Sollen extremistische Vereine verboten werden?

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Hassprediger-Video / Foto: static.skynetblogs.be

BELGIEN. (hpd) Nachdem der salafistische Prediger Fouad Belkacem in Februar dieses Jahres zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, findet in Belgien eine intensive Diskussion zu den Möglichkeiten eines gesetzlichen Vorgehens gegen religiöse und rechte Extremisten sowie ihrer Organisationen statt.

Sharia4belgium

Im Mittelpunkt der Verbotsdiskussion stehen in Belgien die Probleme mit den salafistischen Organisationen. Sie spitzte sich zu, nachdem Fouad Belkacem, der Führer der salafistischen Sharia4Belgium-Vereinigung im Februar d. J. zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Anlass der Verurteilung des als Hassprediger bekannten Fouad Belkacem (29 Jahre, links im Bild), war seine Reaktion auf den Tod einer bekannten rechtsextremen flämischen Politikerin. Am Tag nach dem Tod von Marie-Rose Morel setzte er einen Film ins Internet, in dem er ihren Krebstod als "eine Strafe Allahs” bezeichnete, weil sie Mitglied einer Partei war, die gegen den Islam kämpfte". Laut Belkacem im selben Film, würde die Leiter der rechten flämischen und niederländischen Parteien (Filip Dewinter, Bart De Wever und Geert Wilders) das gleiche Schicksal erwarten. Belkacem wurde daher der Belästigung von Personen angeklagt und nach verschiedenen Prozessen zunächst zu zwei Jahren Haft, einer Geldstrafe von 550 Euro und einem symbolischen Euro Schadenersatz an die zivilen Parteien verurteilt.

Auf Grundlage der Antirassismusgesetzgebung wäre nur eine Maximalstrafe von einem Jahr möglich gewesen. Dass er ein Hassprediger ist, wird zwar durch viele seiner Internetauftritte bewiesen, in denen er die Demokratie ablehnt und zum Heiligen Krieg gegen den Westen aufruft, eine Verurteilung wegen Rassismus ist aber auf Basis einer einmaligen Aussage nicht möglich. Für den Verein Sharia4Belgium trifft das aber schon zu. Belkacem erwartet allerdings mehr als diese zwei Jahre Haft. Auf ihn warten noch acht Monate Gefängnis für Rassismus und Gewaltanwendung aus 2009 und noch sechs Monaten Gefängnis wegen Widerstand gegen die Polizei aus dem Jahr 2011. Insgesamt erwarten ihn mehr als drei Jahre Gefängnis. Wegen der 2011er Strafe und wegen neuer Provokationen in Zusammenhang mit der Bestrafung einer Niqab-Trägerin, wurde er dann auch im Juni verhaftet und jetzt droht sogar seine Auslieferung an Marokko, um dort eine Gefängnisstrafe von zehn Jahren wegen Drogenhandels anzutreten. Problem nur: Beljacem hat die belgische Nationalität erworben, was die neue Regierung, wegen der damit zusammenhängenden juristischen Hürden, der Kritik der Bevölkerung aussetzt.

Um so mehr da diese Ereignisse um Fouad Belkacem die bereits bestehenden Initiativen für Gesetzesentwurfe zur Bekämpfung der rechtsextremen Szene wie z. B. Blood and Honour erneut aktuell machten. Zur Diskussion stand und steht auch hier, ob das Verbot solcher Organisationen oder nur die strenge Anwendung der bestehenden Gesetze opportun ist.

Auch die rechtsextremen Organisationen stehen im Visier

Bereits ein Gesetzentwurf der Christendemokraten vom April 2012 will den Bürgermeistern mehr Möglichkeiten geben, vorbeugende Maßnahmen gegen extremistische Organisationen zu treffen, und der Polizei erleichtern, Informationen über solche Organisationen zu gewinnen. Ein Entwurf der Sozialdemokraten (SP&A) sieht vor, die Regelungen zum Verbot der privaten Milizen auch auf Organisationen wie Blood and Honour anwenden zu können. Rechtsexperten weisen allerdings auf die Gefahr des möglichen Missbrauchs der Informations- und Verbotsregelungen hin, auch gegen demokratische Organisationen wie z. B. Gewerkschaften. Dass die bestehenden Gesetze bei entsprechender couragierter Anwendung ausreichen, beweist nach ihrer Meinung das faktische Verschwinden von Blood and Honour nach einer entsprechenden öffentlichen Kampagne.

Nach allen diesen Konflikten scheinen viele der politischen Experten der Meinung zu sein, dass keine neue Gesetzgebung gebraucht wird und es besser zur Anpassung der bestehenden Gesetzgebung kommen soll. Nachdem der sozialdemokratische Gesetzentwurf von Peter van Velthoven wieder eingereicht wurde, der auch auf Gruppen wie Sharia4Belgium anzuwenden wäre, fanden, um zu optimalen Entscheidungen zu kommen, im Juni im Parlament daher zwei Anhörungen statt.

Vor der ersten Sitzung hatten ehemalige liberale Justizminister in der Presse bereits darauf hingewiesen, dass zu allgemein gefasste Gesetze sogar die katholische Kirche als extremistisch verbieten könnte, dass aber, wenn Politik, Polizei und Staatsanwaltschaft couragiert handelten, Vereine wie Blood and Honour verurteilt und verboten werden konnten.

