„Der Kreationismus ist definitiv ein Problem“

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(Ausschnitt) Michelangelo: Schöpfung

OLDENBURG. (hpd) Evolutionsbiologie am Anfang des 21. Jahrhunderts – Dazu beginnt am 29. Juni eine Tagung der Evangelischen Akademie im Rheinland in Kooperation mit der AG Evolutionsbiologie. Die Referentin Anna Beniermann berichtete im Interview vorab über die kreationistische Szene in Deutschland.

Dabei warnt sie, dass deren wissenschafts- und aufklärungsfeindlichen Ideen langfristig fatal sein könnten.

hpd: Frau Beniermann, Sie werden am Samstag in Bonn-Bad Godesberg über die kreationistische Szene in Deutschland referieren. Erklären Sie uns bitte zunächst noch einmal ganz kurz, was Kreationismus ist.

Anna Beniermann: Der Kreationismus beschreibt den Glauben an eine Entstehung der biologischen Arten bzw. höherer taxonomischer Gruppen durch einen göttlichen Schöpfungsakt. Die christlichen Vertreter des Kreationismus orientieren sich dabei an der wörtlichen Auslegung der Bibel. Man kann dabei grob zwischen zwei Arten des Kreationismus unterscheiden, den Junge-Erde- und den Alte-Erde-Kreationismus – kurz YEC und OEC genannt –, die sich in der Auslegung der Dauer des Schöpfungsaktes unterscheiden. Beide Ansichten jedoch haben in der Konsequenz eine Ablehnung der Evolution zur Folge, sodass die Zusammenhänge der Welt nicht naturalistisch, sondern durch göttliches Wirken erklärt werden.

Wie viele Menschen in Deutschland teilen Ihren Erkenntnissen nach Ansichten, die als kreationistisch zu verstehen sind?

Eine Umfrage der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland aus dem Jahre 2005, bei der eine national repräsentative Auswahl von Menschen befragt wurde, ergab, dass im Durchschnitt etwa 13 Prozent der Bevölkerung kreationistische Ansichten haben. Weitere 25 Prozent sprachen sich für „Intelligent Design“ aus, also den Glauben an die Lenkung der Weiterentwicklung des Lebens durch ein übersinnliches Wesen bzw. Gott.

Papst Benedikt XVI. sagte in einer Rede zum Dreikönigstag, hinter der Entstehung des Universums stünde ein göttlicher Geist mit unerschöpflicher Kreativität. Gehört der Papst, immerhin ein Deutscher und mit guten Kontakten nach Deutschland, also zur kreationistischen Szene?

Nun ja, was erwarten Sie? Es handelt sich immerhin um den Papst und der ist, wie jeder religiöse Mensch, in irgendeiner ganz allgemeinen Art und Weise „Kreationist“ - schließlich glaubt er an Gott, den Schöpfer, was auch immer er sich konkret darunter vorstellt. Allerdings muss man, was die Kreativität Gottes anbelangt, differenzieren, welche konkrete Vorstellung sich dahinter verbirgt: „Gott erschafft eine Welt, die sich selbst erschafft“ oder „Gott lenkt die Entwicklung dieser Welt“? Letzteres wäre eine kreationistische Position, ersteres eher nicht.

Ich sehe solche Aussagen als weniger problematisch als viele andere Aussagen des Papstes, die direkt Menschenleben beeinflussen und die Welt zu einem schlechteren Ort machen.
Was die Evolutionstheorie betrifft, so gehen der Papst und die katholische Kirche, die er vertritt, zumindest offiziell, mit der Evolutionstheorie konform. „Zumindest“ deshalb, weil das in der Praxis aus zweierlei Gründen etwas anders aussieht. Zum einen gibt es durchaus Katholiken, die Probleme mit der Evolutionstheorie haben, zum anderen ist davon auszugehen, dass die relativ späte Annahme der Evolutionstheorie durch die katholische Kirche erst aufgrund der kulturellen Herausforderung modernerer Lebens- und Denkweisen erfolgte.

Beschränkt sich der Kreationismus auf spezifische religiöse Gemeinschaften, und wo ist er am häufigsten vorzufinden?

Kreationismus ist per definitionem ein religiöses Phänomen, da durch ihn die Evolutionstheorie aus religiösen Motiven negiert wird, jedoch beschränkt er sich nicht auf eine bestimmte Religionsgemeinschaft. Am stärksten vertreten ist er in evangelikalen und strikt konservativen christlichen und jüdischen Kreisen sowie bei der Mehrzahl der Muslime. Darüber hinaus gibt es auch viele Menschen mit wenig konkreten religiösen Vorstellungen, die dennoch an konkrete, göttliche Schöpfungsakte glauben.

Der Kreationismus ist der Versuch einer alternativen Naturwissenschaft, da der Schöpfungsglaube nur dann eine vernünftige Grundlage hat, wenn man die moderne Naturwissenschaft verwirft und stattdessen ein eigenes Bild der Natur entwirft, welches auf dem Glauben beruht.

Somit lässt sich die Tatsache, dass sich der Kreationismus in den verschiedensten religiösen Gemeinschaften finden lässt, dadurch erklären, dass er sich auf ein spezielles Verhältnis zu wissenschaftlicher Arbeit bezieht, bzw. deren partikulärer Negierung, die unabhängig von einem speziellen Glauben ist.

Wer oder was fördert Ihrer Einschätzung nach die kreationistische Szene hierzulande maßgeblich und gibt es besondere Schwerpunkte, wie Organisationen oder Institutionen, die den Kreationismus fördern?

Allgemein sind es vor allem die Evangelikalen, und darunter wiederum diejenigen mit US-amerikanischer Prägung. Vor allen Dingen das Medium Internet ermöglicht eine einfachere Verbreitung von kreationistischen Ideen.

Die breitgefächerte Anzahl von kreationistischen Gruppen in Deutschland macht einen genauen Überblick schwierig. Allerdings lassen sich einige einflussreiche Organisationen und auch Personen nennen: Die Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“ in Baiersbronn mit Reinhard Junker an der Spitze, eine ganze Reihe von Einzelpersonen mit ihren Internet-Seiten, z.B. Wolf-Ekkehard Lönnig oder Harun Yahya, die Zeugen Jehovas, Adventisten, die mit einem Schöpfungsfilm durch Europa touren, sowie einige evangelikale Organisationen, die aber oftmals nur im eigenen Wirkungskreis aktiv sind. Außerdem gibt es mittlerweile eine stattliche Anzahl von Organisationen, die sich gezielt an Jugendliche wenden, z.B. die „Soulsaver“.

Was ist mit den Schulen? In Berlin gibt es staatlich geförderte Schulen wie die der FESB, die kreationistische Vorstellungen als vorzugswürdige Erklärung lehren.

In Deutschland kommt das in staatlichen Schulen kaum vor, wobei es auch hier Ausnahmen gibt, z.B. den Fall der Liebig-Schule in Gießen. Jedoch gibt es wie die FESB in Berlin über ganz Deutschland verteilt die freikirchlichen Bekenntnisschulen, die im Verband Evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS) organisiert sind und die im Biologieunterricht evolutionskritische Elemente unterrichten. Privatschulen müssen sich hierzulande zwar an den Lehrplan des jeweiligen Bundeslandes halten, allerdings wird dies in diesen Fällen nur im Rahmen der fundamentalen Weltanschauung getan, sodass sich vor allem in den Naturwissenschaften Konflikte mit dem Lehrplan ergeben.

Die Regelungen für Privatschulen tolerieren darüber hinaus, Zusatzstoff in den Unterricht zu integrieren. Die Integration von religiösen bzw. weltanschaulichen Positionen in den naturwissenschaftlichen Unterricht ist natürlich abzulehnen und aus diesem Grund ist es zudem sehr bedenklich, dass der Staat diese Schulen zwar zu großen Teilen finanziert, die Kontrolle der Inhalte jedoch an den jeweiligen privaten Träger der Schule abgibt.