(hpd) Der Alibri-Verlag hat jetzt in Buchform drei Gespräche herausgebracht, die der in Marokko geborene Geisteswissenschaftler Rachid Boutayeb und der deutsche Literat Michael Roes bereits im Jahre 2010 geführt haben. Ein Zitat aus biblischen Texten gibt den Einstieg in diesen Dialog.
"Du darfst dich nicht vor einem anderen Gott niederwerfen. Denn Jahwe trägt den Namen 'Der Eifersüchtige': 'Ein eifersüchtiger Gott ist er!'" So heißt es in Ex 34,14.
Und das hier Gesagte gilt nicht nicht nur für den Gott der Juden, sondern auch für den Gott der Christen und den Gott der Muslime, also für alle drei monotheistischen Religionen gleichermaßen.
Der äußerst religionskritische und dennoch tiefgläubige Muslim Boutayeb konstatiert im ersten Gesprächsteil "Der eifersüchtige Gott": "Eine monotheistische Religion ist eine eifersüchtige Religion, sie duldet keine anderen Religionen und legitimiert das Töten der Andersgläubigen. Das Töten ist eine Form des Gebets im Monotheismus, trotz seiner Rhetorik der Liebe..." (S. 11)
Angesichts der hierzulande grassierenden und zumeist von Unkenntnis geprägten Islam-Kritik ist Boutayeb zu danken, daß er sich in seinen Ausführungen nicht auf eine Einengung auf nur eine Religion einläßt, sondern sich auf alle monotheistischen Religionen bezieht.
Ja, er geht sogar noch weiter und gibt folgendes zu bedenken: "Man kann heute behaupten, daß der Monotheismus – nicht nur in seiner sakralen Form, sondern auch in seiner säkularen Form, wie dem Amerikanismus und dem immerwährenden Versuch, die Welt zu verwestlichen und zu missionieren – die Krankheit unseres Zeitalters ist." (S. 12) Dieser Schlußfolgerung muß man nicht folgen, dennoch dürfte sie in vielem zutreffend sein. Denn die marktradikalen Missionare des "American Way Of Life" predigen ja weltweit, daß dieser die einzig richtige Produktionsweise und die einzig mögliche Lebensweise sei...
Allerdings dürften Boutayebs Schlußfolgerungen, was das Religiöse an sich angeht, eher auf begründete Zweifel stoßen. Für ihn besteht der Ausweg aus dem Dilemma der drei "alleinseligmachenden" Religionen im Polytheismus, denn angeblich seien "polytheistische Götter ihrer Natur nach tolerant". (S. 12)
Und genau das ruft Roes' Widerspruch hervor. Für ihn sind alle Religionen gleichermaßen von Übel, wenngleich er nicht leugnet, daß alle Religionen als Teil von Kultur einst eine nicht unbedeutende Rolle bei der Entwicklung des Menschen als soziales Wesen gespielt haben. Er kann Boutayebs Kritikpunkte nachvollziehen, fragt aber (nicht nur seinen konkreten Gesprächspartner):
"Warum also dieses letzte Zurückschrecken vor einer gottbefreiten, gottfreien Welt? Befürchtest du, daß mit dem Tod der Götter auch alle Rituale sterben, die immerhin ein Mindestmaß an sozialer Ordnung gewährleisten?" (S. 28) – Rituale, die allesamt Menschenwerk sind... Roes ist zuzustimmen, wenn er abschließend meint, daß es ausschließlich im (materiellen) Interesse von Priesterkasten liegt, Religionen am Leben zu erhalten (er nennt das durchaus richtig "Herrschaftsinstrument" über Mensch und Gesellschaft). Etwas anderes ist für Roes das persönliche, individuelle Bedürfnis von Menschen nach Religiosität und Spiritualität.
Von besonderem Interesse dürfte aus Sicht des Rezensenten das zweite Gespräch über Verständnisgrenzen unter der Überschrift "Über Setzungen" sein. Roes gibt hierzu den Einstieg mit den Worten: "Womöglich hat diese Grenze mit unseren muttersprachlichen Hintergründen und den Untiefen der Übersetzbarkeit zu tun (…) wie unsere unterschiedlichen Sprachen unterschiedliche Kommunikations- und Sozialsystem, ja unterschiedliche Denk- und Wahrnehmungsweisen evozieren." (S. 35)
Und was bereits für die beiden debattierenden Akademiker ein gewisses Problem darstellt, das ist für den west- und mitteleuropäischen "Otto Normalverbraucher", ja und erst recht für den US-amerikanischen, ein enormes Problem. Das gilt nicht minder für den Mann auf dem arabischen Basar, gar den politisch-islamistischen Dschihadisten...