Zur Anhörung waren auch vier wichtige Polizeichefs erschienen. Zu der Frage, ob ein Verbot von Organisationen wie Sharia4Belgium den Kampf gegen Radikalisierung unterstützen würde, sprachen sich die Polizeichefs nicht für ein Verbot aus: Es könnte ein starkes Signal sein, aber löse nicht das Problem (Organisationen nehmen neue Namen an, es führte zu einer weiteren Radikalisierung und / oder zu zusätzlicher Attraktion ...). Jede Verbotsmaßnahme sollte auf jeden Fall auch eine individuelle Herangehensweise gegen die Führer und das Entfernen der Nährböden der Radikalisierung enthalten.

Ein gemeinsames Anliegen der Parlamentarier und Polizeichefs war es, die finanziellen Ressourcen der Organisationen ins Auge zu fassen. Alle schienen aber aus den Augen zu verlieren, dass solche Filme, mit denen Fouad Belkacem seine hasserfüllte Nachrichten im Internet verbreitet, nur wenig Geld kosten. Alain Winants, Chef der Staatssicherheit, bezeichnete den Salafismus als die größte Gefahr für unsere demokratische Ordnung, aber das sei keine Organisation, sondern eine Bewegung, und daher schwer zu handhaben. Andere Polizeichefs verwiesen auf das Problem der Modalitäten für das Sammeln von Informationen durch die Polizei, weil die besondere Gesetzgebung für die geheimen Informationsdienste nicht für extremistische Organisationen verwendet werden kann.

Radikale Verbotsbestimmungen sind zu hinterfragen

In der zweiten Sitzung der Anhörung am letzten Freitag betonte der Vorsitzende der Liga für Menschenrechte Jos Vander Velpen, dass "undemokratische Gruppen bekämpft und verfolgt, aber nicht verboten werden müssen." Das Gesetz über die privaten Milizen, das Peter van Velthoven als Grundlage nahm, kann dabei sehr effektiv sein. Er verwies auch auf die europäische Rechtsprechung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bis jetzt nur einmal das Verbot einer politischen Partei akzeptiert: die türkische Refah-Partei. Das konnte nur unter einer Reihe von Bedingungen geschehen. Eine war die "dringende Notwendigkeit". Die Refah-Partei war so groß und stark, dass sie die türkische Demokratie bedrohte. Nicht zu vergleichen mit Organisationen wie Sharia4Belgium oder Blood and Honour.

Die Behauptung des Chefs der Staatssicherheit, dass der Salafismus die größte Gefahr für die demokratische Ordnung wäre, wurde von Professor Rik Coolsaet als veraltet bezeichnet. "Wir machen mit Fouad Belkacem den gleichen Fehler wie zu der Zeit mit Dyab Abou Jahjah (militanter libanesischer Immigrant in Belgien). Dem haben wir ein riesiges Forum geboten und das hat eine Reihe von schwächeren Leuten angezogen und die Gruppe um Abou Jahjah stark gemacht.“ Laut Rik Coolsaet wies eine Untersuchung des britischen Geheimdienstes MI5 aus, dass es keinen Zusammenhang zwischen Salafismus, dem extremistischen Zweig des Islams, wozu die Sharia4Belgium gehört, und dem Terrorismus gibt. Die extremsten religiösen Radikalen sind am wenigsten anfällig für Terrorismus. Man radikalisiert sich und dann erst entwickelt man eine Ideologie, um der Radikalisierung eine Form zu geben. Die Briten plädieren daher dafür, mit den Salafisten zusammenzuarbeiten, um dem Dschihad-Terrorismus zu begegnen.

Das letzte Wort hatte Jozef De Witte, Direktor des Zentrums für Chancengleichheit und Rassismusbekämpfung (CGKR): "Organisationen mit eigener Rechtspersönlichkeit kann man verbieten, nicht aber faktische Vereinigungen und Bewegungen. So wurde die neofaschistische Partei „Vlaams Blok“ nie verboten oder zur Namensänderung gezwungen. Sie wurde nur als rassistische Organisation verurteilt. Die strikte Anwendung der bestehenden Gesetze wie das Antirassismusgesetz, Antidiskriminierungsgesetz und das Gesetz über die kriminellen Organisationen könnten diesen Organisationen das Leben schwer machen. Wohl plädierte er für eine Anpassung der Antidiskriminierungsgesetzgebung. Mitglieder einer Gruppe, die Hass gegen Homosexuelle, Nicht-Muslime und andere Gruppen betreibt, sollten auch individuell strafbar sein. "Anstiftung zu Rassismus" sollte bereits strafbar sein, und ein einfaches Strafgericht sollte Medien für Straftaten in diesem Zusammenhang rechtlich verfolgen können. Diese Änderungen im Antidiskriminierungsrecht sollten natürlich für alle diskriminierten Gruppen gelten.

MdP van Velthoven wollte eigentlich nach der Anhörung seinen Gesetzentwurf sofort einreichen, will ihn aber jetzt erst überarbeiten, weil die Mehrheit sich offensichtlich gegen radikale Verbotsbestimmungen ausgesprochen hat.
 

Rudy Mondelaers