Religionsfreiheit oder Körperverletzung?

Medizinische Grundlagen und Ursprung der Beschneidung

Wann ist eine Vorhautbeschneidung legitim? Sie ist dann legitim, wenn eine medizinische Indikation vorliegt. Diese liegt vor, wenn es sich bei der Zirkumzision um eine Heilbehandlung handelt, die etwa bei Entzündungen oder einer Phimose (= Vorhautverengung) ihre Anwendung findet. Aber auch die Vorteile einer Vorbeugung könnten einen medizinischen Eingriff begründen. So wird in Debatten häufig das verminderte Ansteckungsrisiko von Infektionskrankheiten angeführt. Dieses Argument käme aber erst dann zu tragen, wenn das Kind geschlechtsreif sei. Auch die viel zitierte WHO -Empfehlung bezüglich HIV-Infektionen bezieht sich lediglich auf einwilligungsfähige Personen. „Medizinisch vorteilhaft ist eine Zirkumzision bei Kindern nicht.“, resümierte Putzke das zuvor Gesagte.

Des Weiteren sei eine Vorhautentfernung mit Risiken verbunden. Neben dem Operationsrisiko durch die Narkose können Komplikationen wie Infektionen und Wundheilungsstörungen aber auch Schmerztraumata und ein Sensibilitätsverlust entstehen.

Wo liegen die historischen Wurzeln der Vorhautentfernung? Ursprünglich hatte die Beschneidung die Funktion eines Initiationsritus, der die Aufnahme des Heranwachsenden in die Gemeinschaft der Erwachsenen besiegeln sollte. In Trockengebieten wurde sie zudem als hygienische Maßnahme angesehen, woraus möglicherweise eine religiöse Pflicht resultierte.

Zwar gibt es im Koran keine Erwähnung der Notwendigkeit einer Beschneidung, dennoch wird sie mittelbar aus Textstellen („Sprich: ‚Was Gott sagt, ist die Wahrheit. Folgt dem Weg Abrahams, des Hanifen!“, Koran 3:95), vor allem aber aus den Berichten über den Propheten Mohammed und aus den Überlieferungen der Gesellschaft (Sunna) hergeleitet. Anders als im Islam wird im Judentum ein fester Zeitpunkt der Beschneidung, nämlich der achte Tag nach der Geburt, im ersten Buch Mose genannt. In der Regel wird dort die Beschneidung von einem Mohel oder einer Mohelet überwiegend ohne Narkose vorgenommen.

Rechtslage und die Rolle von Politik und Justiz

Laut Strafgesetzbuch (§223 StGB) wird derjenige mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe belegt, der eine andere Person körperlich misshandelt oder dessen Gesundheit schädigt. Selbst ein erfolgreich und kunstgerecht durchgeführter ärztlicher Heileingriff stellt eine Körperverletzung dar. „Und deswegen ist es ganz normal, dass auch die medizinisch nicht indizierte religiöse Beschneidung eine Körperverletzung darstellt, nämlich zunächst mal den Tatbestand des Paragraphen 223 StGB erfüllt“, erklärte Holm Putzke. Entscheidend sei jedoch, ob dieser Tatbestand der Körperverletzung gerechtfertigt ist. Grundsätzlich wirkt die Einwilligung des Patienten in diesem Fall rechtfertigend. Dies gilt jedoch nur, solange die betroffene Person einwilligungsfähig ist. Kinder, bei denen die Zirkumzision vorgenommen werden soll, haben diese Einwilligungsfähigkeit noch nicht. Ihre Einwilligung muss durch die Eltern ersetzt werden, welche jedoch nach § 1627 BGB im Wohl des Kindes liegen muss.

„Was liegt denn im Wohl des Kindes?“, fragte Holm Putzke. „Ganz klar, ärztliche Heileingriffe“, so seine Antwort. Wenn etwas notwendig sei und wenn ein Kind dadurch geheilt werde, sei das selbstverständlich zu seinem Wohl. Die religiös motivierten, das heißt medizinisch nicht notwendigen, Beschneidungen fallen nicht darunter. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass eine solche Beschneidung dem Recht auf negative Religionsfreiheit entgegensteht. Schließlich sei sie eine religiöse Kennzeichnung. Diese könne auch nicht durch die Religionsfreiheit der Eltern gerechtfertigt werden. „Kein Freiheitsrecht kann es geben, das dazu legitimiert, ein anderes Freiheitsrecht zu beeinträchtigen und in die körperliche Unversehrtheit von jemandem einzugreifen“, erklärte Putzke.

Die Politik habe zunächst empört auf das Urteil des Kölner Landgerichts reagiert. Im Hinblick auf die Besänftigung, die außerhalb von Deutschland erreicht wurde, sei dieses Verhalten aber nachvollziehbar. Holm Putzke hätte sich jedoch gewünscht, dass gleichzeitig die Unabhängigkeit der deutschen Justiz betont und auf die UN-Kinderrechtskonvention hingewiesen worden wäre. Ebenso problematisch sei die Aussage von Angela Merkel gewesen, dass sich Deutschland mit einem solchen Urteil zur „Komikernation“ mache. „Das, meine ich, steht einer Bundeskanzlerin nicht zu und ist auch unangemessen“, kritisierte er und ging anschließend auf das Verhalten des Bundestages ein. Dieser hätte vor Verabschiedung der Resolution lieber eine Diskussion stattfinden lassen müssen.

Das Bundesjustizministerium stehe nun vor dem Problem, ein Gesetz zu formulieren, was möglichst nur die religiöse Beschneidung von Jungen erfasst. „Ein Gesetz, das nur eine einzige religiöse Handlung erlaubt“, kommentierte Putzke, „das gehört nicht in unsere Rechtsordnung.“ Mehr Entscheidungen von Gerichten, abgesehen von dem des Landgerichts Köln, gebe es nicht und die Staatsanwaltschaften hielten sich bisher zurück.

Das Fazit des Vortrags bildete ein Zitat des Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Rolf Herzberg: „So haben Juden und Christen sich befreit von manchen Vorschriften eines archaischen Wüstengottes, närrisch-grausame Intoleranz überwunden und sich fortschreitend zivilisiert. Ist es da nicht im 21. Jahrhundert höchste Zeit, dass man endlich auch aufhört mit der [..] skandalösen Missachtung kindlicher Grundrechte?“

Nach dem Vortrag begann eine lebendige und lange Diskussionsrunde in der vieles detailliert klargestellt und ergänzt wurde. Seit kurzem ist Prof. Dr. Holm Putzke Mitglied im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung.

Florian Chefai