Schwerpunktheft über Denis Diderot

NÜRNBERG. (hpd) Ein Sonderheft der Zeitschrift „Aufklärung und Kritik“ erscheint anlässlich des 300. Geburtstags von Denis Diderot. Mit ihm soll der Versuch unternommen werden, die Bedeutung des französischen Aufklärers für die Geistesgeschichte, die Wissenschaften und vor allem die Philosophie bis heute zu würdigen – oder vorsichtiger und wohl auch angemessener formuliert, einen bescheidenen Beitrag zur Würdigung Diderots zu leisten.

Denn es kann nur ein Teil seines Schaffens im Rahmen dieses Sonderheftes thematisiert werden, auch wenn intendiert ist, einen größeren Ausschnitt der Tätigkeiten von Diderot zu berücksichtigen. Dies sollte der Aufbau und Inhalt des Sonderheftes widerspiegeln, das sich um einen „flächendeckenden Charakter“ bemüht – was angesichts der Breite von Diderots Schaffen und seinen vielfältigen Interessen allerdings ein mehr als schwieriges Unterfangen darstellt.

Zum Aufbau und Inhalt des Heftes: Das Heft beginnt mit dem ausführlichen Einleitungsteil von Werner Raupp: „Denis Diderot – ‚ein einzig Individuum‘. Ein Streifzug durch Leben und Werk des französischen Philosophen mit einem Blick auf seine Wirkungsgeschichte in Deutschland“. Über den Rahmen der Aufklärung hinaus sucht er Diderots biographischen Werdegang und sein immenses Schaffen zu skizzieren. Überdies zeichnet er konzise seine vielstimmige Rezeption im deutschsprachigen Raum bis ins 19. Jahrhundert nach und verweist auf seine gegenwärtige Bedeutung.

Im Beitrag von Rudolf Lüthe, „Humanismus oder Naturalismus? Anmerkungen zur Gegensätzlichkeit der Menschenbilder von Diderot und Rousseau“ geht es um die Beziehung zwischen Rousseau und Diderot bzw. über Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer beider Philosophien. Insbesondere intendiert Lüthe aufzuzeigen und zu begründen, dass die Unterschiede in den Philosophien der beiden sich vor allem in deren deutlich voneinander divergierenden anthropologischen Annahmen zeigen. Während Rousseau, so Lüthe, einen frühromantischen anthropologischen Naturalismus vertritt, steht Diderot für eine Anthropologie, die sich als aufklärerisch und humanistisch kennzeichnen lässt. Wo Rousseau die Kultur kritisiert und die ursprüngliche Nähe zu einer naturhaften Lebensform zu bewahren sucht und somit auch dem Fortschrittsglauben abhold ist, sucht Diderot das (wissenschaftliche) Wissen der Welt für den Menschen zu sammeln, der – als Wesen mit Geist – der Natur gegenübersteht.

Denis Diderot war – in deutlich höherem Maße als andere Philosophen seiner Zeit – auch als Herausgeber und Publizist tätig. Dies gilt insbesondere dank seiner unermüdlichen Arbeit als Herausgeber der berühmten Enzyklopädie. Über dieses Werk informiert Daniel Brewer in „Die Enzyklopädie: Innovation und Nachwirkung“, und damit über das Werk, das Diderot viele Jahre seines Lebens intensiv beschäftigte, und das er gegen alle Widrigkeiten voran und schließlich zum Abschluss brachte. Brewer beschreibt nicht nur die Bedeutung dieses groß angelegten Werkes, das seines Erachtens das größte reformerische und kritische Werk seiner Zeit ist, sondern auch über die Intentionen, die Diderot mit ihm verfolgte: Wissensverbreitung zum Zwecke seiner allgemeinen Verwendung und Wissensstrukturierung zum Zwecke der Veränderung verbreiteter Denkweisen. Erläutert werden in diesem Zusammenhang die Sprache der Enzyklopädie und ihr internes System der Querverweise wie auch erkenntnistheoretische und religionskritische Positionen sowie Fragen der Politischen Philosophie bzw. der Rechtsphilosophie.

