Berliner Kopftuch-Urteil

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Landesarbeitsgericht Berlin

BERLIN. (hpd) Mit unverhohlener Genugtuung haben der Zentral­rat der Muslime und die Frauen­organisation von Milli Görüs auf ein erst jetzt bekannt­­gewordenes Urteil des Arbeits­gerichts Berlin (55 Ca 2426/12) vom 28. März dieses Jahres reagiert. Die 55. Kammer des Arbeits­­gerichts Berlin hat einer muslimischen Frau Schadens­­ersatz zugesprochen, weil sie von einem Berliner Zahnarzt nicht als Zahnarzt­­helferin eingestellt worden war. Der Grund für die Nicht­­einstellung: sie hatte es abgelehnt während der Arbeits­­zeit ihr Kopftuch abzulegen.

Ein Kommentar von Walter Otte

Die Presse vermeldet ein „Kopftuch-Urteil“ und titelt „Kopftuch durchgesetzt“ (Berliner Zeitung vom 21.10.2012), als sei eine bahn­brechende Ent­scheidung von historischer Bedeutung gefällt worden. Die Berliner Senatorin Kolat (deren Ehemann muslimischer Verbands­funktionär ist) begrüßt das Urteil in triumphierendem Ton, als seien bislang Muslime in Deutschland ihrer Religion wegen diskriminiert worden.

Offenbar bekommen muslimische Verbands­vertreter und selbst­ernannte Für­sprecher religiöser Selbst­darstellungen derzeit Ober­wasser infolge der Debatte um religiös motivierte Knaben­beschneidungen. Da passt es gut ins Bild, wenn nun ein weiterer „Erfolg“ spektakulär vermeldet werden kann, auch wenn an dem Urteil nichts spektakuläres ist.

Denn bereits mit Urteil vom 10.10.2002, somit vor gut zehn Jahren, hat das Bundes­arbeits­gericht (2 AZR 472/01) einen Kopftuch-Streit entschieden: Das Gericht urteilte damals, dass das Tragen eines „islamischen“ Kopf­tuches während der Arbeits­zeit durch eine Verkäuferin in einem Kauf­haus (in der Kosmetik­abteilung) für sich allein keine Kündigung des Arbeits­verhältnisses durch den Arbeit­geber rechtfertigt. Dabei ging das Gericht vom Grund­recht der Arbeit­nehmerin auf Religions­freiheit aus, das auch grund­sätzlich in einem Arbeits­verhältnis gelte. Hier­gegen sei das Grund­recht der Unternehmer­freiheit (Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz) abzu­wägen; da im seinerzeitige Fall vom Arbeitgeber jedoch keine konkreten betrieb­lichen Störungen oder wirtschaft­lichen Einbußen vorge­tragen wurden, sah das Bundes­arbeits­gericht die Belange des Unter­nehmens als nicht vor­rangig an. Diese Entscheidung ist vom Bundes­verfassungs­gericht (1 BvR 792/03) durch die Nicht­annahme einer gegen das Urteil gerichteten Verfassungs­beschwerde bestätigt worden, wobei ausdrücklich bestätigt wurde, dass es stets auf den konkreten Einzel­fall ankomme. Von Bedeutung für das Bundes­verfassungs­gericht war auch, dass es möglich war, die muslimische Kopftuch­trägerin auf einer weniger exponierten Stelle im Betrieb als in der Kosmetik­abteilung einzu­setzen.

Fazit: keine generelle unein­geschränkte Befugnis zum Zeigen religiöser Symbole in einem Arbeits­verhältnis, statt­dessen Abwägung der Belange des Arbeit­nehmers und des Arbeit­gebers im Einzel­fall! Beschränkungen des Rechts des Arbeit­nehmers, im Arbeits­verhältnis zu religiöser Selbst­darstellung mittels seiner Kleidung berechtigt zu sein, ergeben sich bei betrieb­lichen Störungen (etwa des Betriebs­friedens) und bei wirtschaft­lichen Einbußen des Arbeit­gebers (etwa durch Kunden­verlust).

Daran hat sich auch durch das jetzt zu beachtende Allgemeine Gleich­behandlungs­gesetz (AGG) nichts Wesentliches geändert, allen­falls kann es (bei Ein­stellungen von Arbeit­nehmern) zu Schadens­ersatz­verpflichtungen (in über­schau­barer Größen­ordnung) kommen. Im AGG, das seit 2006 in Kraft ist, ist eine Ungleich­behandlung (Diskriminierung) etwa wegen der Religions­zugehörigkeit der betroffenen Person untersagt. Damit ist deren Rechts­position gestärkt und bei einer Abwägung verschiedener wider­streitender Rechte unbedingt zu berück­sichtigen, was jedoch nichts an der Berück­sichtigung der vom Bundes­arbeits­gericht genannten Abwägungs­kriterien ändert.

Wie sich das Urteil des Arbeits­gerichts Berlin zu den vom Bundes­arbeitsgericht aufgestellten Kriterien äußert, ist (bislang) nicht bekannt. 

Nichts Neues zu Kopf­tüchern im Arbeits­leben

Zu rechnen ist gegenwärtig aller­dings damit, dass auf Initiative muslimischer Organisationen hin verstärkt muslimische Frauen darauf bestehen könnten, während der Arbeits­zeit Kopftuch zu tragen, um ihre Religions­zugehörigkeit zu demonstrieren. Zu rechnen ist auch damit, dass eher als vor zehn Jahre bereits Arbeits­gerichte und nicht erst das Bundes­arbeitsgericht zugunsten des Kopftuch-Tragens am Arbeits­platz entscheiden werden. Dabei wird es für die recht­liche Beurteilung aber – so wie seinerzeit - stets auf den Einzel­fall ankommen.

