Der Mann der reinen Zahlen

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Thilo Sarrazin und Stefan Homburg / Fotos © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Vor einer Woche hatte sein Verlag zur Präsentation des neuen Buches ins Hotel Adlon eingeladen. Bereits im Vorfeld kochte die Stimmung gegen Thilo Sarrazin hoch, den Autor von “Deutschland schafft sich ab”. Spannendes und Kontroverses ist aber anderes, das einzig Verstörende war der Klingelton von Sarrazins Handy.

Bericht und Kommentar von Sebastian Wamser

Medienwirksam hatte der Verlag dem Focus die Rechte zur Vorabpräsentation von Auszügen aus seinem neuen Buch überlassen, der Stern ließ sich zu einem siebenseitigen Verriss hinreißen und schließlich durfte er noch bei Günther Jauch mit Peer Steinbrück im Gasometer über sein neuestes Werk sprechen. In der Presse war man sich bereits vor dem Erscheinen des Buches sicher, dass Sarrazin wieder in die alte Wunde hauen würde und kanzelte den Berliner Ex-Senator und Ex-Bundesbanker daher schon einmal präventiv ab. Besonders hervor taten sich etwa Mely Kiyak auf fr-online und in der Berliner Zeitung, die Sarrazins Auftritt bei Jauch mit den Zeilen goutierte, es wäre eine „Verplemperung unserer Fernsehgebühren für diese lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur, die Sonntagabend in Ruhe das tun darf, was er am besten kann; das niedrigste im Menschen anzusprechen“. Auch las man in der Frankfurter Rundschau: „Das Buch ist widerlich, mit falschen Argumenten behaftet und irreführend“. Das Volk atmet erleichtert auf, Sarrazin erfüllt also seine zugedachte Rolle als Provokateur und Rechtsaußen, seine Buchpräsentation würde also zum Menetekel werden, oder?

Es wird längst nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird

Der Adressierte kommt etwa 20 Minuten zu spät in den überfüllten Hotelsaal. Blitzlichtgewitter prasselt auf ihn ein, während er zum Podium geht und neben seinem Verleger und Stefan Homburg, Professor für Finanzökonomie an der Leibniz Universität Hannover, Platz nimmt. Es folgt eine Bewertung des Buches von Homburg, der Sarrazin in allen Punkten Recht gibt, es „sogar noch radikaler formuliert hätte“. Sarrazin bedankt sich artig für die nette Einführung (er würdigt im Gegenzug Homburg in seinem Buch für dessen Rebellentum gegen die Währungsunion) und ist froh, „dass es jemanden gibt, der noch radikaler denkt als er selbst“. Dann folgt ein etwa einstündiger Vortrag aus seinem Buch, den er gewohnt monoton zum Besten gibt. Die ersten Journalisten verlassen gelangweilt die Veranstaltung, schließlich scheint es keine erhoffte Verbalbombe zu geben. So bleibt für den Rest des Nachmittags auch Sarrazins Handyklingelton das einzig Verstörende und schließlich muss das ehemalige Vorstandsmitglied der Bundesbank selbst, während der eigenen Worte, herzhaft gähnen.

Im Buch nichts Neues

Der Vortrag wie auch das Buch bieten wenig Neues. Einen historischen Vogelflug von Bretton Woods bis zum drohenden Exodus Griechenlands findet man ebenso wie eine Analyse der überhasteten politischen Entscheidungen Kohls, die zum Schlamassel führten.

Aus ökonomischer Perspektive sind seine Aussagen nicht zu beanstanden, wie auch Laudator Stefan Homburger betont, einzig die Schlussfolgerungen sind diskutabel. Ökonomie, insbesondere Währungspolitik, ist ein so kompliziertes Feld, dass einige gar nicht von einer Wissenschaft sprechen wollen. Zu viele Variablen und Einflüsse sind für das Gelingen oder Scheitern von Reformen zu bedenken. Sarrazin ist Ökonom und weiß um deren Komplexität. Deswegen schreibt er auch: “Meist ist bei jeder ökonomischen Wahrheit unter einer anderen Fragestellung oder bei leicht veränderten Rahmenbedingungen auch ihr Gegenteil wahr”. Er beansprucht also nicht ein Meinungsmonopol zu besitzen, sondern bietet vielmehr streitbare Ansätze, wie andere Wirtschaftswissenschaftler auch, etwa Martin Hüfner („Rettet den Euro! Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen“) oder Max Otte („Stoppt das Euro Desaster“).

Nach Alternativen wird schon lange gesucht. Während man in Berlin den eingefahrenen Weg mit scheinbaren Scheuklappen immer weiter geradeaus geht, aus Furcht sich fehlerhafte Entscheidungen einzugestehen, treten immer mehr Ökonomen aus der Deckung und bringen Alternativen ein. Sarrazin schließt sich diesem Kreis von ‚Revoluzzern‘ an, der Euro ist eben „nicht alternativlos”, wie die politische Klasse beteuert.

