Studie zu Opfern rechtsextremer Gewalt

(hpd) Die Sozialwissenschaftler Andreas Böttger, Olaf Lobermeier und Katarzyna Plachta legen eine qualitative Studie mit Betroffenen vor, wobei es um den Verlauf und die Verarbeitung einschlägiger Ereignisse, aber auch um die Frage der sozialen Unterstützung danach geht. Eine Arbeit, welche als erster Schritt zur Schließung einer Forschungslücke bezogen eben nicht auf die Täter, sondern die Opfer anzusehen ist.

Als Reaktion auf einen Anstieg rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten zu Beginn der 1990er Jahre entstand in Deutschland ein Reihe von Forschungsarbeiten zu den Tätern. Gefragt wurde jeweils nach den sozialen Besonderheiten, konkreten Motiven und persönlichen Ursachen.

Nach einem Rückgang der Gewalttaten bei Stagnation auf einem relativ hohen Niveau kam es ab Beginn der 2000er Jahre nur noch selten zu einschlägigen wissenschaftlichen Untersuchungen. Noch schlechter stand und steht es um Forschungen über die Opfer der rechtsextremistischen Gewalt, konzentrierte sich die öffentliche wie wissenschaftliche Aufmerksamkeit — wie bei der allgemeinen kriminellen und unpolitischen Gewaltentwicklung — auf die Täter.

Um so erfreulicher ist es da, dass die Sozialwissenschaftler Andreas Böttger, Olaf Lobermeier und Katarzyna Plachta mit "Opfer rechtsextremer Gewalt" eine Arbeit zum Thema vorlegen. Es handelt sich um eine qualitative Studie, die auf der Basis von Interviews mit Betoffenen ohne Anspruch auf Repräsentativität erstellt wurde.

Nach der Definition von zentralen Arbeitsbegriffen wie "Gewalt", "Opfer", "Rechtsextremismus" und "Viktimisierung" liefern die Autoren einen Überblick zum Stand der Forschung bezogen auf die Folgen der Viktimisierung, die Bewältigung der Taten und die soziale Unterstützung der Opfer. Erst danach beschreiben sie die methodische Konzeption ihrer empirischen Studie, die mit der "Grounded Theory" im Sinne eines "induktiv-qualitativem empirischen Forschungsprojekts" (S. 85) arbeitet.

Die Untersuchung soll dabei zwei Schwerpunkte haben: "Erstens geht es darum, dass und auf welche Weise Personen zu Opfern rechtsextremer Gewalt geworden sind" (S. 9) Und: "Auf der Basis dieser Untersuchungen zur Viktimisierung im engeren Sinne geht es in dem Projekt dann zweitens um die längerfristige Bewältigung des Erleidens rechtsextremer Gewalt durch die Opfer ..." (S. 10).

Um zu einschlägigen Erkenntnissen zu kommen, wurden in zwei Erhebungswellen einmal 31 und einmal 19 Interviews mit Betroffenen geführt.

Sie ließen sich drei verschiedenen Typen zuordnen: Angehörige einer gewaltbereiten "linken Szene", einfache "Zufallsopfer" am "falschen Ort, zur falschen Zeit" und Angehörige einer ethnischen oder sozialen Minderheit. Typisierende Sozialisationsmerkmale gebe es demnach bei den Opfern rechtsextremistischer Gewalt auch nicht (vgl. S. 97f.).

Bei keinem der Betroffenen änderte sich durch die Erfahrung der Tat das Bild von Gesellschaft und Land, führte die Viktimisierung zu keiner kompletten Veränderung des Deutschlandbildes (vgl. S. 141). Bilanzierend heißt es: "Opfer rechtsextremer Gewalt zu werden, ist in den meisten Fällen eine erniedrigende, oft auch eine traumatische Erfahrung. ... Dass die von rechtsextremistischen Übergriffen betroffenen Opfer ... auf die Teilnahmslosigkeit Außenstehender stoßen, oft begleitet oder gefolgt von einem distanzierten, gleichgültigen Verhalten der Instanzen sozialer Kontrolle ... ist ein gravierender Mangel in der Struktur der Gesellschaft und des sozialen Zusammenlebens" (S. 168).

Allein die damit einerhergehende Feststellung, dass die Betroffenen weniger Hilfe bei staatlichen Institutionen denn bei privaten Opferhilfeeinrichtungen fanden, ist ein beachtenswertes Ergebnis dieser Studie. Sie macht auf Defizite in der rechtsstaatlichen Praxis auch fern von dramatischen Ereignissen einschlägiger Gewalttaten aufmerksam. Darüber hinaus kommt der Studie allgemein das Verdienst zu, die Opfer rechtsextremistischer Gewalttaten ins Zentrum der sozialwissenschaftlichen Forschung gerückt zu haben.

Insgesamt ist der Kreis der Befragten aber eher gering. Eine mehr quantitativ ausgerichtete Untersuchung müsste hierzu wichtige repräsentative Daten ermitteln. Darüber hinaus sollten die Opfergruppen gesondert untersucht werden. Die Motivation und Tatverläufe dürften bei den politischen Gegnern mit ebenfalls ausgeprägter Gewaltbereitschaft anders einzuschätzen sein als bei zufälligen Angehörigen ethnischer oder sozialer Minderheiten. Insofern stellt die Studie nur den ersten Schritt zur Schließung einer Forschungslücke dar.

 


Andreas Böttger/Olaf Lobermeier/Katarzyna Plachta, Opfer rechtsextremer Gewalt, Wiesbaden 2014 (Springer VS-Verlag), 176 S.