Prof. Luy beendet seine Dissertation mit den Worten: „Infolgedessen sollte sie [die schmerzfreie! Tiertötung] eigentlich weder gefördert noch verboten werden. Es scheint indirekt jedoch trotzdem geboten zu sein, die Legalität der Tiertötung vom Vorhandensein eines ‘vernünftigen Grundes’ abhängig zu machen.“
Warum können uns die Mäuse nicht einfach mitteilen, wie sie behandelt werden möchten! Oder anders: Warum haben wir es immer noch nicht geschafft, ihnen zuzuhören? Im Falle der großen Menschenaffen gab es ja schon ein paar erstaunliche Fortschritte auf dem Gebiet der Mensch-Tier-Kommunikation. (So kann sich der Bonobo-Schimpanse Kanzi mittels einer Symboltastatur sinnvoll mitteilen und englische Sprache begrenzt verstehen. Die Schimpansin Washoe† und der Gorilla Koko können einige Gebärdensprachensymbole verstehen und selber formulieren.)
Interessanterweise galten in der Kulturgeschichte der Menschheit taube Menschen auch lange als minderbemittelt, bis man endlich eine Form der Kommunikation über Zeichensprache gefunden hatte.(7) Aber kann man Schmerzbewusstsein überhaupt direkt nachweisen? Wir können ja nur indirekte Schlussfolgerungen aus dem Verhalten und der Physiologie schließen …
Fazit
Wie man es dreht und wendet: Am Ende bleibe ich eine abschließende und konkrete Meinung wohl doch schuldig. Das Thema wird mich weiterhin wurmen.
Um aber in einer Gesellschaft von Forschern und Tierschützern mit gemeinsamen und gegenteiligen Interessen Beschlüsse zu entscheiden, was „vernünftige Gründe“ sind, muss die Debatte unbedingt auf der Basis relevanter Argumente sachlich, fair und mit klar definierten Begriffen geführt werden. Forscher sollten sich nicht allein auf ihr uneingeschränktes Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit berufen, denn das steht immer noch unter ethischen Richtlinien. Sie sollten bei der Planung von Tierversuchen auch weniger ihre persönliche Karriere, als vielmehr dessen wissenschaftlichen Wert utilitaristisch gegen das womöglich entstehende Leid abwägen. Dazu sollten sie auch in Ethikkursen ausgebildet werden, die leider immer noch kein Pflichtfach in den Biowissenschaften sind.
Tierschützer sollten konkreter benennen, was sie meinen, wenn sie von „Vivisektion“ oder dem „sinnlosen Töten eines Hühnerembryos“ dem „Recht auf Leben“ reden oder dem viel zitierten Lebensmotto von Albert Schweizer über „Leben, das leben will inmitten von Leben, das leben will“. Leben tun nämlich auch Weizen und Bakterien und die schützt auch keiner (außer vor Genmanipulation). Auch wenig hilfreiche religiöse Begriffe wie die oft proklamierte „Bewahrung der Schöpfung“ sollten endlich aus der Debatte verschwinden. Die Meinung der verschiedenen vermeintlichen „Schöpfer“ gehen beim Thema Tierschutz nämlich auch sehr auseinander. Das Thema sollte daher auch kein Gebiet der Moraltheologie sein, es sollten stattdessen weitere Lehrstühle für Tierethik eingerichtet werden.
Außerdem müssten Tierversuchsgegner verstehen, dass man nicht alle Versuche, die der Erforschung des Lebens dienen, mit Zellkulturen oder Rinderaugen ersetzen kann.
Adriana Schatton
Fotos:
Dr. Liebsch / Tierschutzverein für Berlin
Great Ape Project / Jutta Hof
Anmerkungen
(1) Eisemann et al. 1984 „Do insects feel pain?”, Cellular and Molecular Life Sciences 40: 1420-1423.
(2) Die Zahlen stammen aus dem Tätigkeitsbericht 2012 des Tierschutzbeauftragten
(3) Als Beispiel: MP Lenhardt „cDNA-microarrayanalyse zur Genregulation in der Kornea von TGF -β1 transgenen Mäusen“ (2011)
(4) Pierre Le Neindre, Raphaël Guatteo, Daniel Guémené, Jean-Luc Guichet, Karine Latouche, Christine Leterrier, Olivier Levionnois, Pierre Mormède, Armelle Prunier, Alain Serrie, Jacques Servière (editors), 2009.
AnimalPain: identifying, understanding and minimising pain in farm animals. Multidisciplinary scientific assessment, Summary of the expert report, INRA (France), 98 Seiten
(5) Björn Brembs „Operant conditioning in invertebrates“ (2003)
(6) In Analogie zu Thomas Nagels berühmten epistemologischen Aufsatz „What Is it Like to Be a Bat?“ in: The Philosophical Review 1974.
(7) “Since deaf were not able to speak intelligibly, they were not seen as humans that received Gods spirit, rather than people closer to animals or machines as Bernard Le Bovier de Fontenelle wrote in 1703." (p.414)
Presneau, J.-R. (1993). The Scholars, the Deaf and the Language of Signs in France in the 18th Century. In R. Fischer & L. Harlan (Eds.), Looking Back. A Reader on the History of Deaf Communities and their Sign Languages (Vol. 1703, pp. 413 – 421). Hamburg: Signum Verlag.