Mit der publizistischen Betätigung Diderots befasst sich Robert Zimmer in „Eine geländebezogene Philosophie. Diderot als aufklärerischer Publizist“. Seines Erachtens „ist die einzigartige Physiognomie des Publizisten Diderot etwas aus dem Blick geraten“, der leserorientiert geschrieben habe, philosophische Gedanken breiten sozialen Schichten zugänglich zu machen beabsichtigte und die Leser als Diskussionspartner zu gewinnen suchte. Diese aufklärerischen Absichten, so Zimmer, prägen Diderots Publikationstätigkeiten ebenso wie seine Konversationen. Dabei gehen bei Diderot Philosophie, Kritik und Literatur grenzenlos ineinander über. Zimmer resümiert dementsprechend: „In Diderots ‚geländebezogener Philosophie‘ sind, über alle Themen und Gattungsgrenzen hinweg, philosophische Reflexion und literarische Gestaltung in einer Publizistik verbunden, die den Leser nicht belehrt, sondern ihn mitnimmt und auf den Weg des Selbstdenkens schickt.“

Dass Diderot als Briefautor Bedeutung hat, verdeutlicht Heidi Denzel de Tirado in „Diderot als Briefschreiber und der Traum von SMS und E-Mail“. Diderots Briefe, soweit sie erhalten und zugänglich sind, dokumentieren einmal mehr die Breite und Vielfalt seiner Interessen. So kann man in den erhaltenen Schreiben von ihm Untersuchungen sowohl zu philosophischen (einschließlich linguistischen bzw. sprachphilosophischen, ethischen, ästhetischen und theaterwissenschaftlichen) als auch politischen und gesellschaftlichen sowie religiösen Themen finden. Sie dokumentieren aber auch sein Leben. Seine Briefe an den Bildhauer Falconet wurden früh in Buchform publiziert; und seine Briefe an seine Geliebte und Seelenverwandte Sophie Volland geben Einblicke in Diderots Gefühls und Gedankenwelt. Auch wenn, wie Denzel de Tirado bilanziert, seine Korrespondenz nicht als ein Hauptwerk betrachtet werden könne, so stelle sie ein wichtiges Dokument seines Schaffensprozesses dar; sie haben „auch im 21. Jahrhundert nicht an Bedeutsamkeit für die Gegenwart verloren“. Diderots Philosophie macht den umfangreichsten Teil des vorliegenden Sonderheftes aus, das seine philosophischen Leistungen breit thematisiert. Die Orientierung der Beiträge ist dabei keineswegs ausschließlich philosophiehistorisch. Diderot wird als Philosoph betrachtet, der Überlegungen vorgebracht hat, die sich auch heute zu analysieren, zu interpretieren, zu verstehen und zu diskutieren lohnen. Verschiedentlich steht die einzelne Interpretation philosophisch relevanter literarischer bzw. fiktionaler Texte von Diderot im Vordergrund.

Begonnen werden die Ausführungen zur Philosophie von Diderot mit einem philosophiehistorischen Einblick in die Beziehung zwischen der antiken Philosophie und Diderot bzw. einem Einblick in die Rezeption der antiken Philosophie durch Diderot. Russell Goulbourne geht in seinem philosophie und kulturhistorischen Beitrag „Diderot und die Antike“ den vielfältigen Beziehungen Diderots zur Antike nach. Diese zeigen sich in etlichen Texten Diderots, der eine klassische humanistische Ausbildung erhalten hatte. Dabei bieten etliche Autoren der Antike, so Goulbourne, für Diderot Anknüpfungspunkte. Der englische Romanist zeigt daher den Modellcharakter diverser antiker Kulturschaffender für Diderot auf. Dies gilt zunächst im Zusammenhang mit Diderots Überlegungen zur Tragödie. Mit Blick auf die antiken Philosophen verfährt Diderot, so Goulbourne, selektiv: Während er die aristotelische Logik und den pyrrhonischen Skeptizismus ablehnt (ohne indessen alle Skepsis zurückzuweisen), schätzt er Horaz, Lukrez, Sokrates und Diogenes sowie Aristipp und auch Seneca (was aber nicht bedeutet, dass er Letztgenanntem kritiklos gegenüberstünde), während Diderots Einstellung zur Stoa ambivalent geblieben sei.

Ursula Winter zeigt in ihrem Beitrag mit dem Titel „Naturerkenntnis und Theorien der Materie in Diderots Denken“ die große Relevanz der Diderotschen Denkansätze für die Wissenschaftstheorie und die Philosophie der Natur, insbesondere auch der belebten Natur auf. Wissenschaftstheoretisch betrachtet ist der französische Aufklärer in mehrfacher Hinsicht ausgesprochen modern. So verwirft er nicht nur ein metaphysisches Systemdenken, sondern vertritt die Auffassung, unsere Kenntnisse von der Natur seien nur vorläufig und hypothetisch; Hypothesen besäßen einen die Forschung leitenden Charakter. Darüber hinaus zeigt sich bei Diderot ein zukunftweisendes Verständnis von (belebter, bewusster) Materie, den Methoden der Naturwissenschaften – und der ethisch begrenzten Rolle von (Human)Experimenten.

