"Es wird sich etwas ändern"

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Fotos: © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Die Kampagne Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz - kurz: GerDiA – war ein großer Erfolg. Zu diesem Ergebnis kommen die Organisatorinnen Vera Muth und Corinna Gekeler, die im Gespräch mit dem hpd Bilanz ziehen.

 

hpd: Bevor wir über Inhalte, Erfolge und politische Folgen der Kampagne sprechen, möchte ich gern wissen, was euch beide dazu brachte, euch in der Kampagne zu engagieren?

Vera Muth: Als Religionswissenschaftlerin habe ich mich mit dem Verhältnis der Gläubigen zu den Ungläubigen auseinandergesetzt und dem Problem eines chauvinistischen Monotheismus, der auch heute noch traditionell und tribalistisch denkt: Als Menschen werden nur diejenigen angesehen, die die Religion haben, die das Gesetz des einen Gottes befolgen, die folglich Regeln – heute würde man sagen eine Ethik – besitzen. Die Anderen, die keine, bzw. eine andere Religion haben, gelten als religions-/ethiklos, als gesetzlos und heute auch als antisozial. Das ist überheblich und diskriminierend. Das Bild des sich um Kranke und Arme kümmernden, sozialen Christentums entsteht heute auch durch eine faktische Monopolstellung der Kirchen im sozialen Bereich, die ihre soziale Arbeit, ihre heilende Arbeit als „gelebtes Christentum“ verkaufen.

Ich kenne das Phänomen der religiösen Diskriminierung ja mittlerweile gut, bin aber immer wieder fassungslos, wenn ich zum Beispiel erlebe, dass wieder ein atheistischer qualifizierter Arzt, ein Krankenpfleger nicht eingestellt wird, weil er nicht in der Kirche ist und somit auch als nicht religiös gilt. Und dann denke ich auch stopp, soll in Krankenhäusern geheilt oder missioniert werden? Wird – werde ich krank oder bedürftig – dann meine Notlage ausgenutzt, um mich von einer Religion zu überzeugen? Das finde ich sehr schäbig. Und es ist ja auch nicht ungefährlich, sich in ein solches Krankenhaus zu begeben, wenn man sieht, dass z. B. in Irland 2012 aus einem extremen christlichen Weltbild heraus einer Frau eine Abtreibung verwehrt wurde und diese dann sterben musste.

Ein sehr wichtiger Punkt für mich war, dass sich in den sog. Loyalitätspflichten ein Welt- und Menschenbild konserviert, das zutiefst patriarchalisch und voraufklärerisch ist, das massiv gegen die Grundrechte und die Menschenrechte verstößt. Dass in diesem Land 2014 immer noch die Diskriminierung von Schwulen und Lesben, von „unehelichen“ Kindern bzw. unverheirateten Müttern im Rahmen geltenden Gesetzes möglich ist, dass es nicht erlaubt ist, sich nach einer nicht geglückten Beziehung neu zu binden, das alles ist im Grunde ein Skandal. Dass die Kirchen es schaffen, sich gegen die Menschenrechte zu stellen und gleichzeitig als die Bewahrer des Sozialen gelten, ist schon etwas witzig. Wenn wir – meiner Meinung nach zu Recht – die Scharia kritisieren, dann sollten wir nicht die Augen vor dem Recht des „christlichen Abendlands" verschließen. Worin unterscheidet sich diese christliche Einmischung in die Gestaltung des eigenen selbstbestimmten Lebens von den privatrechtlichen Regelungen der Scharia, vom Menschenbild des konservativen und extremistischen Islams? Dagegen muss man sich einfach wehren.

Corinna Gekeler: Zum Thema Kirchenarbeitsrecht kam ich, weil ich mich als Politologin und Publizistin schon lange mit Menschenrechtsfragen beschäftige, seit 1990 hauptsächlich im Zusammenhang mit HIV und Aids. In Erwartung des Urteils vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall des Kirchenmusikers recherchierte ich bereits Anfang 2009 zu den Auswirkungen der kirchlichen Sonderrechte. Ich stellte Förderanträge an Partei- und Gewerkschaftsstiftungen, an humanistische, atheistische Verbände usw. Leider ohne Erfolg, weshalb ich mein Freiberuflerinnendasein wieder anderen Themen widmete. Als dann der IBKA Anfang 2012 meine Studie parallel zur Kampagne finanzieren wollte, war ich sofort wieder „dabei“. Diese Kombination war sehr hilfreich für meine Studie, denn das Thema war „gesetzt“ und ein Teil der Betroffenen, die ich interviewen durfte, kamen über die Kampagne.

