Zur Strategie von Protestbewegungen

(hpd) David Graeber, der als Kopf der kapitalismuskritischen „Occupy“-Bewegung gilt, legt eine Sammlung von Essays vor. Entgegen des Titels findet man darin keine Kritik des Neoliberalismus und keine Präsentation von Alternativen, sondern eher diffus gehaltene Betrachtungen zu Selbstverständnis und Strategie der Protestbewegungen.

Die kapitalismuskritische „Occupy“-Bewegung hat keine nach außen erkennbaren Führungsfiguren. Gleichwohl gilt David Graeber als einer ihrer bedeutendsten Köpfe. Einerseits ist er als bekennender Anarchist ein Protagonist in unterschiedlichen Protestbewegungen, andererseits lehrt er Ethnologie am Goldsmiths College der Universität London. Parallel zu Graebers Engagement als Aktivist entstanden zwischen 2004 und 2008 einige Essays, die sich mit den Erfolgsbedingungen der Protestbewegungen beschäftigten. (Der Originaltitel lautet: Revolutions in Reverse.) Bereits 2009 erschienen sie in Griechenland vor dem Hintergrund der dortigen Finanzkrise als Buch mit dem Titel „Bewegung, Gewalt, Kunst und Revolution“. Drei Jahre später, 2012, liegt nun auch eine Übersetzung mit dem Titel „Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus. Es gibt Alternativen zum herrschenden System“ vor. Bereits hier sei gesagt, dass dadurch ein falscher Eindruck vom Inhalt vermittelt wird. Weder nimmt Graeber eine dezidierte Kritik am „Kamikaze-Kapitalismus“ vor noch benennt er „Alternativen zum herrschenden System“.

Als verbindendes Thema seiner Essays benennt er, dass sie einen Aspekt aus der Entwicklung der Protestbewegungen der letzten Jahre herausgriffen, „der zunächst besonders bedrückend oder entmutigend wirkt, also beispielsweise ein augenscheinlicher Misserfolg, ein Stolperstein, eine Gegenmacht oder ein Beispiel für einen Moment, in dem sich die weltweite antikapitalistische Bewegung eher unklug verhalten hatte. Ausgehend von diesem negativen Aspekt wird dann versucht, beispielsweise ein verborgenes Detail, das man normalerweise nicht wahrnimmt, oder einen weniger offensichtlichen Blickwinkel herauszuarbeiten, von dem aus gesehen die scheinbar trostlose Landschaft auf einmal in einem ganz anderen Licht erscheint“ (S. 12).

Demgemäss geht es Graeber in erster Linie um strategische Fragen bezüglich des Vorgehens der Protestbewegung. Er möchte mit seiner Essay-Sammlung einen Dialog über das Selbstverständnis und die Strategie, aber auch die Perspektiven und Ziele einer „Bewegung für globale Gerechtigkeit“ initiieren.

So fragt der Autor etwa bereits im ersten Aufsatz, warum sich die Protestbewegungen nicht ihrer teilweisen Siege bewusst seien und nur von einem Endpunkt her ihr Scheitern konstatierten. So hätten etwa die Proteste gegen den WTO den „Freihandel“ blockiert. Aus Angst vor Erfolgen der außerparlamentarischen Bewegung schufen die Herrschenden gar einen Apparat zur Erzeugung und Aufrechterhaltung von Hoffnungslosigkeit“ (S. 59), sehe man doch die „Gefahr einer Graswurzeldemokratie“ (S. 62). Ausgehend von den praktischen Erfahrungen der direkten Aktion sollte die Protestbewegung neue theoretische Werkzeuge entwickeln. So müsse die Linke gegenüber den Rechten in den USA auch das Verhältnis von Altruismus und Egoismus neu deuten. Ihr Problem sei es, dass sie den Gegensatz beseitigen wolle, „allerdings in erster Linie zugunsten ihrer eigenen Kinder“ (S. 127). Darüber hinaus kritisiert Graeber in einem Kommentar zu einer Konferenz über Kunst die Positionen der dort referierenden Repräsentanten des italienischen Postoperaismus.

Ganz zum Schluss findet sich noch ein Essay aus dem Jahr 2010, welcher der deutschen Ausgabe den Titel gab. Auch darin geht es nur am Rande um eine Kritik des „Neoliberalismus“. Gleichwohl darf man inhaltlich nicht darüber enttäuscht sein, liegt es doch am deutschen Verlag, dass Inhalt und Titel nicht übereinstimmen. Selbst unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes darf man aber von den Ausführungen dieses Kopfes der Protestbewegung enttäuscht sein. Formulierungen wie die Mächtigen hätten „bösartige Pläne“ (S. 11) oder zettelten mal eben „irgendeine Art von Krieg“ (S. 26) an klingen nicht nach Aufklärung, sondern nach Stammtisch. Für einen bekennenden Anarchisten wirken – trotz anderer Schwerpunktsetzung der Aufsätze – die angesprochenen Alternativen aber reichlich diffus. Und bezüglich der behaupteten Erfolge der Protestbewegung wie etwa der Blockade des „Freihandels“ oder der Auslösung des „Krieges gegen den Terror“ als Antwort auf die globalisierungskritische Bewegung darf man begründet mehr als nur skeptisch sein.

Armin Pfahl-Traughber

 

David Graeber, Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus. Es gibt Alternativen zum herrschenden System. Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Behringer; München 2012 (Pantheon-Verlag), 192 S., 12,99 Euro.