POLEN. (hpd) Bemerkenswertes in Polen aus säkularer Sicht (März 2013). Die Pastafaris werden als Glaubensgemeinschaft nicht anerkannt, der Einfluss von Schwulen und Lesben auf das Schulwesen wird kritisiert, das komplizierte Verfahren zum Austritt aus der Kirche wird thematisiert und antiklerikalen Strömungen wird nachgegangen.
Pastafaris als Glaubensgemeinschaft nicht anerkannt
In Polen gibt es unterschiedliche Glaubensgemeinschaften, wie die orthodoxen Christen, Juden und Moslems, obwohl im Land fast 90 Prozent Katholiken leben. Mitte März sollte eine weitere Glaubensgemeinschaft dazukommen: Die Anhänger des Fliegenden Spaghettimonsters wollten sich als Religionsgemeinschaft offiziell anerkennen lassen. Michal Boni, Minister für Öffentliche Verwaltung und Digitalisierung, lehnte das jedoch ab mit der Begründung, dass diese Gruppierung nicht geschaffen wurde, um einen bestimmten Glauben zu vertreten. Laut vom Ministerium eingeholten Gutachten soll es sich hierbei um eine Parodie einer Glaubensgemeinschaft handeln. Somit sei diese Organisation eine atheistische Gruppierung, die Glaubensgemeinschaften wie die Katholiken lächerlich machen möchte.
Jetzt haben die Anhänger des Spaghettimonsters die Gelegenheit, gegen die Entscheidung Einspruch zu erheben und noch einmal die Registrierung zu fordern. Danach kann vor Gericht gezogen werden, die letzte Instanz wäre dann der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht in Straßburg. Eine Klage werde erfolgen, sollte sich der Minister weiter weigern, die Glaubensgemeinschaft anzuerkennen, zumal alle formalen Anforderungen erfüllt seien, sagte ein Anhänger gegenüber der Presse. Die bekannte und streitbare Politikerin der Linken (SLD) Joanna Senyszyn schrieb dazu auf ihrem Blog, dass Boni die Eintragung unrechtmäßig ablehne, auch habe er nur die formal-rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen und dürfe den Glauben an sich nicht bewerten.
Aktuell sind 158 Kirchen und Glaubensgemeinschaften und fünf zwischengemeinschaftliche Organisationen offiziell registriert, jedoch ist eine Registrierung nicht nötig, um in einer Glaubensgemeinschaft die Glaubensfreiheit leben zu können. Sie zieht aber mitunter steuerliche Privilegien nach sich. Höchstwahrscheinlich können Steuerzahler ab dem nächsten Jahr 0,5 Prozent ihrer Einkommensteuer an eine registrierte Kirche oder Glaubensgemeinschaft spenden. Der erste Abrechnungszeitraum wäre dann das aktuelle Jahr. Demnach könnten mit der Registrierung die Anhänger des Spaghettimonsters auf steuerliche Vorteile und Zuflüsse aus der Einkommensteuer hoffen. (Quelle 1), (Quelle 2), (Quelle 3), (Quelle 4), (Quelle 5), (Quelle 6) und (Quelle 7). (Alle Polnisch)
Einfluss von Schwulen und Lesben auf das Schulwesen
Ende März berichtete das klerikale Nachrichtenportal Gosc.pl über „das Aufzwingen von bestimmten Inhalten in Schulen, die mit der sexuellen Orientierung und mit dem Familienmodell verbunden sind“. Dabei stützt sich das Nachrichtenportal auf einen Bericht der rechtskonservativen Tageszeitung Rzeczpospolita – es geht um eine Studie mit dem Titel „Schule des Schweigens“, die Schulbücher unter dem Gesichtspunkt der Problematik der LGBT (Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle) und der Homophobie analysiert. Die übergreifenden Ziele sind die Beseitigung von homophoben Inhalten aus Schulbüchern sowie die Einführung von Inhalten, die eine Grundlage für die Akzeptanz von LGBT schaffen und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Hierzu sollen auch die Programmgrundlagen des Lehrstoffs geändert und veraltete Schulbücher aus dem Verkehr gezogen werden. Gosc.pl berichtete, dass in diesem Zusammenhang Druck auf das Bildungsministerium ausgeübt wird. Ein erstes Ergebnis ist, dass die Studie von einer Institution herausgegeben wird, die dem Ministerium unterliegt.