 

Glaubt oder hofft ihr, dass GerDiA in die Zukunft wirken wird? Existieren Ansätze, das kirchliche Arbeitsrecht zu beschränken, respektive es abzuschaffen?

Vera Muth: Glauben? Hoffen? Ich will, dass sich hier etwas ändert. Ich will, dass die Menschenrechte allgemein anerkannt werden und zwar auch in Deutschland und sich hier nicht Religionsgesellschaften eine rechtliche Nische schaffen, in der sie diskriminieren dürfen. Oft wird ja behauptet, dass die Religionen die Menschenrechte sozusagen erfunden haben; hier haben wir ein ganz aktuelles Beispiel – auch als das Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) erarbeitet wurde –, wie Religionen sich gegen Fortschritt und Gleichberechtigung aller Menschen sperren.

Die GerDiA-Kampagne hat eine Menge angestoßen. Derzeit haben die Parteien, die für eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts eintreten, im Bundestag die Mehrheit – bei Grünen und Linken und bei der SPD stand der Punkt 2013 im Wahlprogramm. Dass diese Mehrheit zu einer Gesetzesänderung führen wird, ist angesichts der Großen Koalition nicht zu erwarten. Aber daran lässt sich anknüpfen.

Corinna Gekeler: Das sehe ich auch so. Bei den Linken, den Grünen und sogar in der SPD bewegt sich zwar dank kirchenkritischer Kreise etwas, aber der Koalitionsvertrag bedeutet Stillstand oder gar Schlimmeres in Sachen Kirchenarbeitsrecht. Die bislang einzigen Bundestagsanträge kamen von den Linken.

Wozu die Kampagne auf jeden Fall beigetragen hat, ist die Skandalisierung der Auswirkungen. Da wird es weiterhin viel Aufklärung brauchen.

Vera Muth: Es gibt mittlerweile ein großes Unrechtsbewusstsein in der Bevölkerung, denn es ist deutlich geworden, was da hinter der Fassade der Kirchen, die sich das Mäntelchen der Nächstenliebe umlegen, läuft. Wenn man sich umhört zum Thema, gibt es so gut wie keine Gesprächssituation, in der nicht irgendjemand von einer Betroffenengeschichte aus dem Bekanntenkreis, aus der Familie berichten könnte, teils sind das sehr große Verletzungen, die Menschen mit sich herumtragen müssen.

Corinna Gekeler: Die bekannt werdenden Fälle sind sehr medienwirksam, das übt sicher Druck hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Kirchen aus. Der Beschluss der EKD vom November 2013 hat aber gezeigt, dass man so gut wie nichts zu ändern bereit ist. Und was die Katholiken zum Beispiel über den Umgang mit der Zweitheirat konstruieren, sieht eher nach barmherzigen Ausnahmen nach Gewissensprüfung als nach Greifbarem für weltliche Gerichte aus.

Vera Muth: Auf juristischem Gebiet zeichnen sich jedoch ebenfalls Erfolge ab. Vor kurzem hat ein Gericht ein Urteil gefällt, das zeigt, dass Richter die Abweichung von der EU-Norm sehen und dementsprechend urteilen. Wir wissen von einem weiteren Fall, der gerade anhängig ist. Es könnte also durchaus sein, dass in absehbarer Zeit eine betroffene Person in Karlsruhe oder Straßburg ein Grundsatzurteil erstreitet.

Corinna Gekeler: Gerade in Bezug auf den Ausschluss konfessionsloser BewerberInnen sprechen die Gerichte immer kirchenkritischere Urteile. Die EU-Richtlinie und deren diskriminierende Umsetzung in Form des §9 im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wird immer mal in den Urteilen erwähnt. Ob das Thema demnächst in höhere Instanzen gelangen wird, ist für mich unklar. Nach Einschätzung von Rechtsexperten dürfte aber in Karlsruhe kein so kirchenfreundliches Urteil mehr herauskommen wie anno 1985.

Vera Muth: Wenn wir noch dazunehmen, dass sich mit Osnabrück eine erste Kommune gegen das kirchliche Arbeitsrecht und für eine Stärkung der Rechte der Beschäftigten ausgesprochen hat. Das ist doch was.