Papst-Entzauberung

Das wahre Gesicht des Joseph Ratzinger und die exakte Widerlegung seiner Thesen. 

Unter diesem Titel ist soeben das neue Buch

von Hubertus Mynarek erschienen. Auch wenn ich durchaus nicht immer mit diesem Autor einverstanden bin, hier legt er eine überzeugende Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen, ihm seit langem persönlich bekannten Papst vor. Dieses Buch belegt detailliert, was ich mit vielen von Anfang an ahnte: Ratzinger, ein Karrierist reinsten Wassers, ein „oberster Gendarm der Kirche", der verfolgte und gnadenlos über die Klinge springen ließ, was und wer ihm nicht ins Konzept (auch vom „Bollwerk Europa") paßte, ist seit jeher gerade als Wissenschaftler überschätzt, und er genießt das. Dieser Mann, nicht mehr als ein „dorfpolizeilich strukturierter Inquisitor", hat allein jene Intelligenz aufzuweisen, welche die vatikanische Konfession dringender denn je braucht: Ratzinger bleibt ein unter dem Deckmantel demütiger Bescheidenheit außerordentlich ehrgeizig auftretender und empfindlich auf Widerspruch reagierender „Apologet der päpstlichen Lehre in Dogmatik und Moraltheologie mit genau begrenzter, exakt eingegrenzter und beschränkter Intelligenz, die nie in Gefahr gerät, über den Tellerrand der Kirche hinauszuschauen ..." Der Zweifel, Lebenselixier der Intellektualität, hat bei Ratzinger keine Würde; das macht alles Denken dieses Autors dürftig.

Wer künftig über Benedikt XVI. - „nichts Neues, nichts Originelles, nichts Geniales" - sprechen will, den schwächsten Papst seit über 100 Jahren, dessen Blick „etwas verhalten, etwas misstrauisch, etwas lauernd" prüft, „ob ihn auch alle mögen", kommt nicht an Mynareks Buch vorbei. Es wird sich als Standardwerk der Aufklärung über diesen Papst, den „Polierer der vatikanischen Fassade" im Gewand des geistlichen Biedermanns, erweisen - und über den nach leadership massensehnsüchtigen Katholizismus überhaupt, den ich die infantilste Religion der Erde hieß. Ein Standardwerk nicht nur für jeden, der inmitten der noch immer bejubelten „Stallwärme der Herde" und der nicht aus Kirchensteuern, sondern aus allgemeinen Steuerkassen (auch der Konfessionslosen!) finanzierten Visiten endlich Aufklärung verlangt, sondern auch für jene Journaille, die „im feudalistisch-höfischen Mittelalter steckenblieb" und auf peinlich unwürdige Weise hinter dem deutschen Papst herhechelt und Engagement heuchelt, wo allein Sensations- und Quotengier bewegt.

Kein Kleriker im Brotberuf sollte es wagen, Mynarek am Zeug zu flicken. Auch wenn sich noch Fehler im Detail finden: „Ich möchte ausdrücklich sagen, daß ich gerade auch aus den kritischen Rezensionen viel gelernt habe. Am meisten bereichert und belehrt fühlte ich mich durch die Ausführungen von Hubertus Mynarek." Wer das sagte? Joseph Ratzinger.

Mynarek hat sich nicht geändert. Er bietet einen brillanten Disput um die „Vernebelungsenzyklika ‚Gott ist die Liebe‘", das „unvollständigste Programm der Liebe, das ich kenne". Im Verlauf dieses Disputs zerpflückt Mynarek die Argumente des Papstes, der von vielen mittlerweile zu Kirchenblättern aufgerückten Zeitungen und Magazinen (FAZ, taz, Stern) pflichtschuldigst als das neudeutsche Wunder gepriesen wird, und weist dem päpstlichen Autor auf Schritt und Tritt Auslassungen, Verdrängungen, Einseitigkeiten nach. Lesenswert sind in diesem Zusammenhang Mynareks Ausführungen über Ratzingers Lehre von der Ehe („ohne den leisesten Gedanken an Naturwissenschaften, empirische Anthropologie, Soziologie, Ethnologie"), über das päpstliche Eucharistieverständnis („ein subtiler Kannibalismus") oder über die von Ratzinger, dem nie gewandelten Großinquisitor, so gerne dargetanen Zusammenhänge von Vernunft und Glauben: „Man muß sich das mal vorstellen: Eine Kirche mit einer absurden, irrationalen, bizarr-unvernünftigen, irrwitzigen Ideologie, sprich: die Vernunft verhöhnenden Dogmatik beansprucht die absolute Oberhoheit über die menschliche Person und den gesamten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich, also über die individuelle, soziale, ökologische und ökonomische Vernunft. Und keiner unserer Zwerge, d. h. der Politiker aller Parteien, schreit: ‚Unfug‘ oder wehrt sich dagegen."

Oder sollen wir uns darüber wundern, wie jämmerlich wenig die hoch dotierten theologischen Universitätsfakultäten zum Geistesleben der Republik beitragen? Da bleiben, ebenso wie beim Konfessionsunterricht in den Schulen, alljährlich Milliarden fehlinvestiert, und kein Finanzminister, keine Kultusministerin, kein Parlament schert sich darum. Eine Schande für die Demokratie, die allein die politische Klasse der hochmögenden staats- und kirchentragenden Kräfte zu verantworten hat.

Niemand hätte eine Religion, hätte man ihm diese nicht anerzogen. Kirchenfreie Menschen stehen nicht am Abgrund des Humanum, stürzen nicht in eine moralische oder ethische Leere. Zumindest sind sie nicht schlechter als jene, die sich zu einer Kirche bekennen! Im Gegenteil. Soll schon aufgerechnet sein: Die überkommenen Großkirchen sind historisch und aktuell von so viel Unmenschlichkeit geprägt, daß es eine Zumutung ist, als ein Mensch, der sich von derlei hat befreien können, ausgerechnet von dieser Seite Appelle an die Vernunft oder an eine traditionelle Moral entgegennehmen zu müssen. „Die Moral existiert. Unmoralisch ist das Christentum" (Albert Camus).

Unsereins benimmt sich, aus Gründen des guten Geschmacks, in den Kirchen anständig. Zu hoffen bleibt, daß sich einzelne Katholiken in den Bezirken des Geistes ebenso benehmen. Sich von Priestertypen à la Ratzinger solches zu erhoffen, bleibt vergeblich. Nichts ist rachsüchtiger als christliche Demut; wer sich mit Demütigen befaßt, besudelt sich.

Horst Herrmann

Hubertus Mynarek: Papst-Entzauberung. Das wahre Gesicht des Joseph Ratzinger und die exakte Widerlegung seiner Thesen. Books on Demand GmbH, Mai 2007, 288 Seiten, Euro 26,00. ISBN 978-3-8334-8033-1