(hpd) Die beiden Islamwissenschaftler Hazim Fouad und Behnam T. Said legen mit ihrem Sammelband “Salafismus. Auf der Suche nach dem wahren Islam” den ersten deutschsprachigen Sammelband zum Thema mit Beiträgen auf dem aktuellen Stand der Forschung vor. Das beachtenswerte und gelungene Werk liefert empirische Fallstudien und theoretische Reflexionen zum Thema “Salafismus”, ohne nur auf die sicherheitspolitische Dimension fixiert zu sein.
Spätestens nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hätte man von den Islamwissenschaften in Deutschland umfangreiche Forschungen und Monographien zum Islamismus erwartet. Davon kann indessen bis in die Gegenwart mit wenigen Ausnahmen kaum die Rede sein. Mittlerweile gerät ein anderes Phänomen in den Fokus von Medien, Politik und Sicherheitsbehörden: der Salafismus. Und hier reagieren Islamwissenschaftler schneller, zumindest einige Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden: Hazim Fouad und Behnam T. Said legen mit “Salafismus. Auf der Suche nach dem wahren Islam” einen voluminösen Sammelband mit informativen und kenntnisreichen Beiträgen auf dem aktuellen Stand der Forschung vor. Die darin enthaltenen 15 Aufsätze gehen das Thema dabei nicht mit einer einseitigen Fixierung auf Fanatismus und Gewalt oder auf sicherheitspolitische Fragen an. Vielmehr kreisen die einzelnen Aufsätze um ein viel weiteres Problemfeld, wodurch sich das Werk auch von vielen aufgeregten Medienberichten wohltuend abhebt.
Aufgegliedert sind die Beiträge in drei große Kapitel: Zunächst geht es um theoretische Aspekte, wofür Beiträge zur Sicht salafistischer Strömungen auf Lossagung und Loyalität (Joas Wagenmakers), zum Salafismus als trennscharfe Analysekategorie (Justyna Nedza), zur Glaubenslehre des Salafismus (Mohammad Gharaibeh), zur Deutung des Propheten durch den Salafimsus (Bacem Dziri), zum Salafismus als politische Ideologie (Olaf Farschid) und zum Verhältnis zur politischen Gewalt für die deutsche Perspektive (Behnam T. Said) gehören. Einige dieser Aufsätze kritisieren auch die von Quintan Wiktorowicz geprägte Differenzierung eines puristischen, politischen und jihadistischen Salafismus, passe diese doch nicht immer für die Komplexität des untersuchten Phänomens. Indessen muss man hierbei auch berücksichtigen, dass sie sehr wohl von Anfang an idealtypisch gemeint war. Indessen präsentieren die Autoren des Sammelbandes in ihrer Kritik auch wichtige Anregungen zur weiteren Ausdifferenzierung und Konkretisierung.
Das zweite große Kapitel präsentiert Abhandlungen zu den Erscheinungsformen des Salafismus in verschiedenen Ländern, wobei es um das salafistische Spektrum in Ägypten (Hazim Fouad), den Salafismus in seinem Mutterland Saudi Arabien (Guido Steinberg), die Mäßigung des Salafismus in Marokko (Mohammed Masbah), die Missionare des Jihads in Libyen und Tunesien (Aaron Y. Zelin) und den Salafismus in der Türkei (Samet Yilmaz) geht. Diese Länderstudien machen in der Tat die Komplexität und Vielfalt des untersuchten Phänomens deutlich. Man kann gegenüber bestimmten politischen Einschätzungen indessen durchaus kritische Positionen formulieren. So heißt es etwa: “Heute ist die Politik der AKP islamisch-demokratisch … Die heutige türkische Gesellschaft ist zum größten Teil eine säkulare Gesellschaft … die Kritik am türkischen Laizismus erfolgt meist von den Rändern religiöser oder von salafistischen Gruppen aus der Türkei” (S. 369). Angesichts der Regierungspolitik und gewisser Islamisierungstendenzen könnte man das auch anders sehen.
Und schließlich konzentriert sich der dritte Teil auf die Situation in Deutschland und Europa, wobei es um die Entstehung und Entwicklung des salafistischen Universums auf dem Kontinent (Samir Amghar), die Geschichte des Salafismus in Deutschland (Nina Wiedl), das Konzept der Fremden in salafistischen Strömungen (Benno Köpfer) und die Attraktivität des Salafsimus für junge Muslime (Claudia Dantschke) geht. Insbesondere im letztgenannten Beitrag erhält man eine Fülle von Anregungen zur Ursachenanalyse: “Stabilität, Orientierung und Zugehörigkeit bietet … das eindeutige Identitätsversprechen im Salafismus” (S. 482). Was man in diesem Kapitel ein wenig vermisst, wäre zum einen eine genauere Analyse einflussreicher salafistischer Akteure wie etwa Pierre Vogel und zum anderen eine differenzierte und systematische Gefahrenpotentialeinschätzung. Gleichwohl liefert der ausgezeichnete und verdienstvolle Sammelband dazu beachtenswerte und wichtige Anregungen. Insofern ist ihm auch große Aufmerksamkeit und Verbreitung zu wünschen.
Behnam T. Said/Hazim Fouad (Hrsg.), Salafismus. Auf der Suche nach dem wahren Islam, Freiburg 2014 (Herder-Verlag), ISBN 978–3–451–33296–8, 24,99 Euro