de

LUDWIGSHAFEN. (hpd/frg) Schein führt zu Sein! Zumindest gilt das für den sogenannten „Heiligen Rock“, der nun auch in diesem Jahr wieder in Trier ausgestellt wird, kritisch kommentiert mit Veranstaltungen der Freireligiösen Gemeinden und anderer freigeistiger Organisationen.

Für die Freireligiöse Bewegung ist die Ausstellung eine Erinnerung an ihren Ursprung, denn eine vergleichbare Ausstellung 1844 – mit allerdings wesentlich größerem Zustrom von Menschen als heute – führte zur Gründung der freireligiösen Gemeinden, damit zum Beginn der freigeistigen Bewegung in Deutschland überhaupt.

Was geschah genau?

1844 waren die Empfindungen vieler Demokraten und Liberalen am Kochen, hatten doch Zensur und Kleinstaaterei in Deutschland die Hoffnungen auf mögliche politische Veränderungen zu mehr Demokratie und Freiheit in unabsehbare Zukunft verschoben. Wirtschaftliche Probleme durch die Industrialisierung mehrten sich, verbunden mit Unruhen (Weberaufstand). Die katholische Kirche konnte einen Sieg über Preußen feiern, das im Falle gemischter Ehen seine Vorstellungen nicht durchsetzen konnte und dabei den konservativen Flügel in der katholischen Kirche indirekt unterstützte, zum  Grimme vieler liberaler Geistlicher. Der konserativen Flügel nutzte die Gelegenheit, mit dieser Ausstellung des „Heiligen Rockes“ in Trier noch einmal kräftig aufzutrumpfen. Dessen Geschichte lag lange im Dunkeln, nachgewiesen ist ein Rock seit 1196, und wirklich publik wird er erst 1512, als Kaiser Maximilian ihn zu Zwecken der Herrschaftsfestigung ebenfalls vorführen lässt. Der Rock selbst besteht, wie auf der Webseite des Trierer Bistums nachzulesen ist, aus mehreren Stofflagen, wobei nicht mehr nachzuweisen ist, welches das älteste Material und wie alt es überhaupt ist.

Die Ausstellung 1844 wurde tatsächlich zu einem Erfolg, von mehr als fünfhunderttausend Besuchern ist die Rede. Aber dann kam die Gegenantwort. Johannes Ronge, katholischer Kaplan, zu der Zeit schon seines Amtes enthoben und als Privatlehrer tätig, von den damals noch fortschrittlichen Ideen der Burschenschaften geprägt, schrieb einen offenen Brief an den Bischof in Trier. Er wurde mit dem Datum 1. Oktober 1844 in den Sächsischen Vaterlandsblättern, die von Robert Blum redigiert werden, veröffentlicht.

Tenor des Briefes war: Wahrlich, hier finden die Worte Anwendung: „Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verlieren kann, hat keinen zu verlieren.“
„... Gehen Sie alle, ob Katholiken oder Protestanten, an’s Werk, es gilt unsere Ehre, unsere Freiheit, unser Glück.“

An welches Werk gegangen werden sollte, wird schnell deutlich. Das Echo ist gewaltig. Und schon im März 1845 treffen sich Menschen, die bisher katholisch waren und bilden unter der Bezeichnung deutschkatholisch oder christkatholisch erste eigene Gemeinden, die demokratisch verfasst sind, Frauen vielfach gleiche Rechte geben, und sich erste eigene Bekenntnisse formulieren unter der Maxime: entscheidend für die Glaubenslehre ist die Vernunft, die anhand des Fortschreitens der Erkenntnisse und Wissenschaften die Bibel auslegt.

Noch verstehen sich die ersten Gemeinden als christlich, doch das ändert sich unter dem Druck der konservativen Kreise sehr schnell und die Polarisierung und die zunehmende gesellschaftliche Politisierung führen zur Erweiterung in Richtung Freiheit, gemeint ist die völlige Freiheit der individuellen Religion jenseits jeglicher Dogmen. Nachzulesen ist das sehr schön bei Robert Blum unter dem Stichwort freie Gemeinden in seinem  Volkstümlichen Handbuch für Staatswissenschaften.

Weit über 100 Gemeinden formen sich innerhalb weniger Jahre in allen deutschen Staaten, werden teilweise schon 1845 gleich verboten wie in Bayern, andere erhalten dagegen Körperschaftsrechte wie in Baden. Erste Konzile finden statt, maßgeblich ist hier Robert Blum, dessen Organisationstalent in Sachsen zu einer Vereinheitlichung der dortigen Gemeinden führt.  Es kommt zu Kontakten mit den „Lichtfreunden“, aufklärerisch gesinnte Gemeinden, die sich vom Staatprotestantismus gelöst haben. 1848 sind beim Ausbruch der demokratischen Revolution viele Deutschkatholiken in führenden Positionen der politischen Arbeit zu finden. Demensprechend hoch sind die Verluste der Gemeinden 1849 bei der Niederschlagung der Revolution.

1859 formiert sich trotz schwieriger Umstände der Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands als Zusammenschluss der verbliebenen Gemeinden über Ländergrenzen innerhalb Deutschlands hinweg. Der Name ist schon Programm: Abwendung vom Christentum, Hinwendung zu einem Religionsbegriff, der sich ganz weltlich versteht als Liebe zur Gerechtigkeit, Liebe zur Freiheit, Liebe zum ethischen Handeln für Menschlichkeit. Und es finden sich Gemeinden über Konfessionsgrenzen hinweg zusammen, es finden jüdische Bürger den Weg zu den Gemeinden. Trotz deutlicher Schwächung durch die Restauration nach der Revolution bleiben die Gemeinden aktiv, gründen Kindergärten, formen weiter wie bisher Frauen- und Arbeiterbildungsvereine, Lesezirkel und bringen durch ihre Vorträge und Sozialarbeit Bildung und Hilfe zur Selbsthilfe unter die Menschen.

Renate Bauer
 

Viele weiterführende Informationen finden sich auf den Webseiten Unheiliger Rock
und Freireligiöse.