WIEN. (hpd) Jetzt wissen wir es: Weniger als 100.000 Österreicherinnen und Österreicher sind für die Abschaffung der Kirchenprivilegien. Oder zumindest für die Punkte, so wie sie im Rahmen des Volksbegehrens formuliert wurden. Folglich wird das Thema vom Nationalrat nicht behandelt werden. Zumindest nicht in absehbarer Zeit und schon gar nicht als Gesamtpaket.
Ein Kommentar von Eytan Reif
Das Volk hat gesprochen. Also: Ende der Diskussion. Auch wenn der Verfasser dieser Zeilen, der das Volksbegehren bereits während der Unterstützungserklärungssammlung unterzeichnet hat, bewusst riskiert, als schlechter Verlierer gebrandmarkt zu werden, beugt er sich hiermit nicht dem „Wille des Volkes“. Und er hat gute Gründe dafür.
Die Laizität kann nicht wegdefiniert werden
Die Laizität, also die Trennung von Staat und Religion, ist in Österreich gesetzlich zwar nicht explizit verankert, sie lässt sich aber von der Summe einzelner Verfassungsbestimmungen ableiten. So geht in der Republik Österreich gem. Art. 1 des Bundesverfassungsgesetzes das Recht vom Volk aus. Da haben also weder Gott noch sein Bodenpersonal Mitspracherecht. Ferner führt die mehrfach verankerte Religionsfreiheit, in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz, zu einem begrüßenswerten Ergebnis: weder darf jemand zu einer religiösen Handlung gezwungen noch am Abhalten einer solchen gehindert werden. Und für den Staat kennt das Gesetz keine Ausnahme: Aus weltanschaulichen Belangen hat er sich also herauszuhalten bei sonstigem (verbotenem) Eingriff in die Religions- und Meinungsfreiheit.
Soweit zumindest die Theorie. Doch im Alpenland der Realpolitik wird die Suppe nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht wird. Mit Notkonstruktionen wie dem „Kooperationsmodell“ und der „Hereinnehmenden Neutralität“ versuchten sehr gewiefte (und überwiegend der Kirche nahe stehende) Religions- und Verfassungsjuristen Verstöße gegen das Gebot der Laizität im Nachhinein zu legitimieren. Und sie waren bislang erfolgreich.
Die Zirkelschlussargumentation läuft wie folgt: Zuerst werden mehrere empirisch beobachtbare „Unschärfen“ zusammengefasst und mit einem Begriff beschrieben. Dieser Begriff wird anschließend zu einem Merkmal des in Österreich herrschenden Staat-Kirche Systems deklariert und abschließend verwendet, um jede einzelne weltanschauliche Bevorzugung seitens des Staates zu rechtfertigen.
Und genau gegen diesen Systembruch wandte sich das Volksbegehren, das mit keinem der restlichen 36 bisher in Österreich unternommenen vergleichbar ist. Hier ging es nämlich nicht um die Wahl zwischen zwei (oder mehr) rein politisch begründbaren Handlungsvarianten (Konferenzzentrum: ja oder nein?). Das „Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien“ war vielmehr das Produkt einer (noch latenten) Verfassungskrise, die eigentlich vom Gesetzgeber oder spätestens vom Verfassungsgerichtshof beseitigt hätte werden sollen. Dazu sind aber beide noch nicht reif.
Eine bedenkliche Diskussionskultur
In der einheimischen demokratiepolitischen Arena wird gern der Spieß der mehrheitsbedingten Willensbildung umgedreht, um ein bedenkliches Ergebnis zu rechtfertigen; oft ist bzw. war das Ziel des politischen Diskurses gar die endgültige Beendigung eines öffentlichen Diskurses und nicht die Herbeischaffung einer vertretbaren Lösung. Dies veranschaulichte unlängst auch die Wehrpflicht-Volksbefragung: Weitgehend konzeptlos und entlang parteipolitischen Linien entschloss sich die ältere Mehrheit, die jüngere Minderheit als Zwangsarbeiter für Caritas und Co zu verpflichten. Dass es nun, drei Monate nachdem das Volk sein Wort gesagt hat, von einem Reformkonzept noch immer keine Spur gibt und die verfassungsrechtlichen Bedenken sich nur verdichten (warum sollen nur Männer als Zwangsarbeiter im Sozialbereich eingesetzt werden?), scheint niemanden zu stören: Das Thema ist vom Tisch, die Diskussion ist beendet.
Es gibt aber Hoffnung
Oder vielleicht doch nicht. Glücklicherweise hat die Republik Österreich mit der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention im Jahr 1958 und dem EU-Beitritt 37 Jahre danach, dem einheimischen Hang zur politischen und juristischen Willkür Grenzen gesetzt. Nur deshalb wurden die Zeugen Jehovas, nach einem für die Republik beschämenden 30-jährigen Kampf, im Jahr 2009 gesetzlich anerkannt. Und nur deshalb werden demnächst homosexuelle Paare, zumindest was die Adoption von Stiefkindern anbelangt, nicht mehr diskriminiert werden.
Volksbegehren hin oder her – es wird kommen, wie es kommen muss: Gegen den Zwang, Kreuze in öffentlichen Kindergärten anzubringen, liegt dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits eine Beschwerde vor und der erste Zwangszivildiener wird mit Sicherheit früher oder später gegen seine Diskriminierung klagen. Homosexuelle Paare werden in absehbarer Zeit auch standesamtlich heiraten können und genauso, wenn auch nicht so bald, wird die Privilegierung bestimmter Weltanschauungen enden.
Daran werden keine Volksbegehren, Volksbefragungen, Anlassverfassungsbestimmungen oder Zirkelschlussargumente des Verfassungsgerichtshofs etwas ändern können. Zumindest nicht, solange wir vom Fortbestand des demokratischen Rechtsstaats ausgehen.