Rentner haben niemals Zeit

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Horst Groschopp
Horst Groschopp

BERLIN. (hpd) Zum Monatsende geht der habilitierte Kulturwissenschaftler Dr. Horst Groschopp in Rente. Aus diesem Anlass wird er am 17. Mai 2014 am Ende einer zweitägigen Konferenz in Berlin offiziell aus seinen Ämtern als Direktor der Humanistischen Akademien Berlin-Brandenburg (HABB) und Deutschland (HAD) verabschiedet.

Zugleich enden damit auch seine Tätigkeiten als Verantwortlicher Redakteur des Portals humanismus-aktuell.de sowie als Herausgeber der Schriftenreihen beider Akademien. Aus diesem Grund führte Siegfried R. Krebs für den hpd ein Interview mit Horst Groschopp, der übrigens auch Mitbegründer dieses Pressedienstes war.

 

hpd: Horst, wir beide kennen uns seit mehr als 30 Jahren. Damals warst du an der Humboldt-Universität Dozent der Kulturwissenschaft und ich einer deiner Studenten. Durch dich kam ich seinerzeit, also sehr früh, mit dem Thema Freidenker in Berührung. Jahre später begegneten wir beide uns im Humanistischen Verband Deutschlands wieder, dessen Präsident du damals warst. Insofern ist es für mich ein ganz besonderes Anliegen, dieses Gespräch mit dir zu führen.
Zunächst, wann und warum kam es zur Gründung beider Akademien? Welches sind ihre Aufgaben?

Horst Groschopp: Ich kam Ende 1993 zum HVD, damals noch sesshaft in der Berliner Hobrechtstraße. Ich kannte den damaligen Vorsitzenden Dr. Klaus Sühl von der deutsch-deutschen Arbeiterkulturforschung her. Ich suchte zu dieser Zeit bezahlte Arbeit, denn irgendwann, das war klar, würde ich meine Arbeitsrechts-Prozesse gegen meine Entlassung wegen „Mangel an Bedarf“ verlieren. Das trat dann im Januar 1997 ein. Es war dies das Jahr, in dem die Humanistische Akademie Berlin gegründet wurde.

Die Idee zu dieser Akademie wurde im Herbst 1996 im Kaffee Rix (Berlin-Neukölln) zwischen Manfred Isemeyer, Werner Schultz und mir “verhandelt” mit dem Ziel einer bundesweit tätigen Einrichtung für den HVD, versehen mit der Aufgabe, durch Konferenzen und Publikationen der Organisation Anschluss an intellektuelle humanistische Diskurse zu verschaffen.

Angestellt wurde ich übrigens erst 2001 und zwar beim Institut für Humanistische Lebenskunde, wo ich auch bis vor kurzem unterrichtet habe mit allem Drum und Dran. Es wird so etwa 120 schulpraktische Prüfungen gegeben haben.

 

Welche Bilanz kannst du aus dieser mehr als 15-jährigen Tätigkeit ziehen? Konkreter, wieviele Konferenzen, Symposien und weitere Veranstaltungen hast du organisiert?

Die Kolloquien und Konferenzen habe ich nicht gezählt. Es werden drei bis vier pro Jahr gewesen sein, auch dann noch, als 2006 die HAD hinzukam und 2007 ihre Tätigkeit aufnahm. Die Berliner Akademie war seit ihrer Gründung 1997 wie eine Bundesakademie aufgetreten.

 

Wer war Partner der Akademie(n)?

Die Akademie gewann für ihre größeren Konferenzen wichtige Kooperationspartner, vor allem die Friedrich-Ebert-Stiftung (November 2000 bis November 2012), später die Rosa-Luxemburg-Stiftung (Juni 2007, Dezember 2010). Eine Zusammenarbeit mit der parteinahen Stiftung der Grünen schlug fehl. Aus einer geplanten Tagung mit der Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP wurde schließlich ein Diskussionsnachmittag im Dezember 2012 über die Freiburger Beschlüsse zur Staat-Kirche-Trennung von 1974.

