Schulden: Die ersten 5.000 Jahre

(hpd) Der als Vordenker der Occupy-Bewegung geltende David Graeber liefert in „Schulden. Die ersten 5.000 Jahre“ eine Alternativ-Geschichte der ökonomischen Entwicklung der Menschheit, welche im Verhältnis von Gläubigern und Schuldnern den Kern der historischen Konflikte und gegenwärtigen Probleme sieht.

Der Autor liefert zwar einerseits eine neue Perspektive in einem innovativen Sinne, greift dafür aber andererseits nur die passenden Beispiele aus der Geschichte mit selektiver Einseitigkeit heraus.

Das kapitalismuskritische Buch „Schulden. Die ersten 5.000 Jahre“ des anarchistischen Autors David Graeber erreichte bereits direkt nach seinem Erscheinen hohe Plätze auf den Bestsellerlisten. Außerdem fand es in der bürgerlichen Presse anerkennende bis euphorische Kommentierungen: Frank Schirrmacher bezeichnete Graebers Arbeit in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ als „eine Offenbarung“, und Mathias Greffrath sprach in der „Zeit“ von einem „grandiosen Buch über Schulden“. Der Autor ist Anthropologe und kein Ökonom. Er lehrt am Goldsmith-College in London und versteht sich selbst als politischer Anarchist. Als aktives Mitglied der „Industrial Workers of the World“ engagierte Graeber sich auch in der Occupy-Bewegung und gilt den Medien im In- und Ausland als deren Organisator und Vordenker. Sein Buch „Schulden“ kann als eine Art neue ökonomische Geschichte der Menschheit verstanden werden, will der Autor doch die historische Entwicklung im Kontext des Verhältnisses von Gläubigern und Schuldnern deuten.

Sein Credo lautet demnach: „Seit vielen tausend Jahren wird der Kampf zwischen Reichen und Armen überwiegend in Form von Konflikten zwischen Gläubigern und Schuldnern ausgetragen – mit Argumenten über Recht und Unrecht von Zinszahlungen, von Schuldknechtschaft, Schuldenerlass, Enteignung, Rückgabe, der Konfiszierung von Schafen oder Weinbergen oder dem Verkauf von Kindern in die Sklaverei. Ebenso haben in den letzten 5.000 Jahren mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit Volksaufstände auf gleiche Weise begonnen: mit der rituellen Zerstörung von Schuldverzeichnissen ..., wo immer die Schulden zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort verzeichnet waren“ (S. 14). Mit dieser Perspektive wendet sich Graeber auch gegen historische und ökonomische Mythen wie etwa die Auffassung zum Ursprung des Geldes. Das quellenbezogene Studium der Geschichte verdeutliche, dass erst die Kreditwirtschaft, dann das Geld und dann der Markt entstanden seien. Die dominierende umgekehrte Sicht der Dinge könne man nicht belegen.

Graeber argumentiert jeweils als Anthropologe und setzt mit seiner Alternativ-Geschichte in Mesopotamien ein. Dann durchschreitet er im Eiltempo die historische Entwicklung der Menschheit, wobei nicht nur Europa und die USA, sondern sehr wohl auch China und Indien seine Aufmerksamkeit finden. Auf über 400 Seiten liefert der Autor somit eine Abhandlung über 5.000 Jahre gesellschaftliche Entwicklung und Konflikte um Schulden. Dabei stellt er immer wieder darauf ab, dass ein Schuldenverhältnis etwas mit Dominanz und Macht der Herrschenden gegenüber der Mehrheit einer Gesellschaft zu tun habe. Die damit einhergehende Abhängigkeit artikuliere sich bis heute im Alltagsverständnis der Rede von „etwas schulden“. Demgegenüber meint Graeber: „Was sind Schulden denn überhaupt? Sie sind nichts weiter als die Perversion eines Versprechens, das von der Mathematik und der Gewalt verfälscht wurde“ (S. 410). Daher sieht er auch im generellen Schuldenerlass den richtigen Schritt zur Lösung ökonomischer und sozialer Probleme.

Der Autor bringt in die Debatte in der Tat eine andere Perspektive ein, welche auch weit verbreitete Auffassungen, wie die vom Entstehen des Geldes, einer kritischen Prüfung aussetzt. Seine inhaltlich nicht begründete aber politisch eingeforderte Schlussfolgerung, in einem Schuldenerlass einen richtigen Schritt für die Entwicklungsländern zu sehen, findet auch bei reformorientierten Bankiers inhaltlich Akzeptanz. Gleichwohl kann seine Deutung in der Gesamtschau nicht überzeugen: Allzu einseitig nutzt der Autor die Betrachtung und Darstellung der historischen Entwicklung dazu, um sich die jeweils passenden Aspekte für die eigene Sicht von der Bedeutung der Schulden zusammenzusuchen. Anderslautende Deutungen und Fakten ignoriert Graeber dabei. Was für eine politische Streitschrift verzeihlich wäre, ist für ein wissenschaftliches Werk inakzeptabel. Außerdem nimmt seine Arbeit nur eine diffuse und moralisierende Analyse des Kapitalismus vor und mündet in der romantisierenden Auffassung einer einfachen Gesellschaft der sozial Gleichen.

Armin Pfahl-Traughber

David Graeber, Schulden. Die ersten 5.000 Jahre. Aus dem Amerikanischen von Ursel Schäfer, Hans Freundl, Stephan Gebauer, Stuttgart 2012 (Klett-Cotta-Verlag), 536 S., 26,95 Euro.

 

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.