„Kalte" Wissenschaft und „tröstender" Glaube?

Über die Aufgaben einer humanistischen Philosophie.

Nach Umfragen halten in den USA 40 % der Befragten die Evolutionslehre für „bestimmt"

oder „wahrscheinlich" falsch, weitere 24 % sind sich nicht sicher. In Deutschland haben zum Vergleich „nur" 21 % der Befragten Bedenken gegen Darwins Lehre.

Diese Daten stammen aus dem neuen Buch des Journalisten Christopher Schrader, "Darwins Werk und Gottes Beitrag", in dem dieser sich kritisch mit dem Einfluss von Kreationisten und Anhängern der „Intelligent-Design-Theorie" beschäftigt. Solche Zahlen lassen sich nun nicht einfach abtun. Sie beweisen einfach, dass die Evolutionsgegner einen großen Einfluss haben, und dies nicht nur in den USA. (Einem Bericht von „Spiegel online" zufolge glaubt beispielsweise in Großbritannien nicht einmal jeder zweite an die Richtigkeit der Evolutionstheorie.)

Dabei sind es bei Weitem nicht nur unwissende und auf diesem Gebiet ungebildete Menschen, die der Auffassung des Intelligent Design (ID) anhängen und die sich für deren Verbreitung einsetzen. Im Gegenteil: Das intellektuelle Zentrum der ID-Theorie z.B., das „Discovery-Institut" in Seattle, wurde von prominenten Natur- und Geisteswissenschaftlern gegründet. Ein wesentliches Ziel dieses Institutes ist es, sich auf gleiche Stufe wie die Wissenschaft zu stellen, und so letztlich den Unterschied zwischen Glauben und Wissen, d.h. zwischen auf realistischen Daten gründenden Theorien und reinen Spekulationen, aufzuheben.

Christopher Schrader beschreibt eine zentrale Taktik der ID-Anhänger so: „Die Evolutionslehre soll als lückenhaft erscheinen, weil die Wissenschaft womöglich niemals alle Details des Prozesses aufklären kann, der zum Menschen in seiner jetzigen Gestalt geführt hat. Allein dieser Mangel soll dann die „alternative Theorie" plausibel und gültig erscheinen lassen, wie dünn diese nach wissenschaftlichen Kriterien auch immer sei." Auch wenn es wissenschaftlich gesehen müßig wäre, sich mit den Taktiken und Argumenten der Kreationisten und ID-Anhänger direkt auseinanderzusetzen, so sei es wichtig zu wissen, wie diese Weltanschauung aufgebaut ist, denn es sei „unrealistisch" anzunehmen, so Schrader, die Evolutionsgegner würden einfach verschwinden, wenn man sie ignoriere.

Es stellt sich tatsächlich die Frage: Warum so viele aufgeklärte Menschen, entgegen vernünftiger Argumente bereit sind, im Glauben zu verharren? Denn so wenig rational nachvollziehbar der Glaube an einen Gott bzw. einen „intelligenten Schöpfer" dem erscheinen mag, den einzig die Frage nach der rationalen Wahrheit umtreibt und für den einzig wissenschaftlich nachweisbare Erkenntnisse die Realität beschreiben können, so real und verbreitet ist doch die Bereitschaft des größeren Teiles der Menschen gerade zu dieser Irrationalität.

Es gibt Gründe hierfür und es ist in jedem Fall sicherlich konstruktiver, sich mit diesen Gründen ernsthaft auseinander zu setzten, als Menschen, die bekennen, Trost im Glauben an Gott zu finden, anzugreifen oder gar zu beleidigen (wie dies etwa Richard Dawkins tat, der sich z.B. - nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 9.3.07 - dazu hinreißen ließ, den Komiker Peter Kay für sein Bekenntnis, Trost im Glauben an einen religiösen Gott zu finden, angriff und der eine Angestellte der British Airways sogar öffentlich beleidigte, weil sie ihr Kreuz bei der Arbeit nicht ablegen wollte.)

