LAHR/BERLIN. (hpd) „Patientenwille und menschliche Medizin im Dialog“ – das ist die
Maxime der heute unterzeichneten Absichtserklärung ärztlichen Handelns und des Umgangs mit Patientenverfügungen.
Der heute in der Heinrich-Böll-Stiftung anlässlich einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellte Lahrer Kodex ist eine ärztliche Selbstverpflichtung zugunsten des Patientenwohls und wurde von Medizinern des Herzzentrums Lahr/Baden gemeinsam mit Kollegen anderer Einrichtungen und nichtmedizinischen Experten erarbeitet. So war auch der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) durch Gita Neumann, Bundesbeauftragte Patientenverfügungen und Humanes Sterben, maßgeblich an der Abfassung des Kodex zur Respektierung des Patientenselbstbestimmungsrechts beteiligt, vor allem auf Grund der über 15jährigen Erfahrungen mit Patientenverfügungen und durch das ambulante Hospiz des Berliner HVD V.I.S.I.T.E.
Der Ärztekodex folgt der Position der vom Bundesministerium der Justiz eingesetzten Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ und den Empfehlungen der Bundesärztekammer „zum Umgang mit Vorsorge und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis“, geht aber insofern darüber hinaus, als nun Ärzte ihre Erfahrungen einbringen.
Mit dem Lahrer Kodex verpflichten sich Ärzte zur Wahrung der Patientenautonomie und zur Achtung der Patientenverfügungen sowie der Wertevorstellungen ihrer Patienten. Damit für Patienten erkennbar ist, welcher Arzt sich dem Kodex verpflichtet sieht, wurde ein Logo entwickelt, mit dem nur werben darf, wer diesen Kodex unterschrieben hat. So können Patienten dieses Qualitätskriterium bei der Wahl ihres Arztes, ihrer Klinik usw. beachten, Bild im Anhang.
Warum wird der Kodex gebraucht?
Situationen zwischen Leben und Tod sind immer komplex. Kein noch so vernünftiges Gesetz kann alles regeln oder normieren, besonders nicht den Tod. Vielmehr braucht es eine „bestimmte Haltung, die den Respekt vor dem Willen des Patienten reflektiert. Einen solchen Umgang kann man nicht gesetzlich vorschreiben. Ärzte müssen sich zu dieser Haltung bekennen und – im nächsten Schritt – sich gegenüber ihren Patienten persönlich verpflichten, entsprechend zu handeln", erklärte Dr. Dr. med. Tejas Alexander, Chefarzt der Anästhesiologie am Herzzentrum Lahr/Baden und Initiator des Lahrer Kodex. Es geht um die Stärkung des Vertrauens Arzt und Patient, gerade angesichts des komplexen Sterbeprozesses.
Alle Anwesenden sprachen sich vehement gegen aktive Sterbehilfe aus.
Grundsätze
- Der Wille des Patienten hat für mich oberste Priorität.
Das ist die Kernaussage des Kodex. Der Arzt respektiert eine aktuelle und auf die gegebene Situation anwendbare Patientenverfügung. Liegt keine Patientenverfügung vor, ist der Patient nicht entscheidungsfähig oder es muss angenommen werden, dass sie dem Willen des Patienten nicht mehr entspricht, wird versucht, mit Angehörigen, Vertrauenspersonen, Betreuern und Bevollmächtigten den mutmaßlichen Willen des Patienten zu ermitteln. Eine prinzipielle Reichweitenbeschränkung von Patientenverfügungen auf bestimmte Krankheitsbilder oder –zustände wird vom Arzt abgelehnt. - Ich werde für meine Patienten im Notfall alles Mögliche tun oder veranlassen und auch Verantwortung für ein würdiges, möglichst schmerzfreies Sterben übernehmen.
