Gottes Wort im Ausverkauf

Das „Wort Gottes“ im Ausverkauf

In den Augen der Büchertisch-Verantwortlichen sind die gesammelten Weisheiten von Herrn Deichmann um einiges wertvoller als das, was sie für das Wort Gottes halten. Die Bibel in evangelikaler Übersetzung gibt’s um ganze zwei Euro. So billig ist sonst nichts am Büchertisch zu haben. „So viel Information für so wenig Geld“, schwärmt mir die Verkäuferin vor.

Kindermusical und Kinderschminken

Auf der Showbühne führen die Fundis ein Kindermusical auf. Die kindlichen und jugendlichen Darstellerinnen und Darsteller geben in dem, was man offenbar für geschichtstreue Kostüme hält, die Erzählung von Ruth wieder. Dem Genre entsprechend ist das ganze musikalisch, die Kinder der Kunden des Einkaufszentrums mögen es und machen sich auf den Sitzgelegenheiten breit. Es gibt Kinderschminken und einen Porträtzeichner. Die Mütter und vereinzelte Väter sitzen vom Einkauf erschöpft daneben.

Religiöser Hintergrund erschließt sich nicht auf den ersten Blick

Sieht man vom biblischen Inhalt des Musicals ab, der sich in dem Trubel den meisten nicht erschließen dürfte, lässt kaum etwas auf den evangelikalen Hintergrund schließen. Das Banner mit der Botschaft „Zweifeln und Staunen“ ließe Eingeweihte eher auf eine freidenkerische Veranstaltung schließen. Auch der Beginn der Broschüren liest sich eher wie aus einer Eigenpräsentation der Skeptikerbewegung: „Zweifeln ist gesund. Man sagt, der Mensch sei ein Gewohnheitstier. Aber Ansichten und Verhaltensweisen sind nicht schon deshalb richtig, weil wir uns an sie gewöhnt haben.“

Oder: „Hat Gott die Menschen oder haben die Menschen Gott geschaffen? Zweifeln ist allerdings nur gesund, wenn wir auch das in Frage stellen, was uns lieb und wert ist und woran wir uns gewöhnt haben. Sonst betrügen wir uns selbst.“ Spätestens hier würde ein durchschnittlich interessierter Leser vermutlich aufhören.

Bei Gott hört das Zweifeln auf, sagen die Fundis

Dass das Zweifeln gefälligst bei Gott aufzuhören hat, würde ein mäßig Interessierter höchstwahrscheinlich nicht mehr mitbekommen. Ebensowenig wie das, was die Fundis für Beweisführung gegen die Skeptiker dieser Welt halten. „Jesus hat seine Liebe zu uns bewiesen, als er am Kreuz für uns starb. Und Gott hat ihn vom Tode auferweckt. Damit ist bewiesen, dass das Wort und die Liebe von Jesus stärker sind als der Tod.“

Anti-Evolutionsbroschüre: Schiefe Beweise, Anweisung zum Lügen

Unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle kritischer Eltern dürften auch die Broschüren des Missionswerks Heukelbach geblieben sein, die an die Kinder verteilt wurde. „Thema: Evolution – was ist das?“ heißt die Ausgabe der „Extra-Info mit der wichtigsten Nachricht der Welt“. Wenig überraschend zeigen sich die Fundi-Autoren wenig begeistert von den Entdeckungen von Charles Darwin und seinen Nachfolgern. Kindgerecht formuliert versuchen sie, mit Hilfe des menschlichen Auges die Unmöglichkeit der Evolution zu erläutern. Als Beispiel muss eine Digitalkamera herhalten, die mit dem Auge verglichen wird. „Würdest du es mir glauben, wenn ich behaupte, diese Kamera sei im Laufe vieler Jahre entstanden?“, fragt ein Vater seinen Sohn.

Neben abstrusen Theorien enthält die Broschüre die kaum verhüllte Aufforderung an Kinder, ihre Lehrer zu belügen und ihre Mitschüler zu missionieren. „Lern fleißig deinen Unterrichtsstoff, damit du eine gute Note bekommst. Für dich persönlich glauben solltest du allerdings nicht alles. Wir trauen Gott alles zu – auch, dass er der geniale Schöpfer ist. Wenn du Möglichkeiten hast, bekenne das, zum Beispiel vor deinen Klassenkameraden. Da wird Gott dir schon helfen. Und auch für deinen Lehrer wollen wir gemeinsam beten, o.k.?“

Kein Wort zur Abtreibung

Mit ihren Meinungen zum Schwangerschaftsabbruch halten sich die Fundis nach Erkenntnis des hpd bei den Veranstaltungen zurück. Der Bund Evangelikaler Gemeinden gehört etwa der Initiative „One of Us“ an, die kaum mehr ist als eine harmlos auftretende Frontorganisation radikaler Abtreibungsgegner. Dass man in der Lugner City nicht damit wirbt, mag verschiedene Gründe haben. Unter anderem, dass im Büroflügel des Einkaufszentrums eine Abtreibungsklinik untergebracht ist. Vor der haben vor wenigen Jahren katholische Abtreibungsgegner Demonstrationen abgehalten.

Das wirft auch die Frage auf, warum die Lugner City ausgerechnet Evangelikalen ihre Showbühne zur Verfügung stellt. Außerhalb von Wahlkämpfen treten dort normalerweise keine weltanschaulichen Gruppierungen sein. Nach Auskunft von „Pro Christ“ dürfte die Lugner City schon im Jahr 2009 Schauplatz der evangelikalen Aktivitäten gewesen sein. Der hpd hat der Leitung des Einkaufszentrums per Mail einen Fragenkatalog geschickt, der bis jetzt nicht beantwortet wurde. So bleibt auch ungeklärt, ob die Zentrumsleitung im Vorfeld von den Anti-Evolutionsbroschüren gewusst hat, die dort verteilt werden.

Christoph Baumgarten

 

Fotos während der Veranstaltungen waren leider nicht möglich. In der Lugner City herrscht striktes Fotografieverbot ohne schriftliche Genehmigung. Unserem Korrespondenten war es leider nicht möglich, kurzfristig eine solche Genehmigung zu erhalten. Er hat selbst erst am Samstag erfahren, dass eine Veranstaltung in dem Einkaufszentrum stattfindet. Wir ersuchen um Verständnis.