Kühner Umgang mit den Quellen

Das Jesus-Buch des Papstes platzierte sich bereits kurz nach Erscheinen auf den vorderen Plätzen der Bestseller-Listen. An kritischen

Auseinandersetzungen damit mangelte es in der Diskussion wie den Rezensionen.

Nun legt Gerd Lüdemann, Professor für Geschichte und Literatur des frühen Christentums in Göttingen, dazu eine kleine Studie mit dem Titel „Das Jesusbild des Papstes. Über Joseph Ratzingers kühnen Umgang mit den Quellen" vor. Darin referiert er zunächst die Auffassungen des Papstes in den jeweiligen Kapiteln von dessen Buch und setzt sich danach aus der Perspektive der historisch-kritischen Methode mit der wissenschaftlichen Haltbarkeit der Deutungen auseinander.

Lüdemanns Kernpositionen lauten: Ratzingers angekündigter Versuch, den Jesus der Evangelien als den historischen Jesus darzustellen, finde nicht statt, da Ratzinger sich auf historische Fragen gar nicht einlasse. Statt dessen bestehe sein Buch zu großen Teilen aus Meditationen über den „Herrn". Entgegen des allgemeinen Konsenses in der Forschung halte Ratzinger die Evangelien für zuverlässige Berichte über den historischen Jesu, wobei er nicht zwischen echten und unechten Worten Jesu unterscheide. So erweise sich der Papst trotz aller Beteuerungen des Gegenteils als vorkritischer Exeget.

Lüdemann kann immer wieder anhand von konkreten Beispielen belegen, dass Ratzinger bei der Bibeldeutung Stichwortassoziation betreibt oder Texte inhaltlich fehldeutet. Besonders empört ihn dabei die Ignoranz gegenüber den Ergebnissen und Methoden einer 250 Jahre alten Bibelwissenschaft.

So überzeugend Lüdemanns Kritik ist, so kritikwürdig ist aber sein Bild vom historischen Jesus. Angesichts der schlechten und widersprüchlichen Quellenlage ist das auch von ihm als sicher angenommen Wissen über Jesus mehr als nur unsicher. Dieser Einwand mindert aber nicht den aufklärerischen Wert von Lüdemanns Kritik am Jesusbild des Papstes.

Armin Pfahl-Traughber

 

Gerd Lüdemann: „Das Jesusbild des Papstes. Über Joseph Ratzingers kühnen Umgang mit den Quellen", Springe 2007 (Verlag zu Klampen), 158 S., 9,95 €