(hpd) In der säkularen Szene ist seit einiger Zeit ein stark durch die Evolutionsbiologie geprägtes Menschenbild en vogue, und mitunter wird dabei die Grenze zum Biologismus überschritten. Das verdient einen kritischen Blick, denn eine solche Anthropologie ist stark verkürzt und wird dem Menschen nicht gerecht.
Zunächst tut eine Definition von „Biologismus“ Not, denn oft fungiert der Begriff als nicht näher bestimmtes Negativ-Etikett, das auf alles geklebt wird, was menschliches Verhalten irgendwie mit „Evolution“ oder „Genen“ in Verbindung bringt. Eine gute Definition hat Michael Schmidt-Salomon vorgelegt: „Der Begriff 'theoretischer Biologismus' kennzeichnet jene Weltdeutungsmuster, die menschliche Verhaltensweisen oder gesellschaftliche Zusammenhänge wesentlich über biologische Gesetzmäßigkeiten zu erklären versuchen, ohne dabei die Besonderheiten der menschlichen Spezies (insbesondere die Bedeutung kultureller Faktoren) in angemessener Weise zu berücksichtigen.“ (1)
Schmidt-Salomon unterscheidet diesen „theoretischen“ vom „normativen“ Biologismus. Der normative Biologismus – die Ableitung einer Moral aus der Biologie – ist definitiv die gefährlichere Variante, tritt aber in der säkularen Szene eher selten auf. Wenn in Folgenden von „Biologismus“ die Rede ist, ist das oben genannte Denkmuster gemeint – allerdings sind Schmidt-Salomon und ich offenbar unterschiedlicher Meinung darüber, was es genau bedeutet, „die Besonderheiten der menschlichen Spezies in angemessener Weise zu berücksichtigen.“
Sado-Maso und rosa Kleidchen
Die auffälligste Ausprägung findet der Biologismus derzeit in der „Evolutionären Psychologie“. Diese führt menschliches Verhalten im Wesentlichen auf genetisch fixierte Programme zurück, die sich in der Steinzeit als vorteilhaft erwiesen und daher in der Evolution durchgesetzt hätten. Kaum eine menschliche Verhaltensweise bleibt von solchen Erklärungsversuchen verschont, evolutionspsychologisch argumentierende Autoren haben für so unterschiedliche Phänomene wie Selbstmordattentate, Sadomasochismus und die Vorliebe junger Mädchen für die Farbe rosa „Erklärungen“ parat. Diese Erklärungen werden gerne als wissenschaftlich bezeichnet, was verschleiert, dass es sich in vielen Fällen um Gedankenspiele handelt, die empirisch nicht überprüfbar sind.
Genetische Erklärungsmuster sollen hier nicht grundsätzlich als biologistisch gebrandmarkt werden. Hypothesen sind an sich nicht biologistisch – sie sind entweder richtig oder falsch und sollten vorbehaltlos untersucht werden. Biologistisch ist an der Vorgehensweise der Evolutionären Psychologie, dass mögliche nicht-biologische alternative Erklärungen in der Regel gar nicht in Betracht gezogen werden. Ihre Protagonisten gehen vor allem von zwei Vorannahmen aus: Verhalten hat eine genetische Basis und stellt außerdem eine Anpassung dar. Nun muss nur noch ein Szenario gefunden werden, das die Verhaltensweise als evolutionär vorteilhaft erscheinen lässt – fertig ist die „Erklärung“.
Tales from the Stone Age
Der Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould hat diese Art von nicht empirisch prüfbaren Szenarien als „Just-so-Stories“ kritisiert. Mit genügend Phantasie lässt sich für jede nur denkbare menschliche Verhaltensweise ein Grund finden, weshalb sie in der Steinzeit von Vorteil gewesen sein könnte – und Biologisten legen eine außerordentliche Phantasie an den Tag. Zu den skurrilsten Blüten der Evo-Psychologie gehört sicher das bereits erwähnte Beispiel der Vorliebe von Mädchen für die Farbe rosa. Die wird dadurch erklärt, dass das weibliche Gehirn darauf programmiert sei, Früchte zu finden, und diese hätten nun einmal meist eine rötliche Farbe. Nicht minder bizarr ist Edward O. Wilsons Versuch, die Popularität der Gemälde Piet Mondrians zu erklären: Diese erinnerten an den Blick durch Baumkronen auf den Himmel und damit an Landschaften, die unserer Natur als Jäger und Sammler entsprächen.