Vermutlich werden unter dem Einfluss muslimischer Funktionäre auch weiter­gehende Forderungen nach Räumen und Pausen zum Beten, nach getrennten Kantinen (mit und ohne Schweine­fleisch) gestellt werden. Da gilt allerdings: Die Grund­rechte (etwa auf Religions­freiheit) gelten im Verhältnis privater Interessen untereinander nicht unmittelbar, so dass der Durch­setzung von noch mehr Religion am Arbeits­platz kein recht­licher Erfolg beschieden sein wird. Dass die entsprechenden Forderungen laut­stark gestellt werden, wird jedoch nicht zu vermeiden sein, zumal offenbar Organisationen wie Milli Görüs und deren Frauen­organisation versuchen, Einfluss zu nehmen und sich öffentlich zu profilieren. Diese Organisationen erhoffen sich zudem – gewisser­maßen unisono mit der Leiterin der Anti­diskrimi­nierungs­stelle des Bundes – eine Signal­wirkung des Urteils aus Berlin. Das dortige „Argument“, muslimische Frauen würden allein wegen ihres Glaubens in der Privat­wirtschaft nicht eingestellt, verfängt aller­dings nicht. Nicht wegen ihres Glaubens sondern wegen der demonstrativ nach außen darge­stellten Bekundung ihrer Religion will man sie (bisweilen) in nicht­religiösen Ein­richtungen nicht beschäftigen. Wegen ihres Glaubens allein werden sie keines­wegs benach­teiligt, sonst wären nicht unzählige muslimische Frauen (ohne Kopftuch) in Arbeits­verhältnissen in vielen Branchen beschäftigt.

Nicht berührt von dem Urteil des Arbeits­gerichts Berlin und den erwähnten Ent­scheidungen des Bundes­arbeits­gerichts und des Bundes­verfassungs­gerichts ist die Problematik des Kopftuch-Tragens im Öffentlichen Dienst, insbesondere an Schulen, auch wenn der Zentral­rat der Muslime und Milli Görüs dies massiv fordern. Im Öffentlichen Dienst sind maß­geblich die staatliche Neutralitäts­pflicht und die Besonder­heiten des Öffentlichen Dienst­rechtes sowie die Grund­sätze des Berufs­beamten­tums zu berück­sichtigen, so dass eine Gleich­setzung mit der vom Arbeits­gericht entschiedenen Problematik in privat­rechtlichen Arbeits­verhältnissen aus rechtlichen Gründen ausscheidet.

Die Entscheidung des Arbeits­gerichts Berlin führt zu einer Ent­schädigung der muslimischen Frau in Höhe von drei Monats­gehältern, keineswegs jedoch dazu, dass sie den Arbeits­platz erhält. Der betroffene Zahnarzt hatte den Presse­berichten zufolge, da er die Frau für fachlich qualifiziert gehalten hat, mehrfach das Gespräch mit ihr über das Kopftuch-Tragen gesucht. Diese Offenheit hat sich nicht aus­gezahlt: sie war Anlass für die Erhebung der Klage zum Arbeits­gericht, gewisser­maßen ein gefundenes Fressen für muslimische Funktionäre, denen es nicht auf ein Mit­einander im Arbeits­prozess sondern lediglich auf die Durch­setzung ihrer religiösen Vor­stellungen ankommt.

Es wäre allerdings fatal, wenn Konsequenz aus diesem Urteil die Vor­stellung sein würde, dass sich Offen­heit gegenüber Muslimen nicht auszahlt. Der betroffene Zahnarzt und auch andere Arbeit­geber jedoch werden wohl mit kopf­tuch­tragenden Arbeits­platz­bewerberinnen künftig gar kein Gespräch mehr suchen, sondern ohne jegliche Erörterung und Begründung eine Ein­stellung ablehnen. Und sie werden skeptischer werden bei Ein­stellungen, denn sie werden befürchten, dass eines Tages die muslimische Mit­arbeiterin sich entschließen könnte, ihre religiöse Gesinnung nach außen durch das Tragen eines Kopftuches zu demonstrieren. So ist es durchaus möglich, dass das Berliner Urteil der Sache der muslimischen Frauen einen Bären­dienst erwiesen haben könnte.

Mit verstärkten Anstrengungen von vor allem fundamen­talistischen Muslimen, ihre religiöse Über­zeugung öffentlich demonstrativ zur Schau zu stellen, wird sicherlich zu rechnen sein. Aber nicht sämtliche Anstrengungen werden Erfolg haben – schon aus recht­lichen Gründen nicht.

Eines aber sollte beachtet werden, und dies gibt Anlass zu Optimismus: Die über­große Anzahl der in Deutschland lebenden Muslime legt überhaupt keinen Wert darauf, ihre religiösen Über­zeugungen – etwa durch das Tragen uni­former Kleidung – nach außen gegenüber der Gesell­schaft, zu jeder Zeit und an jedem Ort demonstrativ dar­zu­stellen. Dies wird immer nur eine Minder­heit wollen. Und damit wird man um­gehen können.