Diderot hat sich im Laufe seiner philosophischen Tätigkeiten immer wieder einer Vielzahl von Fragen der Moralphilosophie zugewandt, und in einer Reihe seiner Schriften und Texte geht es um Fragen der Moral. Dies thematisiert Philipp Blom in „Denis Diderot als Moralphilosoph. Eine Charakterskizze und eine Suche“. Blom verdeutlicht nicht nur, welche Textarten und Argumentationen Diderot verwendet hat, sondern macht den Versuch, einen Überblick über Diderots moralphilosophische Entwicklung zu skizzieren. So werden Auffassungen Diderots zur Moral in einigen wichtigen Artikeln aus der Enzyklopädie (im Kontext naturrechtlicher Gedanken) präsentiert, aber auch seine Überlegungen in weiteren Schriften (etwa in „Le Neveu de Rameau“). Dabei zeigt Blom auf, welche Zusammenhänge für Diderot bedeutsam waren. Zu nennen sind hier menschliche Schwächen und Leidenschaften, die Frage nach Freiheit und Determinismus oder auch die Moralvorstellungen fremder Kulturen (in „Supplément au voyage de Bougainville“). Herausgearbeitet werden zudem die Zusammenhänge mit Diderots Materialismus und sein Verzicht auf die Annahme der Existenz Gottes. Blom schildert, wie Diderot vor diesen Hintergrundannahmen eine eigene Vorstellung von Tugend entwickelt und zur Diskussion stellt.

Um Fragen der Ethik geht es auch in dem Aufsatz von Wulf Kellerwessel, „Diderots aufklärerische Moralkonzeption im Kontext seiner Moral- und Gesellschaftskritik in ‚Jacques, der Fatalist und sein Herr‘“. Kellerwessel interpretiert den genannten Roman – unter Heranziehen auch von einigen der Diderot’schen Artikel aus der „Enzyklopädie“ – mit Blick auf Diderots Moralphilosophie und Gesellschaftskritik. Dabei intendiert er zu zeigen, wie beide Themen miteinander zusammenhängen. Dazu werden kurz die Protagonisten des Werkes bzw. ihre Moralvorstellungen charakterisiert und vor allem die in das Romanwerk eingestreuten Erzählungen näher untersucht. Gezeigt werden soll, dass und wie Diderot bestimmte gesellschaftliche Rollen(erwartungen) kritisch analysiert und mit welchen Argumenten die seinerzeit vorherrschende Moral mitsamt ihren religiösen Bezügen von ihm kritisiert wird. Ferner wird versucht herauszuarbeiten, welche Moralkonzeption Diderot selbst angestrebt hat, wie er die Tugenden neu zu fassen versucht hat, dass er eine veränderte Sexualmoral anvisiert hat – und wie diese Positionen von Diderot mit seinen grundlegenden menschenrechtlichen Ansichten zusammenpasst.

Auch der Aufsatz von Daniel Dohrn, „Kontrafaktizität und Fatalität in Diderots Jacques le Fataliste et son Maître“ betitelt, thematisiert diesen weltberühmten Roman, wobei Diderots Überlegungen zum Thema „Fatalismus“ und zur menschlichen Freiheit im Vordergrund stehen. Dohrn untersucht in diesem Kontext unter anderem den Gebrauch von (kontrafaktischen) Konditionalen. So zeigt der Roman deutlich Jacques’ Fatalismus, der mit der (scheinbaren) Zufälligkeit und Planlosigkeit des Geschehens im Roman kontrastiert. Die These, es gebe eine Schicksalsordnung, wird, so Dohrn, auf den Kopf gestellt; Diderot präsentiere in dem Romanwerk den „karnevalesken Umsturz einer geistigen Ordnung, die in der Enzyklopädie zementiert wird“.

James E. Fowlers „,LISEZ QUE JE VOUS AIME‘: Sexualität, Liebe und Tugend in Diderots Werken“ erörtert Diderots Einstellung zur Sexualität im Zusammenhang mit seinen Vorstellungen von Tugend und Liebe. Ausgehend von Diderots monistisch-materialistischer Vorstellung werden die körperlichen Bedürfnisse und Begierden berücksichtigt, mit denen – wie besonders „Die insdiskreten Kleinode“ zeigen – die Gesellschaft laut Diderot unangemessen umgeht. Fowler untersucht aber nicht nur diesen frühen Roman Diderots, sondern auch dessen Auseinandersetzung mit Shaftesbury sowie Texte wie unter anderem den Enyklopädie-Artikel „Genuss“, „Le Reve de d’Alembert“ und „Supplément au Voyage de Bougainville“ sowie „La Religieuse“. Der Aufsatz beleuchtet überdies Diderots Auffassung zum genannten Themenspektrum auch vor dem Hintergrund medizinischer Auffassungen. Insgesamt wird so ein durchaus differenziertes Bild zu Diderots materialistischer Auffassung der Liebe erstellt.