Ein Grund für die Empfänglichkeit vieler Menschen für irrationale und pseudowissenschaftliche Weltanschauungen liegt, nach Schrader, in der Unwissenheit und Unaufgeklärtheit vieler Menschen darüber, wie die Wissenschaft vorgeht und was sie leisten kann. So stoßen die ID-Anhänger möglicherweise deshalb häufig auf offene Ohren, weil sich viele bzw. vielleicht sogar die meisten Menschen nicht im Klaren darüber sind, dass auch die Erkenntnisse der Wissenschaften kein Absolutum sind, sondern vorläufig und modifizierbar. Was für den Forscher eine Theorie sei, d.h. „eine Formulierung des Wissens, die alle bekannten Fakten elegant zusammenfasst, Vorhersagen erlaubt und so lange gültig bleibt, bis neue experimentelle Fakten sie widerlegen", wäre - so Schrader - für den Laien kaum mehr als eine reine Spekulation, der man besser nicht viel Vertrauen entgegenbringe.
Der entscheidende Unterschied, der zwischen einer reinen Glaubensannahme und einer Annahme besteht, die auf wissenschaftlich begründeten Erkenntnissen beruht, ist vielen einfach nicht klar.
Vielleicht liegt ein Teil der Verantwortung für dieses Missverständnis auch bei den Wissenschaften selbst. Denn auch wenn, wie Schrader schreibt, der Begriff „Wahrheit" in der Wissenschaft verpönt sei und Forscher gelernt hätten, ihre Erkenntnisse für vorläufig zu halten, so würden solche Erkenntnisse gegenüber Laien (und dies vor allem letztendlich auch in der Schule) häufig allzu schnell wie unbezweifelbare Wahrheiten behandelt und dargestellt. Vielen ist z.B. nicht klar, dass noch niemand tatsächlich je ein Atom oder etwa die Erde von innen gesehen hat, dass also all die Bilder, die in Büchern aufgeführt werden, nur Vorstellungen wiedergeben, die möglicherweise kaum etwas mit der Realität zu tun haben.

Dem Verlangen der Menschen nach unfehlbaren „Wahrheiten" wird damit zwar entgegen gekommen, wenn diese „Wahrheiten" dann allerdings auf Grund neuer Erkenntnisse modifiziert oder gar aufgegeben werden müssen, so verunsichert das die Menschen. Der Unterschied zwischen Glauben und Wissen verwischt damit für viele und Religionen, Kreationisten, ID-Anhänger und sonstige Parawissenschaften haben leichtes Spiel, wenn sie den Anschein erwecken, sie stünden auf gleicher Stufe mit der Wissenschaft.

Ein offenerer und ehrlicherer Umgang mit der Tatsache, dass wissenschaftliche Erkenntnisse sich ändern bzw. einfach auch falsch sein können, ohne dass hierdurch die wissenschaftliche Methode als solche oder gar die Ernsthaftigkeit der Wissenschaft in Frage zu stellen wären, wäre hier vielleicht hilfreich.

Ein weiterer Grund für die Macht der Kreationisten und ID-Anhänger liegt wohl in der Sehnsucht der Menschen, der vermeidlichen „Gleichgültigkeit" und „Grausamkeit" der Natur, die auch von Wissenschaftlern häufig unterstellt wird, etwas Besseres und Tröstlicheres entgegen halten zu können.
Ein Reporter der Washington Post hat, berichtet Schrader, Fragen aufgezeichnet, die diese Unsicherheit vieler Menschen widerspiegeln. So z.B. die einer Studentin, die fragt: „Woher soll denn ein moralisches Grundkorsett kommen, wenn die Evolutionslehre den Glauben zerstört, der Mensch sei im Ebenbild Gottes geschaffen - und müsse seine Taten vor dessen jüngsten Gericht rechtfertigen?"
Dieser Reporter hat mit seinen Aufzeichnungen die Sehnsucht der Menschen erfasst, in einem Universum leben zu können, dessen ultimative Triebfeder Liebe sei - und nicht in einer Welt, die Lebewesen aufgrund von Zufällen zerstöre, in der also Grausamkeit herrscht.

Wenn - so Schrader - demgegenüber der Nobelpreisträger für Medizin, David Baltimor, erklärt, die Wissenschaft präsentiere einen Blick auf die Welt, „der kompliziert und wenig ethisch verankert sei" oder wenn der Historiker Owen Gingrich äußert: „Wissenschaft bietet einem nur einen sehr kalten Trost in Zeiten von Tod oder Krankheit", dann wird deutlich, dass es im Grunde nicht um einen wissenschaftlichen Disput geht.

Selbst der große Religionskritiker Richard Dawkins bestätigt: „Das Maß an Leiden, das auf die natürliche Selektion zurückgeht, ist jenseits aller Vorstellungskraft".
Dawkins mahnt daher, einzig die Menschen könnten sich gegen die mechanische Gleichgültigkeit der Natur auflehnen. Im Weiteren stellt er fest: „Ich bin ein leidenschaftlicher Darwinist, wo es darum geht, zu erklären, wie die Dinge zusammenhängen, aber ich bin ein noch leidenschaftlicherer Anti-Darwinist, wenn es um die Politik geht. Lasst uns den Darwinismus verstehen, damit wir in die andere Richtung gehen können, wenn er eine Gesellschaft aufbauen will."