Die rund 190 Seiten umfassende Studie soll ein erster Schritt sein, um die übergreifenden Ziele zu erreichen. Sie kommt zu dem Schluss, dass in den entsprechenden Lehrfächern nicht zugelassene und veraltete Schulbücher benutzt werden. Im Unterricht zum „Leben in der Familie“ werden oft auch keine Schulbücher verwendet. Die Problematik der LGBT kommt darüber hinaus in der Programmgrundlage für den Unterricht, wenn überhaupt, nur sporadisch vor. Auch wird das Thema in Schulbüchern entweder an den passenden Stellen überhaupt nicht angesprochen, oder es wird entgegen wissenschaftlichen Erkenntnissen vorgestellt. Dabei werden LGBT negativ dargestellt. Daraus ergeben sich für die Autoren der Studie acht Empfehlungen, die darauf abzielen, in der Programmgrundlage für den Unterricht und in Schulbüchern ein gesteigertes Bewusstsein und eine höhere Sensibilität sowie mehr Verständnis für die betreffenden gesellschaftlichen Gruppen zu schaffen.
Für die Kirche und kirchliche Kommentatoren ist die Studie hingegen ein Angriff auf das traditionelle Familienbild und die unberechtigte Einflussnahme einer kleinen Lobbygruppe auf die Gesellschaft. In diesem Zusammenhang wird oft der Ausdruck „homosexuelle Lobby“ benutzt. Die Bewertungen und Schlussfolgerungen der Studie seien darüber hinaus unehrlich und tendenziös. (Quelle 1) und (Quelle 2). (Beide Polnisch)
Kirchenaustritt leichtgemacht?
Das Thema Kirchenaustritt wird sowohl in Polen als auch in Deutschland immer wieder heftig diskutiert. Doch im Vergleich beider Länder zueinander werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt.
In Deutschland wird mit dem Thema eher die Kirchensteuer verbunden und der damit einhergehende Einzug dieser durch den Staat, weswegen man deshalb von einer hinkenden Trennung zwischen Kirche und Staat sprechen kann.
In Polen hingegen ist der Fokus vielmehr auf den Prozess des Kirchenaustritts gerichtet, was in Deutschland verwundern könnte. Denn wer im Bundesgebiet aus der Kirche austreten möchte, der geht je nach Bundesland zum Standesamt oder Amtsgericht, um in der Regel gegen eine Gebühr den Austritt zu vollziehen. In Bremen kann sogar nach einem kurzen Gespräch mit einem Kirchenvertreter direkt und kostenlos in der Kirche ausgetreten werden. Im Gegensatz dazu ist der Kirchenaustritt in Polen um ein vielfaches schwieriger. Es bedarf in der Regel einer schriftlichen Erläuterung über die Gründe des Austritts, eines Gesprächs mit dem Gemeindepriester und die Benennung von zwei Zeugen, die bestätigen, dass die austretende Person nicht mehr gläubig ist. Und da der östliche Nachbar Deutschlands keine Kirchensteuer einzieht, ist der Anreiz für den Kirchenaustritt umso geringer. Die Folge ist: deklarativ sind fast 90 Prozent der polnischen Bevölkerung katholisch.
