Islam in Deutschland

TRIER. Vom 25. bis 27. Juni lud die Katholische Akademie Trier zu einer Studientagung "Islam in Deutschland

- Integrationsprobleme und -perspektiven" unter der Leitung von Akademiedozent Günter Gehl. Unter den Teilnehmern waren Angehörige von Polizei und Justiz als primär angesprochene Zielgruppen deutlich überrepräsentiert.

Von Karl dem Großen bis zum Koordinierungsrat der Muslime

Jörn Thielmann, Islamwissenschaftler und Leiter des Kompetenzzentrums Orient-Okzident der Universität Mainz (KOOM) befaßte sich mit der "Geschichte des Islam in Deutschland". Von den ersten Kontakten und Verträgen mit Vertetern der islamischen Welt unter Karl dem Großen über die Anwesenheit von Moslems als Kriegsgefangene nach der türkischen Belagerung Wiens und später als Soldaten der preußischen Armee gab er eine bis zur Jetztzeit reichende Zusammenfassung.

In einem anschließenden weiteren Vortrag stellte er "Islamische Institutionen und Verbände" in Deutschland dar. Türkische Moslemverbände seien zunächst als Ableger der antikemalistischen Opposition in der Türkei entstanden. Damit bezog er sich vor allem auf den Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ) und die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) sowie den von dieser abgespaltenen "Kalifatsstaat". Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), sich selbst als laizistisch verstehende Gründung des türkischen Staates, wurde erst 1984 ins Leben gerufen. Thielmann schätzt DITIB wegen ihrer türkisch-nationalistischen Orientierung als integrationsfeindlichste Organisation ein, meinte aber, sie bewege sich und führte als Beleg ihre Beteiligung am Koordinierungsrat der Muslime (KdR) an. Die islamistische IGMG sieht er nicht mehr als bedrohlich an. Wenn Milli Görüs nach wie vor antizionistische Filme und antisemitische Schriften vertreibe, so nur noch, um die erste, die Gründergeneration, zu bauchpinseln! Was an Milli Görüs noch problematisch sei, seien ihre betrügerischen Wirtschaftstransaktionen, mit denen sie Mitglieder finanziell ruiniert habe. Aber das sei kein religiöses Phänomen, sondern falle in die Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammern.

Koran und Grundgesetz

Danach stand eine Diskussion zwischen dem Trierer Juraprofessor Gerhard Robbers mit einem Vertreter der DITIB auf dem Programm. Motto: "Ist das Grundgesetz mit dem Koran vereinbar?" Der als Referent vorgesehene DITIB-Dialogbeauftragte Bekir Alboga ließ sich durch einen Herrn Seyhun vertreten.

Robbers outete sich als Christ und betonte die Möglichkeit, es gebe etwas Höheres als das Grundgesetz, worauf auch dessen Präambel verweise. Die Frage nach der Grundgesetzkonformität müsse sich auch ein Christ hinsichtlich der Bibel stellen. Für Robbers hängt die Beantwortung der Frage in beiden Religionen von der Interpretation der heiligen Schriften, von ihrer Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit ab.

Seyhun stellte den Islam vor allem als eine Religion dar. Muslime brauchten die Obrigkeit. Der Islam habe früher den Menschen die Unantastbarkeit der Person und die Freiheit des Eigentums zugestanden. Die Nichtgleichstellung von Nichtmuslimen sei in der Geschichte des Islam ein Ausreißer gewesen. Muslime hätten mit der Anerkennung des Grundgesetzes keine Probleme. Diese Äußerungen brachten ihm Nachfragen zu Menschenrechtsverletzungen in islamischen Ländern ein.

Sinn und Unsinn des interreligiösen Dialogs

Den ersten Tag schloß eine Diskussion zum Thema "Wie ehrlich ist der interreligiöse Dialog?" ab. Auf dem Podium saßen erneut Seyhun, außerdem Wolf D. Aries, ein im Alter von 13 Jahren zum Islam konvertierter deutscher Ahmadiyya-Muslim, der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban sowie Werner Höbsch, Leiter des Referates für Interreligiösen Dialog des Erzbistums Köln.

Seyhun betonte Ehrlichkeit als das Wichtigste im Dialog. Man dürfe andere Religionen kritisieren, aber nicht beschimpfen. Barrieren des Dialogs würden durch die Medien aufgebaut. Aries bemerkte, nach 25 Jahren Dialog würden immer noch dieselben Fragen gestellt. Er versuchte, die Barrieren des Dialogs auszumachen und Möglichkeiten ihrer Überwindung auszuloten.