Diderots Interessenspektrum schließt auch Themenbereiche ein, die an der Schnittstelle zwischen Philosophie (namentlich der Naturphilosophie) und Naturwissenschaft liegen. Dies gilt insbesondere auch für die Biologie, wie Franz Wuketits in dem Text „‚Alles verändert sich, alles vergeht...‘. Denis Diderot (1713-1784) und die Anfänge des Evolutionsdenkens“ aufzeigt. Der Wiener Biologe geht in seinem Beitrag dem Evolutionsgedanken in Diderots Œuvre nach, der nach der Auffassung von Wuketits so bedeutsam ist, dass Diderot einen Platz in der Wissenschaftsgeschichte der Wissenschaften vom Leben verdient hat. Nach einigen Klärungen zum Begriff „Evolution“ sowie einigen Erläuterungen zu den geistesgeschichtlichen (religiös geprägten) Hindernissen der Evolutionstheorie versucht Wuketits anhand zahlreicher Zitate von Diderot zu belegen, dass Diderot auf dem Weg zu einem dynamisch-evolutionären Weltbild war bzw. als einer der ersten Repräsentanten evolutionären Denkens zu gelten hat.

Ein weiterer wichtiger Themenbereich ist aus heutiger Sicht die Beziehung von Diderot zur Politik. Dies gilt nicht nur, weil Diderot in Konflikt mit dem politischem System in Frankreich gekommen ist und von Zensur bedroht war, sondern auch wegen seiner Beziehung zur russischen Zarin Katharina II. Andreas Heyer verknüpft in seinem Beitrag „Die anthropologische Fundierung von Diderots politischer Philosophie“ seine politische Philosophie mit dem zugrundeliegenden Menschenbild Diderots. Denn, so Heyer, Diderot setze den „ganzen Menschen“ in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, und bezieht somit Vernunft und Leidenschaften ein. Herausgearbeitet wird, dass Diderot vermeidet, sich zugunsten einer auf nur einen Aspekt des Menschen reduzierten Auffassung des Menschen festzulegen und versucht stattdessen, diese Polarität (ebenso wie damit zusammenhängende weitere Polaritäten wie „Natur-Kultur“ beispielsweise) zu überwinden. Dargelegt wird dies anhand einer Vielzahl seiner Schriften; herausgestellt wird ferner, wie die politische Radikalisierung Diderots (im Alterswerk) mit seiner Anthropologie zusammenhängt.

Thomas Rießinger vermittelt in seinem Aufsatz „Diderot und Katharina II.“ nicht nur einen Einblick in die politischen Gegebenheiten Russlands zu Zeiten der Aufklärung, sondern vor allem über die Beziehung zwischen der Zarin und dem Philosophen. Sie begann durch ihre Lektüre seiner Schriften und führte zu Unterstützungsangeboten und Einladungen nach St. Petersburg, denen Diderot reserviert gegenüberstand; gleichwohl folgte er schließlich einer der Einladungen. Vor allem aber verdeutlicht der Beitrag, inwiefern sich die politische Philosophie Diderots entwickelt und wie die russische Zarin dies ihrerseits wahrgenommen hat. Zudem arbeitet Rießinger die Akzentuierung der Rechte und der Freiheit des Volkes beim späten Diderot heraus.

Einen für Diderot sehr wichtigen weiteren Interessensbereich bilden Kunst, Kunstkritik und Ästhetik im weitesten Sinne. Zwei Beiträge nehmen sich dieses Themas an: Peter Bexte befasst sich in „Das Paradox der Wahrnehmung. Mit Augengläsern im Salon“ mit Diderot als einem der Begründer der modernen Kunstkritik. Dabei betont er Diderots Interesse an der physiologischen Wahrnehmung resp. an entsprechenden Experimenten und an dem Phänomen der Blindheit. Zudem zeigt er auf, dass der französische Aufklärer „seine Überlegungen zur Kunst stets mit einer Analyse der Sinne, ihrer Verwerfungen und Überlagerungen“ begleitete. Im Ausgang von der Teilnahme Diderots an einer Operation eines Blinden und an einem optischen Experiment rekonstruiert der Kölner Kunsthistoriker Diderots Sicht auf die Wahrnehmung und insbesondere auf die Zusammenhänge von Wahrnehmung (der Natur) und Kunst.