Ein nüchterner Blick frei von emotionalem Gebaren tut sicherlich Not. Wer Steinbrück bei Jauch erlebte, der weiß, mit wie viel Verve aber auch schierem Populismus an der Eurorettung festgehalten wird. Wenn Steinbrück etwa davon redet, dass ohne den Euro unsere europäischen Werte wie “Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Trennung von Staat und Kirche” verloren gingen, so präsentiert er sich zwar als überzeugter Demokrat, mit dem Euro hat all das freilich nichts zu tun. Die Kanzlerin legte bereits 2011 vor: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“.

Um die Krisen der letzten Jahre (Banken-, Finanz-, Währungskrise) zu verstehen, muss man natürlich zurücksehen, was einst unter Schuman als Idee und unter Kohls Ägide zur Umsetzung gelangte. Der Geburtsfehler “Währungsunion ohne politische Union” wurde auch noch das Streben nach Wiederwahl und Zugeständnissen zur Deutschen Einheit in die Wiege gelegt. Eine unheilvolle Mischung. Sarrazin sagt dazu, dass Politiker sich gerne von starken Bildern inspirieren lassen, anstatt auf die oftmals technokratische Expertise von Experten zu hören. Kohl tat genau das, er drückte die neue Währung durch, mit den bekannten Folgen. Einige Länder frisierten die Bilanzen, damit sie am neuen Goldrausch teilhaben durften. Der SPIEGEL enthüllte vor wenigen Wochen, dass es bei der italienischen Aufnahme ähnlich lief wie bei den Griechen; die Warner wurden als Defätisten abgestempelt und mundtot gemacht. Der wiederholte Bruch der Verträge von Maastricht, das Gerüst der Währungsunion, geht dabei dann auch in einigen Nebensätzen beinahe unter.

Zentrale These bleibt daher im gesamten Buch: „Ein ökonomischer Gewinn war die gemeinsame Währung in den ersten 13 Jahren nicht. Weder bei der Beschäftigung, beim Wirtschaftswachstum, beim Außenhandel oder sonst wo habe der Euro uns geholfen - und den europäischen Nachbarn habe die Währung sogar geschadet.“ Das niedrige Zinsniveau von dem Deutschland profitierte, ist längst in den vielen Rettungsmaßnahmen aufgegangen, so Sarrazin, die eingesparten Transaktionskosten durch das Verschwinden von Wechselkursen befinden sich im Nachkommabereich des BIPs. Zudem verweist er auf die Historie. Diese zeigt, dass „noch nie eine Währungsunion funktioniert hat, weder die Skandinavische noch die Römische“. Für die Zukunft sieht er Deutschland in andauernder „Geiselhaft“ einer Transferunion. Die Wiedervereinigung habe bisher über 1,5 Billionen Euro gekostet, eine ernstzunehmende wirtschaftliche Angleichung würde jedoch nach wie vor nicht existieren, argumentiert Sarrazin. Diese ist aber auch für eine stabile Union Voraussetzung.

Auch mit Deutschland geht der ehemalige Banker hart ins Gericht. Deutschland ist längst nicht aus dem Schneider, betont er. Bei einer Schuldenstandsquote von nunmehr über 80 Prozent gibt es keinen Anlass, mit den Sektkorken zu knallen. Er geht sogar noch weiter und bezeichnet es als „strukturelles Versagen deutscher Politik“. Der angepriesenen Sparpolitik widerspricht es auf alle Fälle fundamental.

Am Ende gibt es eine lockere Fragerunde. Ich frage ihn, ob er denn unlängst schon einmal in Athen war und sich die Konsequenzen griechischer Sparpolitik mit eigenen Augen angesehen habe, ob er die Verelendung ganzer Straßen zur Kenntnis nähme, oder nur nach Griechenland fliegt, um am Strand von Mykonos zu urlauben? Er schaut kurz irritiert, fängt sich aber schnell und antwortet in gewohnter Manier: „Man muss nicht an den Orten des Geschehens sein. Die reine Betrachtung von Zahlen gibt alle Auskunft, die man zum Erkenntnisgewinn braucht“.

Na geht doch, endlich gesteht er, dass der Mensch für ihn nur eine Zahl ist. So richtig verübeln kann man es ihm dann aber doch nicht, viel zu lange war er im reinen Zahlenbetrieb tätig. Seinem Image täte es sicher gut, wenn er gelegentlich seine menschliche Seite zeigen würde, aber seien wir mal ehrlich, würden wir uns dann immer noch so wortreich über seine Bücher echauffieren können? Obwohl Sarrazin keine weltverbesserischen Lösungsansätze präsentiert, so bleibt das System der Herangehensweise für zukünftige Probleme bestehen: „If it ain’t broke, don’t fix it“ (Man soll nicht reparieren, was nicht kaputt ist). Bei Währungen und Bewährtem gleichermaßen.