Die Vier Apokalyptischen Reiter

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Dürer: Die vier apokalyptischen Reiter

WIEN. (hpd) Sonnenstürme epochalen Ausmaßes, nie dagewesene Flutwellen, der 3. und diesmal wirklich letzte Weltkrieg oder ein extrem lästiger weltweiter Internetausfall. Oder vielleicht doch nur der Beginn einer neuen Zeitrechnungsreihe gemäß dem Kalender einer Kultur, die ihren Höhepunkt erlebt hat, als im Abendland das Mittelalter erst so richtig in Fahrt gekommen ist?

Wie auch immer: etwas wird schon passieren, am 21.12.2012. Es passiert ja jeden Tag etwas. Und auch wenn vermutlich weit weniger Mitmenschen in ihrem Kalender die Eintragung „Weltuntergang“ stehen haben als uns gewisse Medienvertreter, Esoteriker und Buchhandlungen weismachen wollen, scheint Sorge angebracht zu sein. Schließlich hat ja sogar die staatliche „Bundesstelle für Sektenfragen“, von der man ja sonst sehr wenig hört, Alarm geschlagen und sich veranlasst gefühlt, einen Informationsabend zu veranstalten und diverse kursierende Weltuntergangsvorstellungen dem „Erfindungsreichtum westlicher Esoteriker“ zuzuschreiben.

Die katholische Kirche, die mit Endzeitvorstellung plötzlich nichts zu tun haben wollte, sah sich ebenfalls auf den Plan gerufen, dem „Endzeit-Gerede“ mittels eines gewichtigen Machtworts ein Ende zu bereiten: kein Geringerer als Kurienerzbischof  Gerhard Ludwig Müller, Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, ließ drei Wochen vor dem nun abgeblasenen Weltuntergang verkünden, dass „Christen schon gar nicht von dem Weltuntergang sprechen“ und das dies „alles sinnlose Aufregung ist“. Positive Ratschläge hatte der katholische Gottesmann allerdings auch parat: Zu Weihnachten, so Müller, sollten sich die Menschen "nicht nur in einer inhaltslosen Kinderseligkeit ergehen, sondern konkret kinderfreundlich sein". Naja, schweigen wir lieber dazu.

Weltuntergang im Eigenverlag

Wie kein anderer Künstler prägte der Nürnberger Maler und Graphiker Albrecht Dürer das, was heutzutage unter dem willkürlichen Sammelbegriff „Renaissance in Deutschland“ subsumiert wird. Und wenn es gilt, eines seiner Meisterwerke zu nennen, so wird in der Regel die Wahl auf die von ihm konzipierte, erstellte und im Eigenverlag veröffentlichte „heimlich offenbarung iohannis“ fallen. Um genauer zu sein: auf die dritte „Figur“ der insgesamt 14 Holzschnitte, die dieses Werk ausmachen, nämlich auf „Die vier apokalyptischen Reiter“. Das 28x39 cm große Werk stellt detailreich die Szene dar, die den ersten acht Versen des 6. Kapitels der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch des kanonischen Neuen Testaments, entspricht. Dargestellt wird die Öffnung der ersten vier der insgesamt sieben Siegel und insbesondere das, was zeitgleich geschehen wird: das Erscheinen der vier apokalyptischen Reiter, gefolgt von der als Ungeheuer personifizierten Hölle (die in ihrem Rachen allerdings gerade einen Bischof verschwinden lässt).

Der hochkomplexen Komposition ist wesentlich mehr zu entnehmen, als dem Betrachter im ersten Blick ins Auge springt. Klar, die erste Darstellungsebene lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass es zur Zeit des unausweichlichen jüdisch-christlichen Weltuntergangs nicht lustig zugehen wird: Hungersnot, Kriege und Krankheiten – von denen es zu Dürers Zeit allerdings mehr als genug gab – werden zur Regel werden und den Untergang hervorrufen. Die Darstellung der Reitergruppe lässt aber ikonografisch auch eine ganz andere Reminiszenz aufkommen: Wotans Wilde Jagd, die als christlich-germanisches Crossoverprodukt, ganz nebenbei, stets in der Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag stattfand. Die Fähigkeit der Kirche, Endzeitvorstellungen einzusetzen, um Gehorsam einzufordern und üppige Ablässe zu lukrieren, begann freilich schon vor Dürers Zeit zu bröckeln. Anders als heutzutage galt aber damals für viele Christen ein persönliches Erleben des Jüngsten Gerichts tatsächlich als Arbeitsannahme.

Es gibt Sekten und es gibt Sekten

Für den heutigen Betrachter ist es hochamüsant zu beobachten, wie die einstige, aus dem Nahen Orient stammende Sekte von gestern, im Hier und Jetzt sich zum Mainstream erklärt, die eigenen esoterischen Vorstellungen auf den Nagel hängt und mit tatkräftiger staatlicher Unterstützung gegen angebliche importierte Hirngespinste wittert.

Die Bundesstelle für Sektenfragen verdankt nämlich ihr Entstehen dem „Bundesgesetz über die Einrichtung einer Dokumentations- und Informationsstelle für Sektenfragen“ (BGBl. I Nr. 150/1998), ein Gesetz das an sich ja Sinn macht: ähnlich wie beim Konsumentenschutzgesetz hat der Staat ja seine Schutzpflicht gegenüber der eigenen Bürger auch in Glaubensfragen nicht zu vernachlässigen. Doch einen Schönheitsfehler hat dieses lobenswerte Gesetz samt der darauf basierten Bundesstelle allenfalls: von dem Drang geleitet, insbesondere die katholische Kirche nicht zu beleidigen, entschloss sich der Gesetzgeber, die bereits anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften von dem Anwendungsbereich dieses wichtigen Gesetzes auszunehmen. Das Resultat: die Sekte Jehovas Zeugen, die im Tätigkeitsbericht der Bundesstelle für Sektenfragen 2008-2009 das stolze zweite Thematisierungsranking nach Scientology einnimmt, wurde infolge eines (einleuchtenden) Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte per Verordnung „entsektet“. Lieber schenkt nämlich die Republik einer Sekte Narrenfreiheit bevor sie die rechtliche Privilegierung der katholischen Kirche, die jahrelang im Kampf gegen Sekten und insbesondere Jehovas Zeugen eine Schlüsselrolle gespielt hat, beschneidet. Und so kommt es auch, dass die (staatliche!) Bundesstelle für Sektenfragen lediglich fünf eigene Beratungsstellen nennt, während sie zusätzlich auf acht katholische und sieben evangelische verweist (!).

Der Witz der Geschichte: besagtes „Sekten-Gesetz“, das mittelbar die Kirche als Hauptaufklärerin in Sektenfragen installiert hat, wurde im Jahr 1998 eingeführt. Also genau zum 500. Jahrestag des Erscheinens von Dürers vier apokalyptischen Reitern, eine der, zumindest kunstgeschichtlich betrachtet, wichtigsten Darstellungen des christlichen Weltuntergangs.

Eytan Reif