Ghadban, aus einer christlich-libanesischen Familie stammend, aber Agnostiker, sprengte den Rahmen mit der Bemerkung, er werde den Dialog auseinandernehmen. Die Mehrheit der Muslime in Deuschland sei säkular und brauche keinen Dialog. Islam und Christentum hätten außer dem Glauben an Gott kaum etwas gemeinsam. Der organisierte Islam stelle ein Haupthindernis für die Modernisierung dieser Religion dar. Die Modernisierung des Islam scheitere an der Grenze der Scharia und sei nur möglich durch Neuinterpretation der heiligen Texte und Verwandlung der Scharia von einem Rechtssystem in ein ethisches System.

Höbsch sah den interreligiösen Dialog als Ressource der Integration und wichtigen Beitrag für ein friedliches Miteinander. Allerdings müsse der Dialog in der Wahrheit des eigenen Glaubens verwurzelt sein. Die Diskussion führte zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Aries und Ghadban, da Aries die Darstellung des Islam durch Ghadban als diffamierende Verzerrung empfand. Ein Tagungsteilnehmer ging so weit, Ghadban als Hassprediger zu bezeichnen.

Islamische Strukturen

Am zweiten Tag knüpfte Thielmann an seine vorangegangenen Referate an mit dem Thema "Islamische Felder in Deutschland". Kritisch wies er auf die Intoleranz von Muslimen gegenüber anderen Muslimen hin, beispielhaft auf die Aggressionen gegenüber den vom islamischen Mainstream als Häretiker betrachteten Ahmadiyya-Muslimen. Diese seien auch in Deutschland wiederholt physischen Angriffen durch andere Muslime ausgesetzt. Er differenzierte die verschiedenen Strukturen und Organisationsformen. Die ersten Moscheen in Deutschland seien nationenübergreifend gegründet worden. Später seien Moscheen in landsmannschaftlicher Trägerschaft entstanden, in denen jedoch Moslems aus verschiedenen Ländern und Konfessionen beteten. Bei Jugendlichen komme es zu einer eigenständigen Rückbesinnung, was sich in der Lektüre mittelalterlicher islamischer Klassiker äußere. Dies habe zeitweilig zur Bildung islamistischer Gruppen geführt, aber inzwischen finde ein reformorientierter theologischer Gegendiskurs statt.

Die schon am Kopftuch als Muslimin erkennbare Tasniem Ibrahim, angehende Politikwissenschaftlerin, referierte dann über "Muslimische Jugendliche in Deutschland", speziell über bildungserfolgreiche Jugendliche, denen sie sich selber zurechnet. Diese "Popmuslime" entdeckten die Religion ihrer Eltern für sich neu, dabei sich sowohl vom engstirnigen traditionellen Islam als auch von den Freiheiten der westlichen Gesellschaft distanzierend. Sie hätten eine multikulturelle Identität der Mitte zwischen Herkunfts- und Aufnahmegesellschaft.

Parallelwelten in der Diskussion

Über "Islam in Deutschland: Tendenzen einer Parallel-Gesellschaft?" diskutierten der Trierer Soziologieprofessor Roland Eckert und Engin Karahan vom Generalsekretariat von Milli Görüs.

Eckert benannte Kriterien zur Kennzeichnung einer Parallelgesellschaft. Diese seien in Deutschland nicht erfüllt. Allerdings gebe es Elemente eines Kulturkonflikts. So deuteten Befunde auf eine sehr hohe Betroffenheit türkischer Migrantinnen durch Gewalt in Paarbeziehungen und Familie hin. Ultraorthodoxe Muslime lehnten ein Recht auf Verlassen des Islam ab. Eckert sieht die "westlichen Werte" keineswegs als gesichert an. Er formulierte Vorschläge, wie eine mit dem Erhalt von Freiheitsrechten verbundene Integration zu bewerkstelligen sei.

Karahan bestritt die Existenz von Parallelgesellschaften mit dem Hinweis, die Konzentration von Migranten in bestimmten Wohnvierteln sei der Suche nach billigen Wohnungen geschuldet, das Nichterlernen der deutschen Sprache der zunächst vorhandenen Rückkehroption und die Gründung eigener Lebensmittelläden den besonderen Essgewohnheiten. Auch der Bedarf an Spiritualität spiele eine Rolle.

