Fußball-Fankultur: „Ultras im Abseits?“

(hpd) Der Sammelband enthält 22 Aufsätze zu unterschiedlichen Aspekten der fanatischen Fußballfankultur. Aufgrund der unterschiedlichen Autoren, wozu Fanbetreuer ebenso wie Polizeibeamte gehören, entsteht ein facettenreiches Bild der Ultras, die medial meist nur mit Gewaltneigung und Pyrotechnik in Verbindung gebracht werden.

Fußball fasziniert einen großen Teil der Gesellschaft, Fußball spiegelt daher auch Tendenzen in der Gesellschaft wider. Dies gilt auch für die Entwicklung in diesem Sport, was sich in der Kommerzialisierung des Fußballs zeigt. Dies gilt aber auch für die Entwicklung um diesen Sport, wofür der Wandel im Zuschauerverhalten steht. Hierbei finden im Bereich der Fankultur vor allem die Ultras breite öffentliche Aufmerksamkeit. Über die Medien entstand das Bild von einer besonders fanatischen und gewaltorientierten Gruppe von Fußballfans. Deren Vorliebe für das Abbrennen von Pyrotechnik in Form von „bengalischem Feuer“ machte sie darüber hinaus bekannt.

Doch wofür stehen nun diese Ultras? Handelt es sich um eine homogene Gruppe von Fußballfans? Oder muss hier von Gruppe zu Gruppe differenziert werden? Diesen Fragen gehen die zweiundzwanzig Beiträge in dem Sammelband „Ultras im Abseits? Porträt einer verwegenen Fankultur“ nach. Herausgegeben haben ihn der Kriminologe Jannis Linkelmann und der Politikwissenschaftler Martin Thein.

Zunächst geht es in den Beiträgen um die Entwicklung der Ultra-Bewegung im Kontext des Wandels im Fußball. Der Historiker Elmar Vieregge erklärt sich so denn auch das Selbstverständnis dieser Fans: „Die Ultras präsentierten sich als Wahrer der Tradition ihrer Vereine gegen das zunehmende Engagement der Wirtschaft, was den Plänen daran interessierter Vereins- und Verbandsfunktionäre zuwiderlief“ (S. 22).

Danach fragen die Autoren nach Identität und Selbstverständnis der deutschen Bewegung dieser Fußballfans. Deren Aufkommen deutet man auch bezogen auf ihre Wirkung als „eine sozial-evolutionäre jugendliche bzw. jungerwachsene Suchbewegung“ (S. 55), wie der Sozialwissenschaftler Gerd Dembrowski etwa mit Verweis auf die ständige Wiederholung von Erzeugungs- bzw. Initiationsriten schreibt. Es kommen in dem Buch aber auch Anhänger und Protagonisten der Ultras selbst zu Wort, wofür die Statements von einschlägigen Repräsentanten zu Gruppenbezug und Idealen, Regeln und Vereinsanbindung stehen.

Bezogen auf die Frage der Gewaltanwendung entsteht dort verständlicherweise ein anderes Bild als in den Texten von Polizeibeamten. Silke Martin und Michael Müller argumentieren denn auch gegen die Auffassung an, die Repression ihrer Kollegen richte sich von vornherein gegen die Ultras: „Hier muss aus Polizeisicht aber die Frage erlaubt sein, wie denn bitteschön die eingesetzten Polizeikräfte am Spielort reagieren sollen, wenn ihnen über die anreisenden Fangruppen Informationen zugehen, die von deutlichen Gewalttaten bereits auf der Anreise berichten“ (S. 136). Demgegenüber meint der Fanprojekt-Leiter Volker Herold: „Die Gewalt der Ultras hingegen kann als reaktiv ... bezeichnet werden: reaktive Gewalt als Antwort auf staatliche Intervention und Repressionen ...“ (S. 147). Somit gibt es in dieser Frage ebenso unterschiedliche Auffassungen wie bezogen auf den Einsatz von Pyrotechnik, der in Fußballstadien aus Sicherheitsgründen verboten ist. Für die Ultras handelt es sich hierbei aber um einen Bestandteil ihres Selbstverständnisses als besondere Fankultur.

Wie die Hinweise auf kontroverse Einschätzungen schon deutlich machen, handelt es sich nicht um einen Sammelband mit einheitlicher Botschaft. In ihm kommen nahezu alle Seiten zu Wort: Fanbeauftragte und Kriminologen ebenso wie Polizeibeamte und Ultras. Gerade dies macht den Reiz der Textsammlung aus, können doch kontroverse Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven gelesen werden. Dies gilt auch und gerade für die Einstellung der Ultras gegenüber der Gewalt.

Zwei interessante Themen vermisst man aber: Zwar findet sich ein Beitrag von dem Politikwissenschaftler Tobias Wark über das politische Selbstverständnis der deutschen Ultraszene, er behandelt aber nur in wenigen Sätzen die dortigen extremistischen Potentiale. Außerdem hätte man sich eine gesamtgesellschaftliche Einbettung des Ultra-Phänomens gewünscht, könnten doch Entwicklungen im Kontext des Fußballs eben auch für solche auf der Makroebene des sozialen Miteinanders stehen. Insgesamt handelt es sich aber um einen facettenreichen und informativen Sammelband.

Armin Pfahl-Traughber
 

Martin Thein/Jannis Linkelmann (Hrsg.), Ultras im Abseits? Porträt einer verwegenen Fankultur, Göttingen 2012 (Verlag Die Werkstatt), 272 S., 14,90 €