Sarrazin Opfer fehlender Meinungsfreiheit?

(hpd) Thilo Sarrazin legt mit “Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland” ein neues Buch vor, worin er die Debatte um seinen Bestseller “Deutschland schafft sich ab” kommentiert. Hierbei beklagt der Autor des millionenfach verkauften Werks eine Einschränkung seiner Meinungsfreiheit und “widerlegt” so kaum ernsthaft in der Debatte vertretene Auffassungen zu unterschiedlichen Aspekten von gesellschaftlicher Gleichheit.

 

2010 erschien Thilo Sarrazins Buch “Deutschland schafft sich ab”. Es sollte der größte Sachbuch-Beststeller in der deutschen Geschichte werden: 1,5 Millionen Exemplare fanden einen Käufer. Die “Bild-Zeitung” druckte ebenso wie “Der Spiegel” vorab Auszüge, was Erwartungshaltung und Verkaufszahlen noch zusätzlich beflügelt hatte.
Sarrazin konnte fortan bei öffentlichen Lesungen mit Hunderten von Zuhörern seine Auffassungen ebenso wie in Talk-Shows mit einem Millionen-Publikum vertreten.

Indessen fanden die Auffassungen zu den Folgen von Einwanderung durch Geringgebildete und Prägungen durch die Kultur von Muslimen keine ungeteilte Zustimmung. Nicht alle Einwände waren sachlich und seriös, es gab aber auch abgewogene und wissenschaftliche Kritik. Zwei Jahre später legt Sarrazin mit “Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland” ein neues Buch zur seinerzeitigen Debatte vor.

Darin stellt er sich als Opfer von Denkverboten dar, habe die negative Medienberichterstattung doch seine Meinungsfreiheit eingeschränkt.

Bereits zu Beginn sieht Sarrazin den Umgang mit seinem Buch im historisch-politischen Kontext von Hexenverfolgung im Mittelalter über Zensurmaßnahmen im Ersten Weltkrieg bis zum Völkermord in Ruanda. Zwar gebe es eine rechtlich verankerte Meinungsfreiheit, ihr würden aber durch die Medien entschiedene Grenzen gesetzt. Dies gelte vor allem für Aussagen, welche das Postulat menschlicher Gleichheit problematisierten. Hierzu gehörten Meinungsäußerungen zum Charakter von Gesellschaften und Völkern, zum Einfluss der Religion auf die Integration, zur Erblichkeit von menschlichen Eigenschaften oder zu den Folgen unterschiedlicher Geburtenraten von Gruppen. “Sucht man nach der überwölbenden Norm”, so Sarrazin, “die hinter diesen Tabus steht, so stößt man auf das Gleichheitspostulat” (S. 37). Da er damit einhergehende Aspekte der gesellschaftlichen Wirklichkeit kritisch angesprochen habe, hätten die meist aus ehemaligen Studenten der Sozialwissenschaften bestehenden Medienrepräsentanten ihren “Tugendterror” losgetreten.

Nachdem dies Sarrazin anhand seiner eigenen Erfahrungen unter der Überschrift “Wie ich mit der Meinungsherrschaft in Konflikt kam” thematisierte, will er die Nutzung der Sprache zu derartigen Zwecken als “Instrument des Tugendterrors” untersuchen. Dabei geht es um die Debatte um den Gebrauch von Begriffen wie “Neger” oder “Zigeuner”, welche durch neue Sprachschöpfungen ersetzt worden seien.

Den Schwerpunkt des Buches bilden indessen die “vierzehn Axiome des Tugendterrors in Deutschland der Gegenwart”, wobei Sarrazin einzelne Aussagen solcher Positionen referiert und sie danach einer kritischen Betrachtung aussetzen will. Es sind von ihm selbst formulierte Statements wie “Ungleichheit ist schlecht, Gleichheit ist gut”, “Wer reich ist, sollte sich schuldig fühlen”, “Die menschlichen Fähigkeiten hängen fast ausschließlich von Bildung und Erziehung ab” oder “Alle Kulturen sind gleichwertig, insbesondere gebührt den Werten und Lebensformen des christlichen Abendlandes und der westlichen Industriestaaten keine besondere Präferenz”.

Zu den von Sarrazin erörterten Aussagen gehört auch: “Alle Menschen auf der Welt haben nicht nur gleiche Rechte, sondern sie sind auch gleich, und sie sollten eigentlich alle einen Anspruch auf die Grundsicherung des deutschen Sozialstaates haben”. Spätestens an dieser Stelle kann man sich fragen, wer denn überhaupt so etwas ernsthaft vertritt? Kein noch so naiver “Multikulti”-Anhänger dürfte das tun.

Sarrazin baut einen “Strohmann” auf, indem er eine absurde gegnerische Position unterstellt. Diese lässt sich anschließend um so leichter widerlegen. Damit bedient sich der Autor gerade jener Manipulationstechniken, die er wiederum anderen Kritikern seiner Positionen selbst unterstellt. Gerade diese Vorgehensweise entwertet letztendlich auch all jene Aussagen, die eine ernsthafte Debatte verdient hätten.

Überhaupt wirkt es mehr als nur absonderlich, wenn Sarrazin als Millionen-Bestseller-Autor über die Einschränkung seiner Meinungsfreiheit durch “Tugendterror” klagt. Er saß und sitzt nicht im stillen Kämmerlein seines Hauses, sondern in der Talkshow des Fernsehens.

Armin Pfahl-Traughber

Thilo Sarrazin, Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland, München 2014 (Deutsche Verlags-Anstalt), 397 S., 22,99 Euro