Der Frage nach "Integrationsperspektiven" widmete sich der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Peter Altmaier. Er sah sich als für die allgemeinen politischen Rahmenbedingungen zuständig an. Muslime seien inzwischen Teil der deutschen Gesellschaft, betonte er. Die Islamkonferenz sei als institutionalisierter Dialog ebenso nötig wie der Zusammenschluss von Verbänden zum Koordinierungsrat der Muslime als Ansprechpartner für Religionsunterricht.

Ist der Islam antidemokratisch?

Ahmed Senyurt, für ARD und ZDF arbeitender Fachjournalist und aus der Türkei stammender Moslem, eröffnete den letzten Tag mit der Fragestellung: "Muslimische Organisationen und Zivilgesellschaft: Wer integriert wen?" Sein Thema sei nicht eine Parallelwelt, betonte er, vielmehr beschäftige er sich mit einer Gegenkultur, die keinerlei ideologische Schnittmenge mit der Mehrheitsgesellschaft aufweise. Nach seiner Auffassung können islamische Organisationen dieses Land nicht übernehmen. Maximal 20% der Moslems in Deutschland seien organisiert. Senyurt kritisierte die Konfessionalisierung der Integrationsdebatte, was auf eine Integration von Organisationen statt Menschen hinauslaufe. Am gefährlichsten seien die Organisationen, die Islam und türkischen Nationalismus verbinden. Insbesondere die Grauen Wölfe seien völkisch orientiert und hätten einen extremen Zugriff auf Jugendliche. Von Milli Görüs zeichnete er ein völlig anderes Bild als Thielmann. Jede ihrer Veranstaltungen beginne mit dem Absingen der türkischen Nationalhymne, sie sei Teil der islamistischen Erbakan-Organisation, deren antisemitische Zeitschrift Milli Gazete werde auf ihren Veranstaltungen offensiv beworben und schon kleine Mädchen würden unter das Kopftuch gezwungen. Dies alles belegte er eindrücklich mit Videomaterial.

Bei einigen Teilnehmern auf Empörung stieß Senyurts Auffassung, Teile der Scharia sollten ins Zivilrecht übernommen werden, das wäre eine Bereicherung. Strafrechtliche Bestimmungen nahm er dabei ausdrücklich aus und konkretisierte seine Aussage dahingehend, es gehe nur um die Teile, die mit der Verfassung vereinbar seien.

Das abschließende Referat hielt Rainer Grell, der als leitender Ministerialrat den umstrittenen baden-württembergischen Einwanderungsfragebogen entwickelt hatte. Entsprechend sprach er zum Thema: "Was müssen Muslime leisten, wenn sie bei uns eingebürgert werden wollen?" Für ihn stand die Frage der Vereinbarkeit des Koran mit den Grundwerten des westlichen Gesellschaftssystems im Zentrum. Dabei zitierte er prominente Islamvertreter, die eine Vereinbarkeit von Islam und Demokratie ausdrücklich verneinten. Der "Gesprächsleitfaden für die Einbürgerungsbehörden" solle die Echtheit des Bekenntnisses von Einbürgerungsbewerbern zu Demokratie und Menschenrechten überprüfen helfen, die Berichterstattung darüber sei jedoch weitgehend desinformativ gewesen. Im Gegensatz zu Senyurt geht Grell von der Gefahr einer Islamisierung Deutschlands aus.

 

Festzuhalten bleibt, dass das Referentenspektrum heterogen war und Raum für Kontroversen bot. Allerdings waren die meisten Referenten nur zeitweise anwesend, manche nur zu ihrem eigenen Vortrag angereist. So trafen der Vertreter von Milli Görüs und einer der schärfsten Kritiker der Organisation, Ahmed Senyurt, nicht unmittelbar aufeinander. Ehemalige Moslems oder Vertreter explizit säkularer Moslemorganisationen fehlten ganz auf dem Podium. Der Veranstalter ließ es jedoch zu, islamismuskritische Publikationen des Zentralrats der Ex-Muslime und der AKTION 3.WELT SAAR sowie weiteres kritisches Material vor dem Tagungssaal auszulegen.

 

Klaus Blees

Der Autor nahm als Vertreter der AKTION 3.WELT SAAR an der Tagung teil, wo er am Aufbau eine Informations- und Kompetenzzentrums zur Sensibilisierung zum Problemfeld Islamismus mitarbeitet. Dieses Projekt wird gefördert vom Europäischen Flüchtlingsfonds der EU. Kontakt über AKTION 3.WELT SAAR, Weiskirchener Str. 24, 66679 Losheim am See. Tel. 06872/993056, Fax 993057. Internet: www.a3wsaar.de. E-Mail: a3wsaar@t-online.de. Dort kann auch eine Skizze des Projektes angefordert werden.