Gleichfalls mit Diderot als Beiträger zu diesem Themenkomplex befasst sich Marc Darlow. Er widmet sich Diderots Interesse an der Musik. In „Diderots Stimme(n): Musik und Reform. Von der ‚Querelle des Bouffons‘ bis zu ‚Le Neveu de Rameau‘“ geht es um Diderots Auffassungen zur Vokalmusik resp. zum Gesang, wobei Darlow vor allem auch den zeitgeschichtlichen Kontext einbezieht. So schildert er auch seine Position im „Buffonisten-Streit“ und die Überlegungen zur Musik, die Diderot im Roman ‚Le Neveau de Rameau‘ entwickelt hat.

Um das Thema des Schauspiels geht es in dem Beitrag von Franck Salaün, der den Titel „Die Erfahrung des Theaters bei Diderot“ trägt. Er handelt von Diderots Erfahrungen des Theaters, vor allem aber von Diderots Reformbestreben, die das Theater und die Schauspielerei betreffen. Der Verfasser arbeitet Diderots Absicht heraus, durch das Verändern des Schauspielens (in seiner Relation zum Publikum) und des Ausdrucks der Schauspielerinnen bzw. Schauspieler dem Theater eine veränderte Wirkungsmöglichkeit zu verschaffen, wobei Querverbindungen auch zu anderen Teilen der Ästhetik Diderots gezogen werden.

Marian Hobson stellt schließlich vor allem eine philosophische Verbindung zur Gegenwart her und zieht in „Der Standpunkt und der Rückspiegel: Diderot oder wie man Zeit vorstellt“ Parallelen zwischen Diderot und einem der führenden modernen Anti-Realisten, Michael Dummett. In diesem Text geht es dabei vor allem um die Zeit-Auffassung(en) der genannten Autoren. Dabei diskutiert Hobson zunächst kritisch die Klassifikation von Diderot als Skeptiker, erläutert Diderots Auseinandersetzung mit dem radikalen Skeptizismus Pyrrhons und weist auf Diderots Nähe zum heutigen Anti-Realismus hin. Dies bezieht sich Hobson zufolge auf Fragen der Erkenntnistheorie. Diderot destruiere „auf systematische Weise die ganze Vorstellung einer natürlichen und sozusagen vorgefertigten natürlichen Ordnung, sei es im Kosmos oder in der Sinneserfahrung“, womit er eine Position des modernen Anti-Realismus vorwegnimmt. Ähnlich, so Hobson, ließen sich die Auffassungen Diderots zur Zeit als „Manifestationen eines Anti-Realismus bezüglich des Zeitlichen interpretieren“.

Der langjährige Präsident der Société Diderot und Preisträger der l’Académie française im Jahr 2013, Pierre Chartier, schildert schließlich in „Eine Stimme findet Gehör erst aus der Tiefe ihres Grabes. Die Rezeption von Diderot in Frankreich bis zum Anbruch der heutigen Zeit“ die ausgesprochen wechselvolle Entwicklung der Aufnahme von Diderots Denken in Frankreich – und über Frankreich hinaus. Dabei verdeutlicht er nicht nur die unterschiedliche Einschätzung von Diderot im Laufe der Zeit, sondern verdeutlicht die relevanten – oft von politischen Auffassungen und Ereignissen nachhaltig geprägten – Veränderungen der Rezeption. Chartier nimmt Bezug auf verschiedene Aspekte von Diderots Schaffen wie auf zahlreiche Geistesgrößen und andere (eher politisch wirksame) Intellektuelle. Insgesamt verdeutlich der Text den langwierigen und sehr schwierigen Weg von Diderot zum Klassiker, als der er heute in weiten Teilen der Welt wahrgenommen wird.

Den Abschluss dieses Sonderheftes bildet der weithin bekannte Aufsatz von Charles Augustin Sainte-Beuve mit dem Titel „Diderot“, der erstmals im Jahre 1851 erschien. Dieser Text umschreibt Diderot als Kunstkritiker und Philosoph. Er vermittelt einen lebendigen Eindruck von dessen Charakter und von seinen Eigenheiten. Zudem enthält er eine Reihe von Schilderungen signifikanter Begebenheiten aus Diderots Leben. Dabei hat er bis heute nichts von seiner Frische verloren, und erscheint somit besonders gut geeignet, einen Eindruck von Diderot Persönlichkeit zu vermitteln.

Wulf Kellerwessel

Herausgeber:

Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg
Vorsitzender: Helmut Walther (Nürnberg
Internet: www.gkpn.de