Auch innerhalb des HVD kam es zu nützlichen Kooperationen, so mit dem HVD Niedersachsen in Sachen Bestattungskultur und mit dem Berliner Sozial- und Jugendbereich. Für die „säkulare Szene“ wichtig wurde die Kooperation bei einigen Veranstaltungen mit befreundeten Verbänden, so etwa 2002 und 2003 mit der Humanistischen Union, 2003 und 2007 mit Jugendweihe Deutschland und 2005 und 2008 mit der Giordano Bruno-Stiftung (gbs), wobei die Akademie stets die organisatorische Federführung innehatte. Was praktisch hieß: bei mir lag die Arbeit.

 

Wie schätzt du aus heutiger Sicht die Resonanz dieser wissenschaftlichen Veranstaltungstätigkeit ein?

Woran ist dieser Wirkungsgrad messbar? Erstens daran, ob die Themen gefragt waren. Hier fällt mir zuerst die Tendenz ein, Strategiefragen der “säkularen Szene” öffentlich im Rahmen der Akademie zu diskutieren. Etwa am Programm für das Jahr 2005 zeigt sich dies. Michael Schmidt-Salomon trug auf einer Tagung der HAB am 19. November 2004 erstmals das Projekt eines Zentralrates der Konfessionsfreien vor. Die erste Ebert-Stiftungs-Tagung 1999 brachte seit Jahren verkrachte Verbände zusammen. 2001 entstand die von mir moderierte Sichtungskommission mit zwei Jahrestreffen, aus der heraus dann der KORSO wurde.

Die Resonanz in der “säkularen Szene” und im HVD an diesen Konferenzen nahm in dem Maße ab, wie ein Interesse an allgemeineren humanistischen Fragestellungen zunahm. Insgesamt kann ich mich über mangelndes Interesse nicht beklagen. Jedenfalls führten nahezu alle Tagungen zu Publikationen, zuerst in humanismus aktuell gedruckt, dann in den beiden Schriftenreihen, die der HABB und die der HAD. Vorangegangen in dieser Publikationsform war hier die Humanistische Akademie Bayern. Es wurden unter meiner Herausgeberschaft 25 Hefte und es werden zum Abschluss 13 Bücher sein.

Den eigentlichen Erfolg sehe ich auf anderer Ebene, nämlich dass wir immer mehr namhafte Referenten hatten und allmählich, in dem Maße wie wir Seriosität nachwiesen, Zugang bekamen zur Creme der wissenschaftlichen Humanismusforschung, Hubert Cancik, Richard Faber, Enno Rudolph, Julian Nida-Rümelin, Jörn Rüsen und einige andere.

 

Nochmals zur Resonanz? Wie sah bzw. sieht diese innerhalb des HVD aus und wie darüber hinaus?

Niemand hat mir oder den Akademien und ihren Publikationen, meiner Freiheit zu forschen und zu publizieren, jemals einen Stein in den Weg gelegt oder sich eingemischt. Das sagt doch schon viel. Doch wie in nahezu allen in der “säkularen Szene” tätigen Organisationen hält sich das Leseinteresse an schwierigen Stoffen auch im HVD in gewissen Schranken. Verbände sind nun einmal keine wissenschaftlichen Veranstaltungen. Wir haben keine universitäre Humanistik, also auch keine Schulen, keine “Zitiergemeinschaften” wie sie etwa Philosophen oder Theologen haben. Das ist ein Resonanznachteil.

Nach Resonanz zu fragen heißt letztlich, langfristige Wirkungen zu suchen. Ich denke, hier muss man abwarten. Dennoch habe ich neulich ein Resümee versucht.

Zur Resonanz gehört auch das Feld der Politik. Ich bin ein Typ, der konzeptionell und strategisch “wirken” wollte und will. Ich war seit Gründung der Akademie 1997 stets in der HVD-Bundesführung in “gehobener” Verantwortung, schließlich Präsident. Doch lernen Organisationen nicht dadurch, dass sie gar von der Spitze her geschult werden.

Als Präsident bin ich zwar bekanntlich gescheitert, doch für die Produktion von “Humanismustheorie” war der Rücktritt Anfang Januar 2010 nützlich und der HVD selbst hat damals dazu in der Presseerklärung richtig geschrieben, ich hätte den “Verband mit diesem Signal dazu aufgefordert, sich auf die sich verändernden Bedingungen in unserem Land und in Europa neu einzustellen.” Ja, so kann man das sehen.