Gerade dieses Kapitel sollte besonders eingehend gelesen werden! Warum? Das soll ein etwas längeres Zitat aus der Feder von Michael Roes verdeutlichen:
"Am eindringlichsten lassen sich die Schwierigkeiten des Übersetzens an der rhetorischen Figur der Ironie aufzeigen: Den meisten Sprachen (…) ist wohl die uneigentliche, ironische Redeweise als rhetorisches Mittel bekannt. Aber ihr Verständnis setzt absolute Vertrautheit mit dem sozialen und gestischen Kontext voraus. Gibt es in der arabischen Sprache überhaupt einen vergleichbaren Ironie-Begriff? Ich finde im Wörterbuch nur das Wort 'tahaktum', was aber eher 'Spott' oder 'Hohn' bedeutet und den abendländischen Ironie-Begriff nicht wirklich trifft. (…) Nicht jede Kultur teilt die positive Bewertung einer distanzierten Haltung zur Sprache und zur Welt, vor allem nicht jene Sprachen, die zugleich religiöse Offenbarungssprachen (…) sind. (…) Ist Ironie, sind Sprachspiele überhaupt übersetzbar? Verstehen wir Worte wie 'Gott', 'Ehre', 'Scham' oder 'Freiheit' bereits, wenn wir die entsprechenden Übersetzungen gefunden zu haben glauben?" (S. 37/38)
Diese Überlegungen sollte ein jeder von uns im Hinterkopf haben, wenn es um Debatten über Mohammed-Karikaturen oder türkische "Parallelwelten" in bundesdeutschen Städten geht.
Schließlich wenden sich Boutayeb und Roes einem immer noch sehr aktuellen Thema zu: "Über Beschneidung – Traum undTrauma".
Hier reflektiert Boutayeb zunächst seine eigenen traumatischen Erlebnisse aus Kindheitstagen, als er selbst beschnitten werden sollte.
Einig sind sich beide Diskutanten darin, daß diese körperliche Verstümmelung auch etwas mit Beschneidung des Geistes zu tun habe. Und daß es sich um einen lustfeindlichen Akt handele, weil alle monotheistischen mehr oder weniger körper- und lustfeindlich seien.
Roes schreibt: "In gewisser Hinsicht erscheint mir der Soldat als die Reinform des beschnittenen Sohnes. (…) Ein 'richtiger' Mann ist nach wie vor ein kranker Mann: ein gehorsamer, amoklaufender Krieger, ein über sich hinauswachsender, sich vergewaltigender, ein furchtloser, selbstmordgefährdeter Held." [Er bezieht sich hier auf den Soldaten ganz allgemein, egal welchen Glaubens; SRK] Und Boutayeb ergänzt: "... und ein Selbstmordattentäter oder ein Märtyrer. Märtyrer ist nur ein anderer Name für den Mörder." (S. 58/59)
Keine Übereinstimmung gibt es dagegen in der Frage der Religion an sich. Während für den Marokkaner Religion "unabänderlicher Teil unseres Selbst" ist, ist für den Deutschen Religion lediglich "Teil unseres kulturellen Erbes". Und Religionen könnten auch nicht durch "humanistische Reformierungsversuche" gerettet werden, wie es auch "per definitionem keine 'humane' Religion geben kann." (S. 62/63)
Für den Marokkaner sind Aufklärung, Vernunft, Laizismus eigentlich neue Religionen, die in Frage zu stellen sind. Roes ist daher zustimmen, wenn er schreibt, daß er nicht über theologische Spitzfindigkeiten diskutieren möchte, sondern über die unheilvolle Verquickung von Politik und Religion, egal wo.
Denn, so Michael Roes, "die Grenzlinie unseres Verständigungsversuches verläuft offenbar entlang deiner apodiktischen Behauptung, der Mensch habe die Aufgabe, den religiösen Text immer wieder neu zu interpretieren. Wer stellt uns diese Aufgabe? Für mich sind auch 'Heilige' Schriften literarische Texte von Menschenhand. Niemand zwingt mich, sie zu studieren oder gar mein Leben an ihnen auszurichten. Und nur darum geht es: Niemand soll das Recht haben, mich dazu zu zwingen!" (S. 72/73)
Roes weiter: "In den Religionen steht die Wahrheit am Anfang, sie ist offenbart und nicht verhandelbar. In Wirklichkeit aber, so unser aller Lebenserfahrung, steht die Wahrheit, wenn überhaupt am Ende, am Ende eines lebenslangen Forschungs- und Reflexionsprozesses. Wo sie sich bereits fertig enthüllt, ist sie Dogma." (S. 84) – Dem ist nichts hinzuzufügen.
Auch wenn dieses Büchlein keine leichte Lektüre darstellt, so sollte es doch von möglichst vielen Menschen aufmerksam gelesen werden. Es ist eine gute Handreichung für interkulturelle (was richtiger und wichtiger ist als interreligiöse) Dialoge mit Menschen aus anderen Kulturkreisen.
Siegfried R. Krebs
Rachid Boutayeb und Michael Roes: Der eifersüchtige Gott. Ein Gespräch. 92 S. kart. Alibri-Verlag. Aschaffenburg 2013. 9 Euro. ISBN 978-3-86569-165-1
Das Buch ist auch im Denkladen verfügbar.