Wer den Kodex unterzeichnet, verpflichtet sich prinzipiell zur Erhaltung des Lebens sowie zur Verbesserung der Lebensqualität. Wenn die Situation es erfordert muss der Arzt schmerzlindernde, palliative Maßnahmen, Palliativpflege und auf Wunsch Sterbebeistand (keine aktive Sterbehilfe) ergreifen, selbst wenn diese unter gewissen Umständen das Leben verkürzen könnten. - Ich nehme mir Zeit für Gespräche „von Mensch zu Mensch“, nutze kollegiale Fallbesprechungen und trage zur Vertrauensbildung bei.
Mit diesem Grundsatz verpflichtet sich der Arzt aktiv zu kommunizieren, statt Entscheidungen im Alleingang zu treffen. Der Patient soll angeregt werden eine Patientenverfügung zu verfassen.
Herr de Ridder gab der Hoffnung Ausdruck, dass der Lahrer Kodex hilft, verschiedene Positionen in der Ärzteschaft zu vereinigen, weil eigentlich kein Arzt gegen diese Konvention und gegen die Priorität des Patientenwillens sein könne. Auch sei wichtig, dass man hier dem Patienten helfe, seinen Willen zu bilden. Wann man die Geräte abschalten solle, sei die falsche Frage. Die richtige Frage dagegen sei, ob man noch weitermachen dürfe.
Nicht nur Mediziner wie Prof. Dr. Dr. Roland Hetzer vom Deutschen Herzzentrum Berlin, der heute leider aus familiären Gründen nicht anwesend sein konnte, auch außerhalb der Ärzteschaft unterstützen inzwischen viele Menschen und Unternehmen, wie die Pharmafirma Pfizer (PDF im Anhang) und die Deutsche Angestellten Krankenkasse DAK diese Initiative. Sie wurden, wie Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesjustizministerin a. D., die Heinrich-Böll-Stiftung, die Schauspieler Mariella Ahrens und Michael Lesch zu Paten des Ärztekodex.
Der Bundesvorsitzende des Humanistischen Verbandes Deutschlands, Dr. Horst Groschopp, ebenfalls Pate, erklärte heute zum „Lahrer Kodex“ (s. Presseerklärung im Anhang): „Es ist zu wünschen, dass schon bald viele deutsche Ärzte und Krankenhäuser dieser durch und durch humanistischen Grundsatzerklärung zu den sensiblen Fragen der Autonomie am Lebensende beitreten werden. Der HVD steht Kliniken und Krankenhäusern mit seiner langjährigen und anerkannten Kompetenz auf dem Gebiet der Patientenverfügungen gern als Partner und Ratgeber zur Verfügung.“
Theologen und Kirchenvertreter werden nun begründen müssen, was sie eventuell gegen den Kodex haben. Man darf gespannt sein auf Äußerungen der Bischöfe bei den christlichen Religionsgemeinschaften, wie auch auf Verlautbarungen – v.a. praktisches Handeln – christlicher Ärzte und Gesundheitseinrichtungen.
Im Anschluss an die Pressekonferenz fand die Tagung „Selbstbestimmung im Dialog – Patientenautonomie – Patientenverfügung – Verantwortung“ statt.
GG
Titelfoto, von links:
Dr. Till Müller-Heidelberg, Humanistische Union
Gita Neumann, Diplom-Psychologin, Bundesbeauftragte Patientenverfügung/Humanes Sterben und Sprecherin des Humanistischen Verbandes Deutschlands
Dr. med. Michael de Ridder, Leiter der Rettungsstelle und Aufnahmestation des Vivantes-Klinikums „Am Urban“ in Berlin-Kreuzberg
Bernd Sieber, Dipl.-Volkswirt, Vorstand Kraichgau-Klinik AG und Geschäftsführer des Herzzentrums Lahr/Baden
Vera Lorenz, Pressesprecherin der Heinrich-Böll-Stiftung
Dr. Dr. med. Tejas Alexander, Initiator des Lahrer Kodex und Chefarzt der Anästhesiologie am Herzzentrum Lahr/Baden
Ralf Fücks, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung