Deutschland: Langsame Wende zur Vernunft?

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Foto: privat

(hpd/gwup) Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung der Parawissenschaften (GWUP) kann mittlerweile nicht nur auf ein Vierteljahrhundert eigener Geschichte zurückblicken, sondern auch einige echte Erfolge vorweisen. GWUP-Vorsitzender Amardeo Sarma sieht jetzt die Zeit für ein Umdenken gekommen.

Achtzig Jahre nach der „deutschen“ Physik und 35 Jahre nach dem „Binnenkonsens“ für eine „deutsche“ Medizin in Form der Homöopathie und der anthroposophischen Medizin: Es gibt Anzeichen dafür, dass Kritik an pseudowissenschaftlichen Umtrieben auch an deutschen Universitäten und Bildungseinrichtungen Raum gewinnt. Hat wissenschaftliche Redlichkeit wieder eine Chance?

Das Internet erhöht die Wirksamkeit von Basisbewegungen und Basisinitiativen, sei es zur Durchsetzung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in autoritären Staaten, sei es bei uns zu Gunsten wissenschaftlicher Redlichkeit. Es ist erfreulich zu sehen, dass die GWUP mit ihren Bestrebungen nicht mehr allein ist.

Eine breite, wissenschaftsorientierte Bloggerszene agiert in Deutschland und darüber hinaus für die Wissenschaft und verschafft sich Gehör: Kritisch gegenüber Quacksalberei, Pseudowissenschaft und dem Leugnen wissenschaftlicher Erkenntnis (zum Beispiel Evolution oder Klimawandel) ist sie nicht mehr wegzudenken.

Kritische Stimmen zu Fehlentwicklungen bekommen zunehmend Gehör in den Wissenschaftsredaktionen von Tages- und Wochenzeitungen, von der Süddeutschen, der Welt und der taz über Focus und SPIEGEL bis hin zu manchen Wissenschaftsblättern wie dem Laborjournal. Statt eines bisher gewohnten Relativismus sieht man eine zunehmend sachorientierte, objektive Berichterstattung, die sich nicht an ideologischem Wunschdenken orientiert.

Ein allmähliches Umdenken scheint auch in elitären Kreisen einzusetzen, die sich bisher von manchen „Pfui“-Themen fern gehalten haben. So wie bei dem klaren Votum der Hochschulstrukturkommission des Landes Brandenburg mit der Empfehlung, die Quacksalberei des “Instituts für transkulturelle Gesundheitswissenschaften” (INTRAG) an der Europa-Universität Viadrina durch Schließung zu beenden. Erfreulich ist auch, dass wissenschaftliche Fachverbände, wie der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin (VBIO e.V.), Flagge zeigen und sich endlich offensiv „für eine wissensbasierte, rationale Debatte“ einsetzen, etwa im Bereich der grünen Gentechnik.

Dennoch bleibt vieles zu tun. Die Europa-Universität Viadrina, deren „Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften” sich auf Ramschniveau bewegt, verpasste nur knapp den „Exzellenzstatus“ in Deutschland. An einer Reihe von Einrichtungen, die 2012 „Exzellenzstatus“ erlangt haben, werden Pseudowissenschaften gelehrt oder propagiert.

In der von der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität Berlin getragenen Charité werden pseudomedizinische Projekte von einschlägig bekannten Stiftungen oder gar der Industrie (die Karl und Veronica Carstens-Stiftung, sowie Helixor, Wala und Weleda) bezahlt.

Die Technische Universität Dresden bietet das Wahlfach Akupunktur und das Wahlpflichtfach Homöopathie an, gefördert von der Karl und Veronica Carstens-Stiftung und dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte.

Die Technische Universität München lässt sich ihre Arbeitskreise Homöopathie und Traditionelle Chinesische Medizin von der Karl und Veronica Carstens-Stiftung sponsern.

Und dies sind nur Beispiele. Noch immer werden Pseudowissenschaften an Universitäten geduldet, ohne dass dies sich nachteilig auf die Bewertung im Rahmen der Exzellenzinitiative auswirken. Offenbar ahnungslos heben Prof. Matthias Kleiner, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bundesforschungsministerin Prof. Annette Schavan und Prof. Wolfgang Marquardt, Vorsitzender des Wissenschaftsrates Universitäten hervor, die auch durch pseudowissenschaftliche Angebote glänzen. Man kann sich wahrlich fragen, wo die Stimmen der ernsthaften Wissenschaftler und Professoren innerhalb solcher Universitäten bleiben. Warum sehen sie zu, wie Teile ihrer eigenen Hochschulen sich abqualifizieren? Will sich Deutschland so an der Spitze der Wissenschaft hervortun?

Viele wichtige Medien und populäre Wissenschaftszeitschriften hüllen sich weitgehend in Schweigen oder fördern gar die Quacksalberei, wie im Falle der unkritischen Belobigung einer „Neuen Heilkunst“ in GEO. Noch geben sich viele Wissenschaftsverbände ahnungslos und lassen ihre schwarzen Schafe gewähren. Es ist Zeit für ein Umdenken, nicht nur „unten“, sondern auch „oben“.

Da kommt die Resolution bei der 6. Welt-Skeptiker-Konferenz gerade richtig. Es ist zu hoffen, dass sich viele Wissenschaftler, Vertreter von Fachverbänden sowie Entscheidungsträger aus den Bereichen Wissenschaft und Gesundheit den Forderungen anschließen.

Mehr von den Skeptikern lesen: Dieser Kommentar und viele weitere Beiträge rund um das Arbeitsgebiet der Skeptiker sind auf dem Blog der GWUP zu finden.