Zur Kapitalismuskritik der NSDAP

(hpd) Manfred Weißbecker legt eine Sammlung von historischen Betrachtungen zur Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1920 und 1945 vor. Leider zeigt er sich über weite Strecken immer noch der marxistisch-leninistischen Deutung des Faschismus verbunden, was auch einige analytisch interessante Interpretationen letztendlich entwertet.

Wie lassen sich Kapitalismuskritik und Sozialismusforderungen der historischen NSDAP eigentlich verstehen? Handelte es sich lediglich um propagandistisch motivierte Bekenntnisse oder lässt sich darin ein Bestandteil der Ideologie ausmachen? Diese Fragen fanden in der Forschung bislang nur am Rande Aufmerksamkeit. Dabei ist diese Problemstellung nicht nur aus historischen Gründen von Interesse, bedient sich doch auch der aktuelle Rechtsextremismus einschlägigen Parolen in der Agitation.

Eine Stellungnahme zu diesem Themenkomplex erwartet man von dem Buch „Das Firmenschild: Nationaler Sozialismus. Der deutsche Faschismus und seine Partei“. Es stammt von Manfred Weißbecker, der zu den bekanntesten DDR-Historikern gehörte und noch bis 1992 in Jena lehrte. Der Inhalt seines Werkes entspricht aber leider nicht dem Titel. Es finden sich darin „34 Wortmeldungen“ (S. 7), wie der Autor es selbst nennt, zu historisch-politischen Themen, die zuvor als einzelne Beiträge meist in den Tageszeitungen „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“ erschienen sind.

Der Autor will sich damit gegen eine angebliche Neu-Interpretation des Nationalsozialismus wenden, welche er wie folgt beschreibt: „Das geht mit dem Versuch einher, die deutsche Variante des Faschismus sowohl zu ‚entfaschisieren’ als auch zu ‚entkapitalisieren’ oder gar zu ‚sozialisieren’, also überhaupt nicht mehr nach den Wurzeln des Faschismus in der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu fragen bzw. ihn ganz und gar als eine Spielart antikapitalistischer Strömungen darzustellen“ (S. 12).

Demgegenüber will Weißbecker eine „historisch-materialistische Deutung des traditionellen Faschismus“ (S. 203) beibehalten: Erstens sei er auf dem „Boden kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse entstanden“ (S. 203); zweitens beruhe er auf einer „nationalistischen sowie zugleich expansions- und kriegsorientierten Ideologie“ (S. 208); drittens habe er nur „ein ‚sozialistisch’ verpacktes Angebot“ (S. 210) an die Arbeiter formuliert; und viertens sei ihm die Gewinnung der Massen „mit erheblichem Geschick“ (S. 210) gelungen.

Diese Grundpositionen ziehen sich durch die Texte des Bandes, der in drei Teile gegliedert ist: Zunächst geht es um den „Weg zur Macht“, wobei man Beiträge zur „Deutschen Vaterlandspartei“ als Vorläuferin der NSDAP und zum milden und rechtswidrigen Urteil im Hitler-Prozess ebenso findet wie über Hitlers Denkschrift „Der Weg zum Wiederaufstieg“ für Großindustrielle und die frühe Machterlangung der Partei in Thüringen. Der zweite Teil konzentriert sich dann auf die Zeit des Krieges und des Völkermordes. Er enthält Texte zur frühen Vorbereitung des Krieges und die Rolle der „Deutschen Arbeitsfront“ ebenso wie zu Massenmobilisierungsplänen an der „inneren Front“ und die Gründung des „Reichssicherheitshauptamtes“ (RSHA) als Repressionsinstrument. Auffällig ist hier, dass bedeutende Ereignisse zwischen 1939 und 1943 keine Aufmerksamkeit finden. Der dritte Teil bringt noch einige Texte zur heutigen Faschismusdeutung, wozu eine Abhandlung zur „Dimitroff-Formel“, zur Faschismustheorie und zu den Positionen von Götz Aly gehören.

Weißbecker zeigt sich über weite Strecken immer noch sehr stark von der DDR-Faschismustheorie geprägt. Zwar finden Antisemitismus und Judenverfolgung etwas größere Aufmerksamkeit bei ihm als noch vor 1989. Gleichwohl bleibt die Darstellung dem Dogma verhaftet, die NSDAP sei in erster Linie gegen die Arbeiterbewegung gerichtet gewesen. Eine genaue Analyse von Ideologie und Propaganda zeigt aber, dass diese Feindschaft mehr durch die Frontstellung gegen die kulturelle Moderne im Allgemeinen und im Besonderen gegen die Juden als Feindbild gerichtet war. Durchaus zutreffend bemerkt er, der Faschismus sei auf dem „Boden kapitalistischer Wirtschafs- und Gesellschaftsverhältnisse“ (S. 9) entstanden. Das gilt aber auch für die demokratischen Verfassungsstaaten der damaligen und heutigen Zeit. Hier merkt man immer wieder Weißbeckers mangelndes Differenzierungsvermögen, das auch die analytisch interessanten Betrachtungen wie etwa zur Funktion des ersten Winterhilfswerks vor dem Hintergrund innenpolitischer Konflikte entwertet.

Armin Pfahl-Traughber

Manfred Weißbecker, Das Firmenschild: Nationaler Sozialismus. Der deutsche Faschismus und seine Partei, Köln 2011 (PapyRossa-Verlag), 218 S., 14,90 €.