 

Wesentliche Ergebnisse dieser Akademie-Arbeit haben ihren Niederschlag in den bereits erwähnten Schriftenreihen gefunden, die vom Alibri-Verlag ediert werden. Kannst du etwas zum Echo auf diese Veröffentlichungen sagen? Hat es viele Rezensionen gegeben? In welchen Medien vor allem?

Der hpd jedenfalls hat immer ordentlich beworben und rezensiert. Was den Verkauf betrifft, muss man den Verlag fragen. Etwa hundert Abonnenten von “humanismus aktuell” sind auch der “Schriftenreihe” treu geblieben. Hinzu kommen als fleißige Abnehmer die Mitglieder der Humanistischen Akademien. In jüngster Zeit sind sogar auf Kirchenseite einige uns reflektierende Publikationen erschienen, die auf eine besondere Leserschaft hinweisen.

 

Leider konnte die von dir von 1997 bis 2008 redigierte Zeitschrift “humanismus aktuell” als Printmedium nicht fortgesetzt werden. Ihre Fortsetzung fand sie ab 2011 als Online-Zeitschrift. Kannst du auch hier etwas zur Resonanz sagen?

“Humanismus aktuell” haben wir absichtsvoll in die Schriftenreihen überführt. Ab Heft 17 war aus der Zeitschriften- sowieso schon eine Buchreihe geworden, jedenfalls formal. Dann entstand die Frage, ob es sinnvoll ist, unterhalb dieser Form eine schnellere und aktuellere, weniger aufwändige, aber dennoch zitierbare Form zu haben. Daraus wurde dann “humanismus aktuell (Internet)”. Wir sind hier im 5. Jahrgang, bei 34 Texten und immerhin 251 Rezensionen. Die “Einschaltquote” ist immer dann hoch, wenn sich in der Szene oder im Verband jemand provoziert fühlt. Das ist die beste Resonanz.

 

Einen Nachfolger als Direktor der Akademien gibt es. Wird dieser auch deine Aufgaben als Herausgeber und Redakteur fortsetzen? Denn aus meiner Sicht sind ja diese Publikation unverzichtbar für den organisierten Humanismus und dessen öffentliche Wahrnehmung?

Es geht alles auf meinen Nachfolger Ralf Schöppner über, von den Briefmarken über die Vereinsakten bis zu den Schriftenreihen. Es ist vereinbart, dass erst einmal alles so weiter geht. Es sind die Präsidien der Akademien, die hier Änderungen beschließen können. Das geht mich dann nur als einfaches Mitglied der Akademie etwas an. Ich werde mich zurückhalten, kann loslassen.

 

Und auch diese Frage sei gestattet: In all diesen Jahren, wer waren da deine engsten Mitstreiter? Auch ihnen sollte ja gedankt werden.

Nur eine Person will ich hervorheben, mit der ich seit 43 Jahren verheiratet bin und mit der ich eine, wie wir scherzhaft sagen, “Humanismusmanufaktur” betreibe. Das ist Gabriele Groschopp, meine Online-Redakteurin, Lektorin, Layouterin, Fehlerfinderin und, wenn’s mal wieder sein muss, Bremserin.

 

Abschließend, Rentner haben niemals Zeit, heißt es. Das dürfte sicherlich auch auf dich zutreffen. Welches sind deine nächsten Vorhaben? Welche weiteren Publikationen sind bereits von dir ins Auge gefaßt?

Mindestens bis Ende des Jahres bin ich noch, gemeinsam mit Hubert Cancik und Frieder Otto Wolf, meinem Akademiepräsidenten, der mir volle Freiheit ließ und, wenn nötig, den Rücken im Verband freihielt, mit der Herausgabe des Handbuches “Humanismus: Grundbegriffe” beschäftigt.

Danach ist noch alles offen. Größere monographische Sachen hängen vom Stoff ab. Ob es noch mal so etwas wird wie die "Dissidenten" oder "Der ganze Mensch" hängt ja auch von Angeboten, den Quellen und der Gesundheit ab.

 

Lieber Horst, ich bedanke mich für dieses Gespräch und wünsche dir, auch im Namen der hpd-Redaktion, für deinen neuen Lebensabschnitt beste Gesundheit und viel Schaffenskraft.

 

Das Gespräch führte für den hpd Siegfried R. Krebs.