Nicht alle „Just-so-Stories“ sind so absurd, häufig sind sie durchaus plausibel. Problematisch sind aber die oft dürftige empirische Basis sowie die Vorannahmen, von denen die Autoren ausgehen. Denn die Frage nach dem genetischen Anteil am Verhalten ist häufig ungeklärt – evolutionspsychologische Erklärungen ergeben aber nur Sinn, wenn man von einem großen Einfluss der Genetik ausgeht. Und auch das Dogma, jedes Merkmal eines Lebewesens sei notwendigerweise eine Anpassung, ist evolutionsbiologisch nicht haltbar. (2) Die Annahme der Evo-Psychologen, der Geist des Menschen sei aus „Modulen“ – spezialisierten Programmen – zusammengesetzt, wird von der modernen Hirnforschung in Frage gestellt.
Popper war kein Putzmittel
Auch tendiert die Evo-Psychologie dazu, Hypothesen zu produzieren, die schlicht nicht widerlegbar sind. Ein schönes Beispiel dafür findet sich bei dem der säkularen Szene nahe stehenden Autoren Bas Kast. Kast versucht, den Fall von Joseph Fritzl, der seine Tochter jahrelang als Sexsklavin im Keller einsperrte, evolutionspsychologisch zu deuten: „Da die Tochter bereits die Hälfte seiner Gene in sich trägt, sind alle Kinder, die Fritzl ihr abnötigte, zu 75 Prozent mit seinem Erbgut identisch. Hätte Fritzl auch seiner Enkelin K. ein Kind aufgezwungen , […] es wäre zu 87,5 Prozent sein Klon gewesen. Fast könnte man meinen, Fritzl hätte einen bis in den Wahnsinn getriebenen Genegoismus mit Methodik verfolgt.“
Das lässt aufhorchen, erklären Evolutionspsychologen doch auch das Inzestverbot mit dem „Egoismus der Gene“. Ob Inzestverbot oder Inzest, ob die Vorliebe für junge Frauen oder alte, ob Mitgefühl oder psychopathische Gefühlskälte: Die Evolution scheint für einfach alles eine Erklärung bereit zu halten. Eine Hypothese aber, die restlos alles erklärt und an einer kritischen Prüfung gar nicht scheitern kann, ist nach Karl Popper wissenschaftlich wertlos. Es wäre dringend angebracht, auch die Evolutionspsychologie mit Poppers kritischen Augen zu betrachten.
Der Text von Kast ist geradezu ein Musterbeispiel für die Evo-Psychologie und ihre Schwächen. Kast versucht, die Besonderheiten von Fritzls Verhalten zu erklären, und führt dafür angeblich universelle Eigenschaften der menschlichen Natur an – ein Vorhaben, das nur scheitern kann. Dazu setzt er wie viele seiner Kollegen auf den publicity- und provokationsträchtigen Effekt von Sex & Violence.
Kritik und Abwehr
Kritiker der Evolutionspsychologie sehen sich dann auch meist mit dem Vorwurf der „Political Correctness“ konfrontiert. Nicht ganz zu Unrecht, denn ein Teil der Kritiker ist tatsächlich politisch motiviert. Vielfach wird den Evolutionspsychologen vorgeworfen, Sexismus und Rassismus zu rechtfertigen, die Angriffe reichen bis zum Vorwurf, „faschistoid“ zu sein. In den meisten Fällen sind diese Vorwürfe unberechtigt, denn für gewöhnlich vermeiden es Evo-Psychologen, aus ihren Thesen ethische oder politische Konsequenzen abzuleiten.
Bei der Abwehr dieser unfairen Vorwürfe gerät aber eines aus dem Blick: Dass es auch sachlich begründete Kritik geben könnte. In Reaktion auf die moralistische Kritik haben die Biologisten sich eine Verteidigungsstrategie zurecht gelegt, die in Kritikern immer nur naive Gutmenschen sieht, die die Realität nicht wahr haben möchten – und die man daher auch nicht ernst nehmen muss. In dieser Atmosphäre ist eine vernünftige Diskussion über Wert und Grenzen der Evolutionären Psychologie kaum möglich. Nur wenige Wissenschaftler sind so undogmatisch, dass sie evolutionspsychologische Erklärungen grundsätzlich in Betracht ziehen, aber auch ihre Grenzen und Schwächen kritisieren. Einen solchen beachtenswerten „Mittelweg“ schlagen etwa der Philosoph Christian Illies (3) und der Ethnologe Christoph Antweiler (4) ein.