Mitte Mai 2012 machte der kirchenkritische Politiker Janusz Palikot auf dieses Problem aufmerksam, in dem er öffentlichkeitswirksam versuchte, aus der Kirche auszutreten. Aktuell berichtet das Internetportal Gosc.pl von einem Fall, in dem der Gemeindepriester einem Mann den Kirchenaustritt verweigerte. Denn er wollte nicht, dass jemand anders von seinem Austritt erfährt. Der Priester hingegen ist der Überzeugung, dass ein Kirchenaustritt eine öffentliche Angelegenheit ist. Der Mann wandte sich zuerst an eine entsprechende staatliche Stelle, die sich um den Schutz von persönlichen Daten kümmert. Dort wurde jedoch eine Einmischung abgelehnt, da es sich um kircheninterne Angelegenheiten handele und die Kirche hierbei autonom sei. Gegen diese Entscheidung klagte der Mann vor einem Verwaltungsgericht, das jedoch die vorherige Entscheidung bestätigte. Das Verfahren befindet sich beim Obersten Verwaltungsgericht, dass in Kürze eine Entscheidung treffen soll. (Quelle 1) und (Quelle 2). (Beide Polnisch)
Antiklerikale Strömungen: Priester, die härtesten Kirchenkritiker
Oft kommt es zur Kritik an der Kirche im Allgemeinen, noch öfter ist die katholische Kirche Gegenstand heftiger Vorwürfe: Seien es pädophile Priester oder die mutmaßlichen Machenschaften der Vatikanbank. Jüngst beschuldigten Kommentatoren die Kirche in Argentinien, sie habe vor 30 Jahren eine viel zu starke Nähe zur der Militärjunta gehabt. In Polen war im März der Erzbischof von Danzig Slawoj Leszek Glodz Ziel solcher Anschuldigungen: von einigen Priestern wurde er bezichtigt, Probleme mit dem Alkohol zu haben und Untergebene zu schikanieren. Für Gewöhnlich wird solche Kritik an der Kirche als Antiklerikalismus bezeichnet, also als eher unberechtigte Vorwürfe, die davon getrieben sind, die Kirche - meist ohne tatsachenbasierter Grundlage - anzugreifen. Von den Gläubigen werden diese Vorwürfe oft als Beleidigung religiöser Gefühle und mediale Hetzkampagnen angesehen.
Die rechtsliberale Gazeta Wyborcz, eine der größten Tageszeitungen in Polen, ließ Mitte März den polenweit bekannten Philosophen Jan Hartman zu Wort kommen – mit erstaunlichem Ergebnis. Hartman ist der Meinung, dass der größte Antiklerikalismus aus der Kirche selbst und zwar von Priestern komme. Ihre Wut werde laut Hartman vergrößert, da sie ihre Kritik nicht öffentlich äußern dürfen. Am meisten verärgert seien Priester, die eine Zeitlang im Vatikan gearbeitet haben und die dort vorherrschenden Zustände mit Intrigen und Machtmissbrauch erlebten. Einige sollen dann die Kirche verlassen haben. Laut Hartman gibt es aber auch noch einen zweiten Antiklerikalismus, der unter Priestern verbreitet ist: Hierbei wird mit Ironie und Augenzwinkern sowie Verständnis auf die Schwächen der Kirche geblickt.
Das Phänomen des so genannten „Antiklerikalismus“ aus den eigenen Reihen erscheint besonders erwähnenswert, denn diese Art der Kritik kann nicht so leicht als unbegründeter Angriff abgetan werden und erschwert wird das Kontern dann, wenn der Kritiker nicht auf persönlicher Ebene diffamiert werden kann. So kritisierte zum Beispiel der in Polen sehr bekannte Priester Tadeusz Isakowicz-Zaleski unter anderem in einem Fernsehinterview Erzbischofs Glodz und ihn verteidigende Politiker aufs Schärfste. Seiner Meinung nach habe man schon lange über die Alkoholprobleme des Erzbischofs Bescheid gewusst.
Wie gehen nun Kirchenbefürworter und Priester mit dieser Kritik um? Wenn kirchenkritische Priester sich in der polnischen Öffentlichkeit äußern, werden sie von der Kirche kaum beachtet. Höchstens werden sie bezichtigt, der Kirche zu schaden. Durch diese Priester erhält somit die Kritik an der Kirche eine ganz neue Qualität, der schwer zu begegnen ist. (Quelle 1), (Quelle 2), (Quelle 3) und (Quelle 4). (Alle Polnisch)
Lukas Plewnia