Es ist allerdings die Frage, ob das wirklich so ist? Sind die Prinzipien, die sich aus der Natur ableiten lassen, tatsächlich so grausam und kalt? Darwins Lehre zu folgen bedeute, wie Christopher Schrader erklärt, für Dawkins nicht den Verzicht auf ethische Prinzipien. Die Frage ist nur: Woher kommen diese? Wer davon ausgeht, dass der „gleichgültigen" bzw. „grausamen" Natur und ihren Prinzipien, menschliche Vernunft, Erkenntnis und schließlich hehre soziale und moralische Prinzipien entgegen gehalten werden müssen, muss so fragen. Und da er keine wirklich tragfähige Alternative hat, landet er in letzter Konsequenz entweder tatsächlich wieder bei der Religion oder aber bei Dualisten, wie Kant, und dessen Vorstellung von einer transzendentalen Vernunft, als „Bollwerk" gegen die Natur.

Tatsächlich ist die oben zitierte Äußerung von Dawkins aber inkonsequent. Sie beinhaltet genau den Dualismus zwischen Natur und Mensch, den der Humanismus doch aufheben will. Wenn die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Natur – und zu diesen zählt auch die Evolutionslehre – die für den Aufbau einer humanen Gesellschaft notwendigen Prinzipien nicht befriedigend erklären können, darf das auf Dauer nicht einfach hingenommen werden. Vielmehr sollte dies irgendwann als Beleg dafür verstanden werden, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Natur so noch nicht ausreichen und es weiter zu forschen gilt. Denn wer sein Denken einerseits konsequent frei von religiösen Vorstellungen hält, um es andererseits einzig auf wissenschaftlich begründbaren Erkenntnissen gründen zu können, der muss in letzter Konsequenz dann auch davon ausgehen, dass Phänomene wie Liebe, Mitgefühl, Dankbarkeit und Freundschaft sich ebenso aus der Natur ableiten lassen müssen, wie die Fähigkeiten, Gefühle und Werte, die unser soziales Leben überhaupt erst möglich machen.

Wer die Natur als „kalt", „grausam" oder „gleichgültig" beschreibt, personifiziert die Natur einerseits auf unzulässige Weise und spielt andererseits den Kirchen zu, die dieser „menschenfeindlichen" Natur ihren vermeidlich gütigen Gott entgegenhalten. Die Natur als „grausam", „gleichgültig" oder „kalt" zu beschreiben, ist ebenso unangebracht, wie sie als „gütig" zu bezeichnen. Deutet man die Welt rein säkular und wissenschaftlich, dann müssen jedoch sowohl „Grausamkeit" als auch „Güte" ihren Ursprung in den Gesetzmäßigkeiten der Natur haben. Diese Gesetzmäßigkeiten zu erkennen ist Aufgabe der Wissenschaften, sie auf geistiger Ebene zu begreifen und einzuordnen, die der Philosophie. Die geistige Ebene, auf der die Menschen Trost suchen einfach zu ignorieren, ändert nichts an ihrer Existenz - und verpasst bloß die Chance, sie auszufüllen.

Die Aufgabe einer humanistischen Philosophie sollte es daher sein, den Menschen als Teil der Natur begreifbar zu machen, und genau dann dies als etwas Positives und Vertrauen Erweckendes erkennbar zu machen, um so die emotionalen und geistigen Ebenen, auf der die Menschen Trost suchen, rational auszufüllen - und auf diese Weise der Okkupation dieser Ebenen durch die Religionen entgegenwirken zu können.

Es gibt rational keinen prinzipiellen Grund, warum eine humanistische Philosophie, die auf einem rein naturalistischen Denken gründet, solch eine Ebene nicht ausfüllen können sollte. Der Glaube an einen Gott muss keineswegs tröstlicher sein als das Wissen um die Gesetzmäßigkeiten der Natur.

Das Gefühl Teil der Natur und damit in ihr „aufgehoben" zu sein, könnte im Gegenteil das sein, was die größte existentielle Sicherheit zu verleihen vermag.

 

Anna Ignatius

 

Christopher Schrader „Darwins Werk und Gottes Beitrag. Evolutionstheorie und Intelligent Design." Stuttgart: Kreuz-Verlag, 2007. 137 Seitzen. ISBN-13: 978-3783128253. 12,95 Euro.